„Das Wasser sollte als wertvolles Gut angesehen werden“
Laut UN-Dürrebericht von Mitte Mai sind seit der Jahrtausendwende Anzahl und Dauer von Dürreperioden weltweit um fast 30 Prozent gestiegen. Und den Prognosen zufolge könnten 2050 mehr als drei Viertel der Weltbevölkerung von Trockenheit betroffen sein. In Deutschland plagen mehrere Dürrejahre hintereinander Mensch und Natur. Fünf Prozent der Waldfläche sind hierzulande in den vergangenen vier Jahren verschwunden. Die Landnutzung muss möglichst schnell lernen umzudenken, fordert Susanne Winter im Interview.
Gegen den Wassermangel kann eine naturverträgliche Waldwirtschaft helfen. Dabei ist die Wahl der Baumarten der Schlüssel. Welche Bäume sind das?
Eine naturnahe Waldwirtschaft mit Laubbäumen wirkt dreifach positiv. Erstens: Das Waldinnenklima von Laubwäldern hat eine höhere Luftfeuchtigkeit. Naturnahe Waldwirtschaft hält das Kronen-Laubdach und die Waldränder geschlossener, sodass die Feuchtigkeit besser gehalten werden kann. Zweitens: Laubwald kühlt. Die Temperatur im Laubwald ist deutlich geringer als im benachbarten Nadelforst oder auf der Freifläche. Und drittens: Laubbäume ermöglichen eine höhere Grundwasserbildung. Insbesondere Buchenwälder sind gute Grundwasserspender, sodass bei Trockenperioden im Durchschnitt mehr Wasser im Boden zur Verfügung steht und der Wald länger vital bleiben kann. Nadelforste hingegen fördern die Austrocknung der Landschaft.
Die industrielle Landwirtschaft und fehlende Nachhaltigkeits-Regularien in den globalen Lieferketten und der EU zerstören weltweit Wälder und andere Ökosysteme. Reicht der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zum Stopp der europäisch verantworteten globalen Entwaldung und Naturzerstörung aus, um dies zu unterbinden?
Der Gesetzesvorschlag, der im November 2021 von der Europäischen Kommission veröffentlicht wurde, ist hilfreich. Er wird aber nur dann ein Gewinn für den Wald- und Klimaschutz sowie die Artenvielfalt, wenn bestehende Schlupflöcher geschlossen werden. Wichtig ist, dass neben Soja, Rindfleisch, Palmöl, Kaffee und Kakao auch alle Holzprodukte, andere Tiere und ihre Fleischprodukte und mindestens noch Kautschuk mit aufgenommen werden. Zudem sollten neben Wald auch weitere Ökosysteme wie Grasland, Savannen und Feuchtgebiete berücksichtigt werden. Es wäre sehr bedenklich, ein Ökosystem wie den Wald zu schützen und die Zerstörung auf andere Ökosysteme zu verlagern, die für den Klimaschutz und die biologische Vielfalt ebenso unverzichtbar sind. Wir alle, Politik, Wirtschaft und Verbraucherinnen und Verbraucher, müssen den Übergang zu einer zerstörungsfreien, naturverträglichen Wirtschaftsweise schaffen, um die biologische Vielfalt und das Klima – für unser zukünftiges Leben – zu erhalten.
Besonders wichtig wäre zudem, dass alle Erstinverkehrbringer von Waren und alle Händler den Sorgfaltspflichten und der gleichen Kontrollstärke unterliegen. Wenn nicht alle Beteiligten in der Lieferkette Verantwortung zeigen und nachweisen müssen, werden sie Umgehungswege finden, und wir werden weiterhin Entwaldung mit unseren Produkten verursachen. Wenn nur wenig kontrolliert würde, bliebe die Verordnung langfristig gänzlich wirkungslos. Das Gesetz braucht ein klares Umgehungsverbot, damit wir den dringend notwendigen Waldschutz erreichen können. Für einen zahnlosen Papiertiger bleibt uns keine Zeit mehr.
Bäume wachsen nicht so schnell nach, wie der Klimawandel voranschreitet. Gibt es eine kurz- bis mittelfristige Lösung für einen stabilen Landschaftswasserhaushalt?
Stabilität kann in einem dynamischen Prozess kaum gewährleistet werden. Aber wir wissen sehr gut, wie der Landschaftswasserhaushalt deutlich verbessert werden kann, nämlich durch einen wirksameren Wasserrückhalt. Jeder Graben im Wald und vor allem in der Landwirtschaft entwässert die Landschaft und trägt zu ihrer Austrocknung bei. Moore können viel Wasser speichern und in trockeneren Zeiten die Luft befeuchten. Entwässerung von Moorböden, auch Moorwäldern, führt nicht nur zur massiven Freisetzung von Kohlendioxid und Reduktion der Bodenfruchtbarkeit, sondern fördert auch die Austrocknung des Geländes. Die Landnutzung muss hier möglichst schnell lernen umzudenken. Nicht die frühe Einsaat, die durch Entwässerung ermöglicht wird, sollte im Vordergrund stehen, sondern das Wasser sollte als wertvolles Gut angesehen werden. Biber zeigen zum Teil sehr eindrucksvoll, wie schnell und nachhaltig große Bereiche mit nur einem oder wenigen Stauen wieder vernässt werden können. Hier können wir uns viel abschauen. Maßnahmen zum Wasserrückhalt sind auch deshalb wichtig, weil die Niederschläge unregelmäßiger und mit Starkregen fallen. Wenn es stark regnet, muss das Wasser für die nächste Trockenzeit als Vorrat zurückgehalten werden. Das schnelle Ableiten von Wasserspitzen verstärkt die nachfolgende Trockenzeit.
