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Höchste Zeit für die Plastikwende
News | 12.11.2024
#Chemikalien #Kreislaufwirtschaft #Rohstoffe und Ressourcen

Höchste Zeit für die Plastikwende

Stoffbeutel an Wäscheleine
© pixabay/KRiemer
Statt Plastiktüten lieber Stoffbeutel zum Einkaufen nutzen.

Kein Bereich unseres Lebens und der Umwelt ist mehr frei von Plastik und ein weiteres Wachstum der Plastikproduktion wird prognostiziert. Manche Wissenschaftler*innen sprechen bereits vom Plastozän. Dabei ist ein Leben (fast) ohne Plastik möglich, sagt Carla Wichmann vom Bündnis Exit Plastik. 

Interview

Der Verbrauch von Plastiktüten in Deutschland ist seit dem EU-Verbot 2022 zurückgegangen. Was braucht es noch, um den Plastikmüll zu verringern?

Das Plastiktüten-Verbot ist ein gutes Beispiel, wie der Verbrauch von bestimmten Plastikartikeln punktuell reduziert werden kann. Ganz besonders wichtig ist aber, dass man systemische Lösungen schafft, die einen ganz anderen Umgang mit Plastik und Ressourcen allgemein ermöglichen, also zum Beispiel auch Papier. Notwendig ist der flächendeckende Ausbau und die gezielte Förderung kreislauffähiger Systeme und alternativer Geschäftsmodelle, die möglichst plastikfrei und ressourcenschonend sind. Im Verpackungsbereich heißt das zum Beispiel, das Angebot von unverpackter Ware zu stärken. Damit ich mir zum Beispiel meine Nudeln oder meinen Reis im Supermarkt einfach zapfen kann, so wie es die Unverpacktläden bereits vormachen. Außerdem heißt es, poolfähige Mehrwegsysteme in allen Bereichen und für alle nutzbar auszubauen. Also Mehrwegsysteme, in denen haltbare Verpackung in einem Kreislauf zirkulieren, etwa ein Kaffeebecher oder ein Joghurtglas, die möglichst oft wieder befüllt und deutschlandweit ganz einfach wieder abgegeben werden können. Wir kennen das schon gut aus dem Getränkebereich bei Wasser und Bier. Aber auch für viele weitere Supermarkt- und Drogerieartikel und Versandverpackungen gibt es bereits Mehrweglösungen, die sich dahingehend weiter entwickeln lassen. Derzeit kann Mehrweg kaum mit Einweg konkurrieren. Unternehmen profitieren beispielsweise davon, dass Umwelt und Gesundheitskosten nicht im Preis von Einwegprodukten und -verpackungen enthalten sind. Deshalb braucht es dringend politische Weichenstellungen, die einen gesetzlichen Rahmen für die notwendige Veränderungen schaffen.

Im Manifest #Plastikwende. Jetzt! beschreiben Sie Ihre Vision einer „Welt ohne Schäden durch Plastik“. Ein großes Vorhaben – wie wollen Sie es erreichen?

In unserem Plastikwende-Manifest zeichnen wir die Vision einer Welt, in der die Gesundheit von Mensch und Umwelt im Zentrum steht und in der sich wirtschaftliches, gesellschaftliches und politisches Handeln am Gemeinwohl, den planetaren Belastungsgrenzen und am Vorsorgeprinzip orientieren. Aktuell ist dies leider nicht der Fall und entlang des gesamten Lebenszyklus von Plastik, also beginnend mit der Extraktion der fossilen Rohstoffe für Plastik, bis hin zum Nutzungsende und der Entsorgung, entstehen Schäden an Mensch und Planet. Das muss sich ändern. Deshalb setzen wir uns für gesellschaftliche und strukturelle Veränderungen ein. Einerseits arbeiten wir an wirksamen Regulierungen, die sowohl auf nationaler als auch auf europäischer und globaler Ebene einen politischen Rahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt bilden. Andererseits sind wir aktiver Teil einer immer stärker werdenden globalen Bewegung, die Lösungen für die Plastikkrise bekanntmacht, vorantreibt und einfordert. Die Gesellschaft muss umfassend über die Gefahren durch Plastik und über Lösungsmöglichkeiten informiert sein, damit ein sozialer und umweltgerechter systemischer Wandel erfolgen kann. 

Was schlagen Sie konkret zur Lösung der Plastikkrise vor?

Der wichtigste und größte Hebel ist die Vermeidung. Das heißt, die Neuproduktion von Plastik eindämmen. Eine Verringerung der Neuproduktion bedeutet mehr Ressourcenschutz, mehr Abfallvermeidung, weniger Treibhausgasemissionen, weniger schädliche Chemikalien, die bei der Produktion eingesetzt werden und später entweichen können und auch weniger Kosten für die Allgemeinheit, die durch Plastik beispielsweise im Gesundheitssektor entstehen. Gleichzeitig schafft weniger Neuproduktion von Plastik auch mehr Raum für nachhaltige Alternativen, wie die schon erwähnten poolfähigen Mehrwegsysteme. Deshalb brauchen wir auf globaler und nationaler Ebene verbindliche Ziele zur Reduktion der Neuproduktion von Plastik.

