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Atomdebatte: Die vermeintliche Renaissance
News | 04.04.2023
#Klima und Energie

Atomdebatte: Die vermeintliche Renaissance

AKW an der Rhone
© Pixabay/Falco
AKW an der Rhone, Frankreich

Noch wenige Tage, dann heißt es in Deutschland: Atom aus! Das sind gute Nachrichten. Nach über sechs Jahrzehnten wird dadurch ein in die Jahre gekommenes Kapitel der Energiegewinnung dauerhaft geschlossen, nachdem das Ende der Atomkraft hierzulande um über vier Monate verschoben wurde. Doch bei einigen unserer Nachbarstaaten und auf EU-Ebene ist das Atom-Aus in weiter Ferne.

Die EU-Taxonomie bereitete im vergangenen Jahr den Anfang zur aktuellen Debatte um die Atomenergie. Die  EU-Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem, das definiert, unter welchen Bedingungen wirtschaftliche Aktivitäten als nachhaltig einzustufen sind. Seit Juni 2020 ist die Taxonomie-Regulierung formal in Kraft. Ihr Ziel ist, die notwendigen Summen für die dringend erforderliche ökologische Transformation der europäischen Wirtschaft zu mobilisieren, um Klimaneutralität zu erreichen. Seit 2022 gelten neue Regelungen der EU-Taxonomie, und die Kernenergie wurde in das Regelwerk aufgenommen. Investitionen in Atomkraft sind laut Taxonomie gleichrangig mit anderen Lösungen zur Bekämpfung der Klimakrise, etwa Investitionen in Wind- und Solarenergie. Ein gewaltiger Rückschritt und Etikettenschwindel.

Zuletzt wurden auf Initiative Frankreichs wieder Diskussionen zur Atomkraft in der EU geführt. Was in einigen Medien als Renaissance der Atomenergie diskutiert wird, kann eigentlich nur als letztes Aufbäumen verstanden werden. Denn der staatliche Energiekonzern Électricité de France (EDF) ist mit seinen vielen maroden Atommeilern im Portfolio inzwischen hoch verschuldet. Mit rund 61 Gigawatt verfügt Frankreich nach den USA und China über die weltweit drittgrößte Flotte an Atomreaktoren. So wie über einen langen Zeitraum im Jahr 2022 waren auch im März 2023 nur noch 35 Gigawatt davon am Netz.

Sebastian Breer
Investitionen in Atomkraft sind laut Taxonomie gleichrangig mit anderen Lösungen zur Bekämpfung der Klimakrise, etwa Investitionen in Wind- und Solarenergie. Ein gewaltiger Rückschritt und Etikettenschwindel.
Sebastian Breer, WWF
Policy Advisor Climate & Energy

Risse und Korrosion machen den alten Anlagen schon länger zu schaffen. Dass es sich um eine Hochrisikotechnologie handelt, ist kaum von der Hand zu weisen. Die EDF war gezwungen, sie für Wartungsarbeiten vom Netz zu nehmen. Im vergangenen Sommer kamen überhitzte Flüsse und niedrige Pegelstände hinzu, und getrieben durch die fossile Energiekrise stiegen die Strompreise massiv. Andere Länder mussten einspringen und die Energieversorgung in Frankreich absichern. Ein gutes Beispiel für europäische Solidarität? Sicher. Beispielhaft für die so oft betonte Verlässlichkeit der Atomenergie? Eher weniger.

Die Sanierung der französischen Atommeiler dauert lange, kostet viel Geld und beschäftigt inzwischen die ganze EU. Denn nun sollen über die europäischen Richtlinien öffentliche und private Mittel fließen. Mit der Taxonomie-Verordnung ist eine Weiche dafür bereits gestellt. Der nächste Vorstoß zielt darauf ab, die Ambitionen für mehr Erneuerbare Energien zu verwässern.