Problematisch ist auch, dass wir durch die Versiegelung unserer Böden beständig viel zu viel Wasser in die Kanalisation oder Vorfluter [ein oberirdisches Gewässer, in das z.B. Regenwasser oder Abwasser eingeleitet werden kann, etwa ein Bach; Anm. der Red.] abführen. Diese Erkenntnis liegt schon Jahrzehnte vor, doch die zunehmende Versiegelung wird nicht gestoppt. Der öffentliche wie private Boden wird immer mehr versiegelt. Auch hier ist dringend ein Umdenken nötig.
Der Bodenzustand ist entscheidend für das Entstehen neuer Waldlandschaften – im Amazonas-Regenwald ebenso wie in Deutschlands geschädigten Nadelwäldern. Welche Maßnahmen sind dafür am dringendsten zu ergreifen?
Neue baumreiche Landschaften können schneller entstehen, wenn der Boden noch humusreich ist. Wenn durch Übernutzung oder Bodenerosion der Humus abgebaut oder verlagert wurde und die Landschaft weitestgehend baumlos ist, können zu Beginn bodenstabilisierende Maßnahmen notwendig sein. Neben der spontan sich entwickelnden Vegetation kann Säen von krautigen Pflanzen und Pflanzung von Büschen, die den Boden mit ihren Wurzeln festhalten und mit Nährstoffen anreichern, erst einmal sinnvoll sein. So vielfältig wie die Ausgangssituation sind die möglichen Maßnahmen. In vielen Gegenden der Welt ist zum Beispiel der Weidedruck sehr hoch, sodass die Pflanzungen zusätzlich vor Verbiss geschützt werden müssen.
Nach dem Absterben von Wäldern in Deutschland sollten die Flächen weitestgehend nicht geräumt und natürliche Prozesse zugelassen werden. So etablieren sich bei uns schnell Pioniergehölze (Birke, Pappeln, Weiden). Wenn hinreichend gejagt wird, dann entsteht auch auf landwirtschaftlichen Flächen sehr schnell ein Wald. In den Pionierwald hinein können, wenn nötig oder gewünscht, Ergänzungspflanzungen erfolgen. Wichtig ist, das natürliche Angebot an Totholz und sich verjüngenden Baumarten zu nutzen. Für den Boden ist es schädlich, durch eine Räumung des abgestorbenen Bestandes ein trockenes Freiflächenklima zu schaffen und womöglich durch Bodenbearbeitung den gewachsenen Boden mit seinem im Humus gespeicherten Kohlenstoff zusätzlich zu stören.
Nicht nur auf der Südhalbkugel oder am nördlichen Polarkreis (2019) wüten jedes Jahr Feuer und zerstören wertvolle Ökosysteme. Auch vor unserer Haustür steht der Wald regelmäßig in Flammen. Löschen allein löst das Problem längst nicht mehr. Wie lautet Ihr Patentrezept gegen den Burnout der Bäume?
Weit über 90 Prozent der Waldbrände sind menschengemacht. Wir haben es somit in der Hand, die Brände zu verhindern. Das Patentrezept liegt in der Prävention, aber auch in der konsequenten Strafverfolgung von Brandstiftern. Die tropischen Regenwälder sind eigentlich keine feuerempfindlichen Ökosysteme, weil sie natürlicherweise sehr feucht sind. Die immer weiter voranschreitende Umwandlung der Wälder in landwirtschaftliche Flächen, die Fragmentierung durch Infrastruktur und die Übernutzung der noch vorhandenen Wälder macht sie trockener und feuerempfänglich. Brandrodung ist das zerstörerische Vorgehen, die Wälder durch Feuer zu vernichten. Diese sollte durch den gesetzlichen Ausschluss von Waren, die von den neu gewonnenen landwirtschaftlichen Flächen stammen, verhindert werden. Hier sind Gesetzgebung, Politik, Polizei, Gerichte und die Wirtschaft gefragt, um entwaldungsfreie Lieferketten unserer Rohstoffe und Produkte als wirksame Maßnahme zu gewährleisten.
In Deutschland wurde die Branderkennung deutlich verbessert, sodass entstehende Brandherde schneller entdeckt werden. Das ist gut, denn je schneller die Feuerwehr vor Ort sein kann, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass noch gelöscht werden kann, bevor großer Schaden entsteht. Wasserrückhalt und die gezielte und mutige Wiederherstellung von Wassereinzugsgebieten senken zudem die Feueranfälligkeit.
Das Interview führte Marion Busch.
Die Interviewpartnerin
Dr. Susanne Winter ist Diplom-Forstwirtin und hat im Fach Forstwirtschaft promoviert. Seit 2016 arbeitet sie als Programmleiterin Wald im WWF Deutschland.