Agri-Fotovoltaik: Energiegewinnung zwischen Landwirtschaft, Klima- und Naturschutz?
Die vollständige Versorgung Deutschlands mit erneuerbaren Energien ist mit umfassenden Veränderungen in der Landschaft verbunden. Insbesondere die Naturverträglichkeit dieses Prozesses ist eine Herausforderung, denn für einen erfolgreichen Klimaschutz ist der Schutz der Biodiversität entscheidend.
Im Eckpunktepapier von Bundeswirtschaftsministerium, Bundesumweltministerium und Bundeslandwirtschaftsministerium vom 10. Februar 2022 wurden Maßnahmen vorgeschlagen, wie der Ausbau der Fotovoltaik im Einklang mit landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz vorangebracht werden kann. Als Ansatzpunkt wird unter anderem der Ausbau der sogenannten Agri-Fotovoltaikanlagen (Agri-FV) genannt. Nur, was sind Agri-FV genau und werden sie helfen, eine naturverträgliche Energiewende zu erreichen?
In Agri-FV-Systemen werden die verwendeten Flächen zugleich landwirtschaftlich und für die Stromgewinnung genutzt. Dabei steht die landwirtschaftliche Tätigkeit im Vordergrund und die Energieerzeugung ist dieser nachgeordnet. Der Ertrag der Kulturen unter den Modulen soll nach der DIN-Spezifikation DIN SPEC (eine Standardisierung unter Federführung des Deutschen Instituts für Normung) mindestens 66 Prozent eines festgelegten Referenzertrages erreichen, wie es im Leitfaden des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme heißt. Laut Eckpunktepapier der Bundesministerien sollen Agri-FV-Anlagen zukünftig auf allen landwirtschaftlichen Flächen grundsätzlich zulässig sein. Schutzgebiete, Grünland oder naturschutzrelevante Ackerflächen sollen dabei aus Natur- und Klimaschutzgründen ausgeschlossen bleiben.
Merkmale von Sonnenkollektoren auf Agrarflächen
Die Ausrichtung der Module, ihre Platzierung und der Überstellungsgrad der Fläche sind variabel. Es lassen sich zwei Anlagentypen unterscheiden: Bei hochaufgeständerten Anlagen findet die landwirtschaftliche Hauptnutzung unter den Modulen statt. Die Aufständerung hat daher eine Höhe von mindestens 2,10 Metern über dem Boden. Im Obst- und Weinbau können die Module die Früchte vor Regen, Hagel oder auch Frost schützen. Sie haben das Potenzial, andere Schutzsysteme wie Folien oder Netze zu ersetzen – vorausgesetzt, sie stehen dicht genug.
Bodennahe vertikale Anlagen haben den Vorteil, dass sie – mit den geringsten Überstellungsanteilen – insgesamt nur wenig Fläche verbrauchen. Die landwirtschaftliche Hauptnutzung erfolgt hier zwischen den Modulen. Diese können entweder schräg wie im herkömmlichen Solarpark, vertikal ausgerichtet oder auch verstellbar sein.
Eine Solaranlage auf dem Feld kann Windschutz bieten und so der Austrocknung der Böden entgegenwirken. Darüber hinaus wird derzeit erforscht, ob und wie die Kulturpflanzen von den aufgeständerten Modulen profitieren. Möglicherweise sind sie durch geringeren Hitzestress resilienter und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln könnte reduziert werden.
Der klare Vorteil der Agri-FV besteht darin, die Flächenkonkurrenz zwischen Landwirtschaft und Stromerzeugung zu verringern. Ein Nutzen für den Naturschutz wird sich allerdings erst einstellen, wenn Agri-FV regelmäßig mit einer Umstellung auf eine extensivere oder ökologische Landwirtschaft verbunden wird. Bleibt die landwirtschaftliche Nutzung aufgrund der festgelegten und zwingend zu erreichenden Ertragsschwellenwerte oder Referenzerträge so intensiv wie zuvor, würde sich die Nutzung pro Flächeneinheit durch die Überlagerung eher verdichten, der Naturhaushalt würde nicht entlastet.
Nutzen für den Naturschutz nur mit Agrarumweltmaßnahmen und extensiver Bewirtschaftung
Angesichts des Rückgangs der Biodiversität in der Agrarlandschaft empfiehlt das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende KNE, Agri-Fotovoltaik generell mit Extensivierungs- beziehungsweise Agrarumweltmaßnahmen zu verknüpfen. Die bisher vorgesehenen Regelungen zur Höhe oder zum Anteil des landwirtschaftlichen Ertrags reizen eine intensive landwirtschaftliche Nutzung eher an.
Die politischen Erwartungen an den Ausbau der Agri-FV sind hoch. Die tatsächlichen Ausbauperspektiven können derzeit aber noch nicht abschließend eingeschätzt werden. Deutschlandweit wurden bisher nur wenige Agri-FV-Anlagen außerhalb von Forschungsprojekten errichtet, sodass sich für die Praxis viele Fragen zu den technischen Besonderheiten, zur Förderfähigkeit und zur Naturverträglichkeit der Anlagen ergeben.
Sowohl Naturschutz als auch Landwirtschaft befürchten, dass mangelnde Steuerung zu Intensivierungseffekten und damit zu weniger Naturschutz in der Landwirtschaft führt. Zudem besteht noch großer Forschungsbedarf zu möglichen Auswirkungen von großflächigen Überstellungen auf Böden, Flora und Fauna in der freien Landschaft.
Das KNE empfiehlt daher, im Erneuerbare-Energien-Gesetz eine möglichst konkrete Festlegung zu treffen, welche Flächenkulisse für Agri-Fotovoltaik vorrangig genutzt werden sollte. Mit der Lenkung auf bereits intensiv genutzte Standorte, insbesondere auf solche mit Sonderkulturen, könnte unerwünschten Effekten gut vorgebeugt werden.
Konventionelle Solar-Freiflächenanlagen, bei denen die bisherige intensive Bewirtschaftung durch eine Pflegenutzung oder durch Pflegemaßnahmen (Mahd) ersetzt wird, bieten nach Auffassung des KNE vorerst bessere Voraussetzungen für einen naturverträglichen und biodiversitätsfördernden Ausbau der Freiflächen-Fotovoltaik in Agrarlandschaften. Diesem Nutzungstyp sollte daher – aus Naturschutzsicht – im Vergleich zur Agri-Fotovoltaik der Vorzug gegeben werden.
Die Autorin
Dr. Julia Wiehe ist Landschaftsplanerin und promovierte zur Naturverträglichkeit des Energiepflanzenanbaus an der Leibniz Universität Hannover. Am Institut für Umweltplanung leitete sie mehrere Forschungsprojekte zum Thema erneuerbare Energien und Naturschutz. Seit April 2022 ist sie im Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende als Referentin für Solarenergie tätig.