Portrait Carla Wichmann
Ganz viel Potenzial liegt meines Erachtens in der Sharing-Ökonomie. Das könnte auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern.
Carla Wichmann, Bündnis Exit Plastik
Koordinatorin

Gute Idee. Aber an einer flächendeckenden Umsetzung hapert es, oder?

Deshalb sollten zum Beispiel auf die Produktion und das Inverkehrbringen von kurzlebigen Plastikartikeln und -verpackungen Abgaben erhoben werden, die dann wiederum nachhaltige Lösungen finanzieren können. Mehrwegquoten in allen Bereichen sollten den flächendeckenden Ausbau dieser Systeme fördern. Zudem könnten Rückgabe-Automaten im öffentlichen Raum und zum Beispiel eine „Mehrwegabfuhr“ die Nutzung und Rückgabe-Logistik für alle vereinfachen. Wie nachhaltig ein Produkt oder eine Verpackung ist, entscheidet sich schon in der Herstellung. Deshalb braucht es auch Vorgaben für das Produktdesign, damit diese lange haltbar und wiederverwendbar und am Ende der Nutzungszeit sicher und hochwertig recycelbar sind. Gefährliche Chemikalien in Plastikmaterialien und Plastikprodukten müssen ganz verboten werden.

Die Gesundheit von Menschen und des Planeten sind untrennbar miteinander verbunden. Eine kranke Umwelt tut Menschen nicht gut. Was bedeutet das im Hinblick auf Plastik?  

Wir sind abhängig von intakten und widerstandsfähigen Ökosystemen, die uns unter anderem gesunde Nahrung, sauberes Trinkwasser und frische Luft bereitstellen. Die Plastikproduktion heizt jedoch die Klimakrise an und fördert das Artensterben. Auch beim Recycling entstehen klimaschädliche Treibhausgase. Einige Plastiksorten, etwa PVC, und Plastikchemikalien stehen im Zusammenhang mit Krankheiten wie Krebs, Entwicklungsstörungen, Fortpflanzungsstörungen und Diabetes. Und Mikroplastik hat inzwischen noch den letzten Winkel unseres Planeten und sogar unserer Körper erreicht. Verschmutzungen und Freisetzungen toxischer Stoffe aus der Plastikproduktion belasten die an die Produktionsstätten angrenzenden Gemeinden unmittelbar. In neokolonialer Manier exportieren wir zudem die Verantwortung für unseren Plastikmüll in einkommensschwächere Länder, mit verheerenden Folgen für die Gesundheit der Menschen und Ökosysteme vor Ort. Es ist deshalb höchste Zeit für entschlossene Maßnahmen, die das Problem an der Wurzel packen. Eine große Chance bietet hier ein verbindliches globales Plastikabkommen, über das derzeit auf UN-Ebene verhandelt wird (News vom 11.11.2024). 

Wird es tatsächlich komplett ohne Plastik gehen? 

Die Frage ist eher, welches Plastik wir noch brauchen, weil es wirklich keine besseren Alternativen gibt, und was dieses Plastik dann leisten muss. Plastik ist ein wahnsinnig vielseitiges Material und wurde seit den 1950er-Jahren zu einem Stoff entwickelt, der inzwischen alle Bereiche unseres Lebens durchdringt. Deshalb ist es auch so schwer, Plastik aus unserem Alltag wegzudenken. Plastik massiv zu reduzieren, ist aber trotzdem möglich, insbesondere, wenn wir es systemisch angehen. In manchen Anwendungen wird Plastik weiterhin eine Berechtigung haben. Wichtig ist aber, bei diesen Anwendungen die Sicherheit zu haben, dass das Plastik so nachhaltig wie möglich produziert wurde, verantwortungsvoll gehandhabt wird, hochwertig recycelt werden kann und keine gefährlichen Chemikalien enthält.

Haben Sie ein persönliches Patentrezept für einen plastikfreien Haushalt? 

Leider haben wir hier in Deutschland noch nicht alle die gleichen Grundvoraussetzungen, Plastik zu vermeiden. Kaufe ich beispielsweise vornehmlich im Discounter ein, fällt die Möglichkeit, Produkte in Mehrwegverpackungen zu kaufen leider schon einmal weitestgehend weg. Ich habe immer einen dünnen Stoffbeutel dabei. Fürs Einkaufen nutze ich außerdem so kleine Netze, in die ich loses Obst und Gemüse packe, was dann an der Kasse auch so gewogen werden kann. Auf Reisen nehme ich gerne meine Metallbox mit, falls ich mir unterwegs etwas zu essen hole, und in der Küche habe ich einen waschbaren Lappen aus Baumwolle und einen Luffa-Schwamm. Gefreut habe ich mich, als mir kürzlich meine Tante gestand, wie peinlich es ihr zu Anfang war, als Einzige im Supermarkt mit diesen Gemüsenetzen an der Kasse zu stehen. Inzwischen sei das aber ganz selbstverständlich für sie geworden und allein fühle sie sich damit schon längst nicht mehr.

[Interview: Marion Busch]

Die Interviewpartnerin 

Carla Wichmann ist Koordinatorin des zivilgesellschaftlichen Bündnisses Exit Plastik, das sich für eine ressourcenschonende und schadstofffreie echte Kreislaufwirtschaft einsetzt. Sie hat Biologie, Hispanistik und Nachhaltigkeitswissenschaften studiert.

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