Die populistische Herausforderung für die Umweltpolitik

Im Wahlkampf vor der jüngsten Bundestagswahl wurde wieder deutlich: Populist*innen versuchten, durch falsche Behauptungen die Wahlentscheidungen zu beeinflussen. Das gilt insbesondere auch für die Umweltpolitik. In einer, aufgrund zahlreicher Krisen, verunsicherten Gesellschaft treffen populistische Äußerungen und Unwahrheiten auf fruchtbaren Boden. Was Demokrat*innen dagegen tun können, erklärt Johanna Siebert vom Progressiven Zentrum.
Interview
Was ist mit Populismus gemeint?
Die Definition, die wir im Projekt „Umweltpolitik und populistische Herausforderung“ verwenden, macht Populismus an drei Merkmalen fest: Anti-Elitismus, Anti-Pluralismus und Pro-Volkssouveränität. Anti-Elitismus meint die Erzählung von vermeintlich interessen- und ideologiegetriebenen Eliten, pauschal behauptet, ohne Belege. Das können Eliten in Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft sein, die angeblich mutwillig, gar böswillig handeln würden. Im Anti-Pluralismus wird der moralisch abgewerteten Elite ein moralisch aufgewertetes Volk gegenübergestellt. Diesem Volk wird in der Erzählung ein einheitlicher Volkswillen zugeschrieben, der von den Eliten hintergangen oder betrogen wird. Pro-Volkssouveränität baut darauf auf und geht von der Annahme aus, dass Politik immer die direkte Erfüllung des einheitlichen Volkswillens sein muss. Populist*innen verstehen sich deshalb oftmals als alleinige Vertreter*innen dieses Volkswillens, ohne tatsächlich die Bevölkerung konsultiert zu haben. Vermittelnde Institutionen, die unterschiedliche Interessen in der Gesellschaft aushandeln, werden abgelehnt. Zusammen münden die drei Merkmale in die Erzählung von einem homogenen Volk mit einem einheitlichen Volkswillen, das moralisch eine reine Weste hat, aber von vermeintlich bösen oder ideologiegetriebenen Eliten um das betrogen wird, was ihm angeblich zusteht und sich daher die Macht zurückholen muss.
Was heißt das für die Klima- und Umweltpolitik?
Wenn die populistische Erzählung gegen institutionelle Umweltpolitik und umweltpolitisches Handeln mobilisiert wird und Umweltpolitik per se als ideologiegetrieben und illegitim darstellt, dann sprechen wir von umweltregressivem Populismus. Also Populismus, der dazu dient, umweltpolitisches Handeln per se zu verunglimpfen, zu behindern und zu delegitimieren. Ein Beispiel dafür ist die Erzählung von einer angeblich mutwilligen Deindustrialisierung oder von einem großen Umverteilungsprojekt von unten nach oben durch umweltpolitische Akteure.
Welches Ziel verfolgen Sie im Projekt „Umweltpolitik und die populistische Herausforderung“?
Das Ziel ist, für die Umweltverwaltung, in unserem Fall das Bundesumweltministerium und die nachgelagerten Behörden, also zum Beispiel das Bundesamt für Naturschutz oder das Bundesamt für Strahlenschutz, strategische Ansätze für den Umgang mit populistischen Interventionen zu entwickeln. Es geht darum, dass die Verwaltung resilienter gegenüber diesen Interventionen wird. Wie kann man als Institution aktiv handeln, statt nur zu reagieren, was muss man an der eigenen Kommunikation ändern, aber auch an der Art, wie man Politik gestaltet? Es geht darum, als Verwaltung souverän aufzutreten, sich weniger angreifbar zu machen und insgesamt weniger Nährboden für populistische Interventionen zu bieten.
Gibt es schon erste Erkenntnisse?
