EU-Kommission aktualisiert CCS-Richtlinien
Die EU-Kommission hat ihre Leitlinien zur Anwendung und Standortsuche von Carbon Capture and Storage (CCS)-Techniken aktualisiert. Zugleich warnt ein Think Tank vor der Nutzung von CCS zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie.
Das Instrument der Kohlenstoffabscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) hat in den letzten Jahren in gesellschaftlichen und klimawissenschaftlichen Debatten die Gemüter erhitzt [EU-News von Juli 2023]. Doch obwohl viel Geld in diesen Bereich geflossen ist, gibt es bis dato - 15 Jahre nach ersten Empfehlungen der EU-Kommission - EU-weit noch keine groß angelegten CCS-Projekte. Eine kürzliche Neuveröffentlichung der EU-Kommission könnte den Planungen jedoch wieder Aufwind und Planenden konkrete, angepasste Richtlinien an die Hand geben: Am 25. Juli hat die EU-Kommission ihre aktualisierten Leitlinien für die Mitgliedstaaten zur Ermittlung von Standorten für die geologische CO2-Speicherung publiziert. Dabei geht es unter anderem um Risikomanagement, Finanzierung und um die Übertragung der Verantwortung für Standorte.
Die vier neuen Richtliniendokumente dienen als Updates für die im Jahr 2011 im Rahmen der CCS-Richtlinie entwickelten vorherigen Versionen. Ziel der Aktualisierungen sei die Straffung von Genehmigungsverfahren sowie Unterstützung für „nachhaltige Lösungen für die CO2-Speicherung im Europäischen Wirtschaftsraum“ zu bieten, so die Kommission in einer Erklärung.
Empfehlungen zur Risikobewertung in den Dokumenten betreffen insbesondere die Beurteilung von möglichen Leckagen: Demnach soll bei der Auswahl möglicher Speicherstätten insbesondere die Gefahr von CO2-Leckagen sowie weiteren potenziellen Schäden für die menschliche Gesundheit sowie die Umwelt berücksichtigt werden. Als mögliche Schäden werden beispielsweise die „Verunreinigung des Grundwassers mit kohlenstoffdioxid-haltiger Flüssigkeit, „die Verdrängung von Sole oder Kohlenwasserstoffen durch injiziertes CO2“, oder Risiken durch „Hebung oder Senkung des Bodens“ sowie Erdbeben ausgewiesen. Generell empfiehlt die EU-Kommission jedoch, eine Risikoeinschätzung nicht am Worst-Case-Szenario auszurichten, da dieses üblicherweise zu einer „unangemessenen Übertreibung des Ausmaßes der Leckage“ führe. Im Gegensatz dazu sollten die Speicherstättenbetreibenden sich an dem am ehesten zu erwartenden oder wahrscheinlichsten Risiko orientieren.
Weitere Änderungen der Richtlinien betreffen zudem die Kohlenstoffdioxid-Speicherung in Basaltgestein oder ehemaligen Öl- und Gaslagerstätten, Korrosions- und Sicherheitsfragen sowie Leitlinien für die Umstellung eines Standorts von der Kohlenwasserstoffförderung auf die CO2-Speicherung.
Aus Sicht von Chris Davies, Branchenleiter von CCS Europe, sei essenziell, dass „die Bürger Vertrauen in eine Technologie haben, die eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel“ spielen könne. Entsprechend sei es angemessen, dass der überarbeitete Leitfaden die Anforderung einer „sichere[n] und dauerhafte[n] Speicherung“ unterstreiche. Kritik übt er jedoch am Fehlen von Leitlinien für akzeptable CO2-Reinheitsgrade, da dies möglicherweise zur Aufstellung eigener Anforderungen im Sektor führen könne – zu möglicherweise so hohen Kosten, dass „die Industrie weiterhin CO2 in die Atmosphäre“ abgebe.
Forscher*innen warnen vor CCS in der Stahlproduktion
Nicht nur Umweltverbände und Zivilgesellschaft zeigen sich immer wieder besorgt über die Anstrengungen Deutschlands und anderer EU-Mitgliedstaaten hin zur Anwendung von CCS, wie beispielsweise ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis im Januar 2024 im Kontext der Veröffentlichung der Carbon Management Strategie der Bundesregierung. In einer Pressemitteilung vom BUND kritisierte das Bündnis, dem unter anderem die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace angehörten, CCS sei „eine Scheinlösung“, die „den Ausstieg aus fossilen Energien“ verhindere, die Energiewende blockiere und „den Umbau der Industrie hin zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft“ riskiere.
Auch viele Forschende stehen der Technik kritisch gegenüber. So warnen Klimaanalysten des grünen Think Tanks Sandbag in einem Mitte Juli veröffentlichten Bericht vor dem „Hype", die Kohlenstoffabscheidung und -Speicherung zur Dekarbonisierung der europäischen Stahlproduktion zu verwenden. Die Methodik würde „wahrscheinlich nur begrenzte Emissionsreduzierungen im Verhältnis zu den Gesamtemissionen der Industrie bieten“ und bleibe zudem hinter anderen, nachhaltigeren Alternativen im Bereich der Stahlindustrie zurück. Der Bericht betont zudem, dass in der EU bisher „das Kreislaufpotenzial von Stahl“ nicht umfassend genug genutzt werde.
Damit der Sektor langfristig klimaneutral werden kann, bietet sich aus Sicht der Forschenden eine Umstellung der Stahlproduktion durch die Nutzung von grünem Wasserstoff als bessere Option an. Ebenso beziehen die Forscher die möglichen Gefahren von CCS in der Stahlproduktion mit ein: so seien Leckagen ebenso wie „verzögerte Emissionen“ ein großer Risikofaktor. Diese entstünden durch niedrige CO2-Abscheidungsraten sowie durch steigenden Energieverbrauch bei der Anwendung von CCS.
Am 17. und 18. September will die EU-Kommission die aktualisierten Leitlinien in Workshops mit europäischen CCS-Akteuren diskutieren. [mi]
CCS Europe: Pressemitteilung/Einordnung der aktualisierten Richtlinien
EU-Kommission: The European Commission publishes revised Guidance Documents to the CCS Directive
ENDS Europe [kostenpflichtig]: Commission revises guidance for carbon capture and storage projects
ENDS Europe [kostenpflichtig]: Climate analysts warn of ‘growing hype’ over carbon capture in steelmaking
Sandbag (Think Tank): Bericht über CCS in EU-Stahlindustrie