Plastik: ein stofflicher (Alb-)Traum
Das EU-Parlament hat zwei Gesetzesakte zur Eindämmung der Abfallberge angenommen. Die Verpackungsverordnung und Vorschriften zum Management von Kunststoffpellets, damit weniger Mikroplastik in die Umwelt gelangt. Umweltverbände reagieren enttäuscht bis verhalten positiv. Parallel diskutiert die Weltgemeinschaft über ein internationales Plastikübereinkommen und ein breites Bündnis fordert eine #Plastikwende.
Verpackungsverordnung mit vielen Ausnahmen
Pro Kopf entstehen in der EU jährlich fast 190 Kilogramm Verpackungsmüll. Um gegen die wachsenden Abfallmengen vorzugehen, wird derzeit die Verpackungsverordnung novelliert. Nach der von Umweltverbänden als „schwach“ bewerteten Parlamentsposition (EU-News 23.11.2023) hat das EU-Parlament am 24. April den mit dem Rat erreichten Kompromiss zum neuen Gesetz mit großer Mehrheit formal angenommen (Text). Sobald der Rat der Verordnung ebenfalls formal zugestimmt hat, gelten nach Inkrafttreten neue Zielvorgaben für die Verpackungsreduzierung: minus 5 Prozent bis 2030, minus 10 Prozent bis 2035 und minus 15 Prozent bis 2040. Damit weniger unnötige Verpackungen entstehen, gilt für Umverpackungen, Transportverpackungen und Verpackungen für den elektronischen Handel künftig, dass der Leerraumanteil höchstens 50 Prozent betragen darf. Hersteller und Importeure müssen außerdem für leichtere Verpackungen mit weniger Volumen sorgen.
Delara Burkhardt, die Schattenberichterstatterin der S&D-Fraktion für die Verpackungsregeln, nannte die reformierten Verpackungsregeln „gute Neuigkeiten für ein nachhaltigeres Europa“. Allerdings sei dieser Gesetzesakt „eines der am stärksten lobbyierten Gesetze dieser Legislaturperiode“ gewesen. Sie selber habe „weit über eintausend Lobbyanfragen aus der Industrie erhalten“. Trotzdem sei es gelungen, die Reduktion von Verpackungsabfällen in den Mittelpunkt der neuen Regeln zu stellen. „Denn wir können uns nicht einfach aus der Müllkrise herausrecyceln", so Burkhardt (Pressemitteilung).
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) nannte die EU-Verpackungsverordnung „absehbar wirkungslos“, weil sie „zu unverbindlich“ und „zu lasch“ sei und „zu viele Ausnahmen“ enthalte. Ein verbindliches Abfallvermeidungsziel und Recycling-Förderung seien zwar wichtige Schritte, diese kämen aber viel zu spät. Wirklich verboten würden nur dünne Plastikbeutel für Obst und Gemüse sowie kleinteilige Verpackungen in der Gastronomie oder Hotellerie. Allerdings sorge eine Ausnahmeregelung für kleine Gastronomiebetriebe dafür, dass schätzungsweise mehr als 60 Prozent der Verkaufsstellen in Deutschland gar nicht vom Einweg-Plastikverbot beim Vor-Ort-Verzehr betroffen seien.
Die beschlossenen Mehrwegquoten seien teilweise unverbindlich und zu niedrig angesetzt – vor allem aber lasse das Gesetz auch hier viele Ausnahmen zu. Eine davon sei „passgenau auf den Einweg-Discounter Lidl zugeschnitten“. Denn zu einer Gruppe gehörige Unternehmen könnten miteinander ihre Mehrwegquoten verrechnen, so dass Lidl sich beispielsweise das Mehrwegangebot von Kaufland gutschreiben lassen könne, statt selbst Mehrweg anzubieten, kritisierte die Organisation. Insgesamt sei auch „die Fokussierung der EU-Verordnung auf Kunststoff" ein Problem. So blieben Einwegverpackungen aus Pappe und Papier weitestgehend außen vor und Einwegplastik werde einfach durch „Einweg aus anderem Material“ ersetzt.