Um das neue Erneuerbaren-Ziel von 42,5 Prozent bis 2030 in der EU zu erreichen, wurde nun Atomkraft als sogenannte kohlenstoffarme Technologie deklariert, um etwa „nachhaltigen“ Wasserstoff zu produzieren. So können Mitgliedstaaten ihr Ziel für grünen Wasserstoff im Industriesektor um bis zu 20 Prozent drücken, indem sie auf pinken Wasserstoff aus Atom setzen. Diese indirekte Förderung von Atomkraft führt zu einer Abschwächung der Richtlinie und ist der zweite Etikettenschwindel. Konkret bedeutet die Einigung, dass Länder wie Frankreich statt in grünen Wasserstoff zu investieren noch lange auf Atomstrom setzen können, sofern 23 Prozent des Wasserstoffs grün und die Länder insgesamt beim Erneuerbaren-Ziel auf dem richtigen Kurs sind.

Felix Schmidt
Ohne staatliche Subventionen hat sich in Frankreich kein einziges Atomkraftwerk am Markt durchsetzen können. Erneuerbare Energien sind währenddessen in rasanter Geschwindigkeit unschlagbar günstig geworden.
Felix Schmidt, WWF
Policy Advisor Climate & Energy
Entwicklung der weltweit installierten Kraftwerksleistung mit Erneuerbaren Energien und Atom seit 2001
Abbildung 1: Entwicklung der weltweit installierten Kraftwerksleistung mit Erneuerbaren Energien und Atom seit 2001.

Weltweit stagniert teure Atomkraft – Erneuerbare wachsen rasant

Das Beispiel Frankreich verdeutlicht gut, warum sich in den vergangenen Jahrzehnten kein einziges Atomkraftwerk ohne staatliche Subventionen am Markt hat durchsetzen können. Erneuerbare Energien sind währenddessen in rasanter Geschwindigkeit unschlagbar günstig geworden, und ihre Kapazitäten haben in den letzten 20 Jahren den Zubau von Atomkraftwerken um ein Vielfaches überstiegen. Mit dieser Rechnung müssen sich auch jene EU-Länder beschäftigen, die derzeit planen, mehr Atomenergie zu nutzen. Den Einstieg bis 2033 plant bislang nur Polen. In Tschechien, den Niederlanden und Litauen sowie in Bulgarien, Rumänien, Ungarn und in der Slowakei sollen einzelne neue Meiler hinzukommen. Auch Schweden und Finnland wollen weiter auf die Atomenergie setzen – zumindest übergangsweise.

Allerdings können diese Länder nicht auf besonders mutmachende Erfolgsgeschichten zurückgreifen. Denn in den letzten dreißig Jahren wurden in der EU lediglich drei neue Atommeiler gebaut – in Finnland, Frankreich und Großbritannien. Die Kosten dieser Projekte haben sich in Großbritannien von 20 auf 37 Milliarden Euro fast verdoppelt, in Finnland von 3 auf 10 Milliarden Euro mehr als verdreifacht und in Frankreich von 3,4 auf 19 Milliarden Euro gar versechsfacht. Investitionen in Atomkraft blockieren Investitionen in Erneuerbare Energien wie Wind- und Sonnenkraft. All diese Projekte liegen zudem weit hinter ihrem ursprünglichen Zeitplan.

Angesichts der Tatsache, dass die Transformation des Energiesystems – weg von fossiler und nuklearer Energie, hin zu Erneuerbaren – zu großen Teilen innerhalb dieses Jahrzehntes umgesetzt werden muss, um die Klima- und Biodiversitätskrise einzudämmen, sind solche Verzögerungen sowohl zeitlich als auch finanziell untragbar. Unser Fazit lautet deshalb: Der Erfolgszug der Erneuerbaren ist unumkehrbar und wird sich in den kommenden Jahren weiter manifestieren.

Die Autoren

Felix Schmidt arbeitet seit 2021 im Team Klimaschutz- und Energiepolitik des WWF Deutschland zur Transformation des Energiesystems mit Fokus auf Erneuerbaren Energien, Netz- und Strommarktthemen.

Sebastian arbeitet seit 2021 im Klimateam des WWF Deutschland, vor allem zum Ausbau der erneuerbaren Energien sowie Dekarbonisierung des Gebäudesektors.  

 

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