50 Jahre internationale Umweltpolitik – Was bleibt von Stockholm 1972?
Im Sommer 2022 trifft sich die United Nations Conference on the Human Environment zum 50. Mal. 1968 hatte die schwedische Regierung bei den Vereinten Nationen einen Antrag für eine internationale Konferenz eingereicht, auf der die Weltgemeinschaft sich mit den Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt befassen sollte. Diese Weltumweltkonferenz in Stockholm 1972 gilt als Beginn der globalen Umweltpolitik und legte den Grundstein für einige der wichtigsten internationalen Abkommen der nächsten Jahrzehnte.
In den 1960er-Jahren zeigten sich die Folgen der Industrialisierung auf Umwelt und Natur deutlich. Industrieländer in Europa litten zunehmend unter saurem Regen, der Flüsse und Seen verseuchte und Wälder zerstörte. Insbesondere Skandinavien war von den Umweltauswirkungen des sauren Regens betroffen, dessen Ursprung in der durch Kohleverbrennung verschmutzen Luft der Industriegebiete Großbritanniens und Westdeutschlands lag. Schweden verlangte eine internationale Lösung dieser transnationalen Verschmutzung.
Die Stockholm-Konferenz 1972 war geprägt von den Konflikten des Kalten Krieges. Der Ausschluss der DDR aus der Konferenz führte zu einem Boykott der Konferenz durch die Sowjetunion und der Staaten des Warschauer Paktes. Großbritannien, die USA und andere westliche Staaten versuchten insgeheim die Konferenz zu unterminieren, um Auswirkungen potenzieller Umweltregulierung auf Handel und Volkswirtschaften zu verhindern. Die Volksrepublik China war erst im Oktober 1971 als einzige Vertretung Chinas in den Vereinten Nationen ernannt worden (anstelle der Republik China, die nach dem Bürgerkrieg 1945 nach Taiwan geflohen war), und verurteilte öffentlich die Verbrechen der USA in Vietnam, Laos und Kambodscha. Viele Länder des Globalen Südens hatten erst wenige Jahre zuvor ihre Unabhängigkeit erhalten. Armut und politischen Umbrüche zeichneten ihre politische Lage, in der globale Umweltpolitik eher als erneute westliche Einflussnahme gewertet wurde.
Mensch und Natur in Einklang bringen
Umso bemerkenswerter, dass man sich auf der Konferenz auf 26 Prinzipien für Umwelt und Entwicklung einigte, die bis heute internationale Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik prägen. Wegweisend bleibt, dass an erster Stelle der Prinzipien die Umsetzung der Menschenrechte und die Verurteilung von Apartheid und Kolonialismus steht. Die Verhandler*innen der Konferenz erkannten damit den hohen Wert der Würde und Freiheit des Menschen und legten den Grundstein für das zwei Jahrzehnte später auf der Rio-Konferenz bestätigte Verständnis, dass nachhaltige Entwicklung einen Einklang von Mensch und Natur braucht.
Auch die weiteren Prinzipien sind hochrelevant für die heutige Zeit. Schutz natürlicher Ressourcen und der Erdsysteme, Sorge vor Übernutzung, Zerstörung und Verschmutzung, Notwendigkeit des Teilens von Wissen und Kapazitäten sowie Umsetzung nationaler Pläne für die Verwirklichung des gemeinsamen Abkommens sind noch immer Kernbestandteil heutiger Umwelt- und Klimaverhandlungen. Die Weltumweltkonferenz 1972 führte zur Gründung von Umweltbehörden und -ministerien auf der ganzen Welt – in Deutschland 1974 Gründung des Umweltbundesamts – und des UN-Umweltprogramms (UNEP) mit Sitz in Nairobi, Kenia.
Die Konferenz in Stockholm vor 50 Jahren war wegweisend. Deswegen ist es gut, ihr Jubiläum dieses Jahr zu feiern. Dass dies über Sentimentalitäten und Unverbindlichkeit hinausgeht, bleibt allerdings fragwürdig. So wichtig internationaler Dialog über Umweltpolitik in den letzten fünf Jahrzehnten geworden ist und wie beachtlich der Erfolg ist, dass überhaupt so viele Abkommen für Umwelt- und Klimaschutz existieren, so sehr fehlt aber die Ernsthaftigkeit ihrer Umsetzung. Noch immer überwiegen ökonomische Bedenken, noch immer werden Entwicklungs- beziehungsweise Sozialpolitik und Umweltpolitik als Entweder-oder betrachtet, noch immer bleibt es bei globalen Vereinbarungen ohne nationale Realisierung.
Dass das Niveau der globalen Umwelt-, Klima-, Nachhaltigkeitspolitik nicht reicht, ist allen klar. Der Blick auf die Stockholm-Prinzipien zeigt, dass wir noch immer die gleichen Umweltprobleme haben wie vor 50 Jahren. Die meisten sind sogar schlimmer geworden. Die Biodiversitäts- und Klimakrise, die Verschmutzung von Ökosystemen, Flächenversiegelung, Überproduktion und -konsum, Vorstoß in bis dato unangetastete Lebensräume, technologische Lösungsversuche und Freiwilligkeit statt politischen Handelns, die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Eine wichtige Lektion können wir dennoch aus Stockholm 1972 ziehen: Trotz der scheinbar unüberwindbaren politischen Gegensätze und gravierenden Umbrüche des Kalten Krieges sind Staaten zusammengekommen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Sauren Regen gibt es - wenigstens in Europa - dank Luftreinheitsmaßnahmen kaum noch. Gemeinsamer Wille, handlungsorientierte Diplomatie und klare rechtsverbindliche Konsequenzen müssen die kommenden internationalen Verhandlungen bestimmen. Die nächste Chance für bedeutungsvolle globale Umweltpolitik wäre die Schaffung eines Abkommens zur Reduzierung von Plastik. Ein Mandat dafür soll auf der Sitzung der Umweltversammlung des UNEP im Februar 2022 verhandelt werden.
Die Autorin
Die Politikwissenschaftlerin arbeitet beim Forum Umwelt und Entwicklung als Leiterin für Nachhaltigkeitspolitik. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) in Deutschland, Europa und global sowie internationale Umwelt- und Meerespolitik. Marie-Luise Abshagen engagiert sich seit vielen Jahren für Menschenrechte und die Verwirklichung nachhaltiger Entwicklung.