Weniger Kunststoffgranulat soll in die Umwelt gelangen
Das EU-Parlament hat außerdem am 23. April seine Position zum Vorschlag der EU-Kommission zum besseren Management von Plastikpellets angenommen, damit weniger Mikroplastik in Böden und Gewässern landet (angenommener Text). Der Umweltausschuss hatte darüber schon im März abgestimmt (EU-News 19.03.2024), nun zog das Plenum mit großer Mehrheit (X-Post von Seas At Risk) nach. Die neue Verordnung enthält verbindliche Mindestanforderungen für alle Beförderer und Betreiber entlang der gesamten Lieferkette, wobei der Geltungsbereich auf die Seeschifffahrt ausgeweitet wurde.
Die Meeresschutzorganisation Seas At Risk begrüßte, dass die Bemühungen der EU einen Schritt weitergekommen seien, die Verschmutzung durch Mikroplastik einzudämmen. Schließlich gingen im Durchschnitt jedes Jahr 1.566 Frachtcontainer auf See verloren. Allerdings hätten die Abgeordneten die Gelegenheit verpasst, die Verordnung zu verschärfen. Beispielsweise sollen Unternehmen, die weniger als 1.000 Tonnen Pellets pro Jahr umschlagen, von der obligatorischen Zertifizierung, den Audits und der Personalschulung ausgenommen werden. Immerhin stellt der Text nach Auffassung von Seas At Risk aber doch „eine deutliche Verbesserung gegenüber den ursprünglichen freiwilligen Präventionsmaßnahmen der Europäischen Kommission und allen früheren freiwilligen Initiativen der Industrie" dar. Mit diesem Gesetzesakt muss sich noch der Rat und dann das EU-Parlament in seiner neuen Zusammensetzung nach den Europawahlen final befassen.
Plastikmanifest und Plastikabkommen: Breites Bündnis fordert eine #plastikwende
Vom 23. – 29. April findet die vierte Verhandlungsrunde (INC4) über ein globales Plastikabkommen im Rahmen der Vereinten Nationen im kanadischen Ottowa statt (Exit Plastik berichtet; WECF mit Forderungen). Anlässlich dessen hat ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis ein starkes und global verbindliches Plastikabkommen gefordert. Mit einem am 18. April veröffentlichten „Manifest für eine #plastikwende. Jetzt!“ verbindet das Bündnis aus neun Organisationen den dringenden Appell an die Politik, die Weichenstellung für gesellschaftliche und strukturelle Veränderungen zur Lösung der weltweiten Plastikkrise vorzunehmen.
„Die Plastikwende muss jetzt kommen. Dazu gehört ein ambitionierter Abkommenstext, der die Neuproduktion von Plastik verringert und gefährliche Chemikalien in Plastik verbietet. Auch das nationale Verpackungsgesetz bietet dafür eine echte Chance“, erklären die Verbände. Greenpeace postete auf X: „Mit Recycling werden wir die #Plastikflut nicht stoppen können! Die einzige Lösung ist ein weltweites Abkommen, das die Produktion von Kunststoff drastisch reduziert!“ Neben BUND, dem Forum Umwelt & Entwicklung, Zero Waste und anderen als Verfassern des Manifestes gibt es einen breiten Unterstützerkreis, zu dem auch der Deutsche Naturschutzring gehört. [jg]
EU-Parlament: Neue EU-Vorschriften: weniger Verpackungen, mehr Wiederverwendung und Recycling
DUH: EU-Verpackungsverordnung absehbar wirkungslos: [...] weniger Müll und mehr Mehrweg
Seas At Risk: European Parliament votes in favour of plastic pellet pollution-free Europe
BUND et al.: Plastikmanifest: Breites Bündnis fordert eine #plastikwende