Transformationsdebatte
Die sozial-ökologische Transformation ist ein Begriff, der von vielen unterschiedlichen Akteur*innen unterschiedlich genutzt wird. Einig sind sich fast alle progressiven Kräfte, dass es um einen tiefgreifenden Wandel der Lebens- und Wirtschaftsweise der industrialisierten Länder gehen muss. Für uns ist dabei vor allem der wirtschaftliche Wandel zentral. Ändern wir nicht die Art und Weise zu wirtschaften, werden sich soziale und ökologische Ausbeutung nicht beseitigen lassen. Immer mehr Akteure der Zivilgesellschaft haben das auf Wachstumszwang und Konkurrenz basierende Wirtschaftssystem als Ursache der planetaren Krisen erkannt. Der nun etablierte Begriff „Sozial-ökologische Transformation“ ist also eigentlich zu knapp. Er steht für einen Wandel, der nur innerhalb eines radikalen ökonomischen Wandels passieren kann! Hier ein kleiner Überblick über die Genese des Begriffs aus unterschiedlicher Perspektive.
Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" (2011 - 2013) hatte den Auftrag, den Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft zu ermitteln, einen ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator zu entwickeln und die Möglichkeiten und Grenzen der Entkopplung von Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischem Fortschritt auszuloten. Unter anderem schlägt die Kommission in ihrem Abschlussbericht einen neuen Begriff von Wohlstand und eine neue Wohlstandsmessung vor, die neben dem materiellen Wohlstand auch soziale und ökologische Dimensionen von Wohlstand abbildet.
Das vom Smart CSOs Lab entwickelte englischsprachige Handbuch "Re.imagining Activism - A practical Guide to the Great Transition" will Aktivist*innen, die einen sinnvollen Beitrag für tiefergehenden Wandel leisten wollen, beraten, anleiten und unterstützen. Hierfür gibt das Handbuch praktischen Rat und Fragen zur Selbstreflexion zu Arbeit und Wandel in Organisationen, Kampagnen und der Gesellschaft. Das Smart CSOs Lab hat dabei eine radikale Vorstellung von Wandel und Transformation: Es muss einen Systemwandel geben: Dies bedeutet, dass das ganze System transformiert werden muss, es also einen tiefgreifenden Wandel aller Bereiche des Systems geben muss. Dabei sieht das Smart CSOs Lab zwei problematische Paradigmen - die Ausrichtung unseres Systems auf Wirtschaftswachstum sowie die Vorherrschaft des Marktes und von Konkurrenzmechanismen - als problematisch an. Diese müssen durch kulturellen Wandel hin zu Suffizienz, Solidarität und der Ausrichtung am menschlichen Wohlergehen ersetzt werden, um die Great Transition zu erreichen. Wie dieser Wandel von statten gehen soll erklärt das Transformationsmodell der Smart CSOs.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) wurde 1992 im Umfeld der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro von der deutschen Bundesregierung als unabhängiges wissenschaftliches Beratungsgremium eingerichtet. Wesentliche Aufgaben des WBGU sind es, globale Umwelt- und Entwicklungsprobleme zu analysieren und darüber in Gutachten zu berichten, sowie Handlungs- und Forschungsempfehlungen für die Bundesregierung und die breite Gesellschaft zu erarbeiten.
In ihrem zentralen Hauptgutachten „Welt im Wandel - Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ beziehen die Mitglieder des WBGU Stellung und beschreiben ihre Vision einer sog. Transformation sowie den Hauptakteuren ebendieser.
Für den WBGU ist klar, dass das heutige weltweite Wirtschaftssystem, welches zu Gänze auf die Verbrennung von fossilen Energieträgern angewiesen ist, ein untragbarer Zustand ist. Die Dekarbonisierung, also die Ablösung fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energie im globalen Maßstab, wird vom WBGU als die zentrale Aufgabe aller Transformationsbemühungen angesehen.
Wichtigste Aufgabe sei ist es, globale Kooperation für die Erreichung internationaler Klimaschutzabkommen (Paris 2015) sowie den globalen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) zu fördern und voranzutreiben. Zentraler Akteur für den WBGU ist hierbei der gestaltende Staat. Der entsprechende Auftrag heute lautet somit Transformation zu einer nachhaltigen Weltgesellschaft und Weltwirtschaft!
Besonders in ihrem neuen Sondergutachten aus dem Spätherbst 2016 „Entwicklung und Gerechtigkeit durch Transformation: Die vier großen I. Ein Beitrag zur deutschen G20 Präsidentschaft 2017“, machen die WBGU Mitglieder deutlich, wie internationale Krisen und eine kooperations- und demokratiefeindliche Gegentransformation den Übergang zur Nachhaltigkeit gefährden.
Diese Dynamiken begünstigen den Eindruck, die Globalisierung sei ein Elitenprojekt, was in vielen Ländern zum Aufstieg eines autoritären, völkischen Nationalismus beigetragen hat. „Our country first“-Bewegungen sind Absagen an internationale Kooperation und an den Schutz globaler öffentlicher Güter. Damit steht der „Großen Transformation zur Nachhaltigkeit“ (WBGU, 2011) eine autoritäre, neonationalistische Gegentransformation gegenüber, die die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaften, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bedroht.
Diesen Tendenzen muss eine klare Vision einer globalen, solidarischen Zukunft entgegen gestellt werden. Eine besondere Verantwortung kommt nach dem WBGU der Gruppe der G20 zu, die ca. 82% des Weltsozialprodukts erwirtschaften, gleichzeitig aber auch ca. 80% der globalen Treibhausgasemissionen verursachen und ausstoßen.
Die Gruppe der G20 müsse somit:
- Anstreben, ein Dekarbonisierungsziel zu vereinbaren, welches den Ländern vorschreibt, ihre CO2-Emissionen bis 2050 auf null abzusenken.
- Finanzierungsmodelle zu entwickeln und umzusetzen, welche den Weg in eine nachhaltige Zukunft unterstützen. Für den WBGU wären sog. Zukunftsfonds geeignete Mittel, welche Investitionen in zukunftsträchtige Innovationen fördern und sich aus der CO2-Bepreisung sowie aus eine progressiven Nachlasssteuern (10-20 % des nationalen Erbschafts- und Schenkungsvolumens) speisen.
- Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspolitik als globales Gerechtigkeitsprojekt verstehen.
- Nationalismus und autoritäre Bewegungen zurückdrängen. Eine so gestaltete nationale wie internationale Nachhaltigkeits- und Klimaschutzpolitik wäre ein geeignetes Projekt der G20, um nationalistisch-autoritären Bewegungen und deren Absagen an internationale Kooperation einzuhegen.
In ihrem Buch "Transformation 3.0 - Raus aus der Wachstumsfalle" fordern Michael Müller und Johano Strasser eine offensivere politische Diskussion für einen sozialökologischen Innovationsschub jenseits der klassischen Wachstumsdoktrin. Denn die Autoren sind sich sicher: Ohne einen neuen Fortschritt geraten wir immer tiefer in die Geiselhaft von Wachstum. Die Alternative heißt Nachhaltigkeit. Das Buch entwirft eine konkrete Vision, um den globalen Kapitalismus sozialökologisch zu bändigen: hin zu angepasster Mobilität, dezentraler Energieversorgung und effektivem Weltfinanzsystem; hin zu humanen Maßstäben für Wirtschaft und Lebensqualität.