Die finale Handreichung mit den strategischen Ansätzen wird im Mai vorliegen. Das Projekt lief über drei Jahre und wir haben die Ansätze mit Verwaltungsmitarbeitenden aus dem Umweltbereich, mit Vertreter*innen von Umweltorganisationen und Organisationen der Demokratieförderung erarbeitet. Um sich langfristig aufzustellen in einer Gesellschaft, in der umweltpolitisches Handeln umstritten ist und es immer Gewinner*innen und Verlierer*innen gibt, muss der strategische Umgang auf verschiedenen Handlungsfeldern stattfinden.

Zum Beispiel laufen viele populistische Interventionen über den digitalen Raum. Hier ist die Frage, wie man ad-hoc reagieren kann und wie man sich als Verwaltung langfristig digital aufstellt. Aber es geht eben nicht nur um die Kommunikation, sondern auch darum, wie Umweltpolitik in einer ungleichen Gesellschaft gestaltet wird. In jeder populistischen Erzählung steckt ein Funken Wahrheit, was dazu führt, dass diese Narrative besonders verfangen. Eine weitere Empfehlung ist deshalb, die sozialen Folgewirkungen von Umwelt- und Klimapolitik stärker zu berücksichtigen, um die Angriffsfläche für populistische Narrative zu reduzieren.
Populistische, gar demagogische Bestrebungen gefährden nicht nur den notwendigen sozial-ökologischen Umbau unserer Gesellschaft, sondern auch deren Grundpfeiler: die Demokratie. Was geben Sie der Zivilgesellschaft dagegen in die Hand?
Die Handreichung selbst richtet sich an die Umweltverwaltung. Aber die Kernbotschaften sind durchaus auch für zivilgesellschaftliche Organisationen im Umweltbereich interessant. Letztlich ist die Umweltverwaltung auch auf die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft angewiesen. Im Rahmen des Projekts finden deswegen unter anderem Vernetzungsworkshops zur Allianzbildung statt. Die Zivilgesellschaft ist vor Ort meist gut verankert und genießt ein anderes Vertrauen im Umgang mit bestimmten Akteuren, dadurch kann sie auch ganz anders handeln als die Verwaltung. Aber auch die Kooperation mit Institutionen der Demokratieförderung ist wichtig. Um Akzeptanz für Klima- und Umweltpolitik zu generieren, ist eine breite Vernetzung essenziell. Ich würde die Zusammenarbeit vor allen Dingen auf der kommunalen Ebene, mit Sozialverbänden, Gewerkschaften, kirchlichen Trägern, mit Sportvereinen stärken. Denn die haben ganz andere Zugänge zu Gesellschaftsgruppen, die weniger umweltbewegt sind. Außerdem glaube ich, dass Umweltverbände von den Erfahrungen von Demokratieförderorganisationen im Umgang mit Populismus und Rechtsextremismus viel lernen können.
Wenn Sie einen Wunsch für die Zukunft frei hätten: Wie lautet er?
Ich würde mir wünschen, dass wir Umweltgerechtigkeit viel stärker ins Zentrum rücken und Umwelt- und Sozialpolitik stärker miteinander verzahnen. Die Gestaltung von umwelt- und klimapolitischen Maßnahmen sollte immer eine Analyse der sozialen Verteilungswirkungen beinhalten: Wer trägt die Kosten? Wer profitiert vom Nutzen? Für wen gestalten wir Umwelt- und Klimapolitik? Ist es eher für eine umweltbewusste obere Mittelklasse, die wir etwa mit der Prämie fürs E-Auto und mit Subventionen für die Haussanierung fördern, oder wollen wir, dass die Mehrheit von den Maßnahmen profitiert, beispielsweise über den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur?
Meiner Meinung nach müssen wir viel mehr auf kollektive Ansätze der Klimapolitik als auf preisbasierte Instrumente setzen. Es muss ein Umdenken geben, weg von der Verantwortung des Individuums und hin zum Ausbau kollektiver Systeme, die möglichst ökologisch verträglich sind und gleichzeitig das Leben für eine große Mehrheit verbessern. Denn ein Großteil der Menschen fragt sich: Warum soll ich mich um Klimaschutz kümmern, wenn meine Grundbedürfnisse im Hier und Jetzt nicht erfüllt sind?
Und dabei müssen wir uns immer wieder fragen: Wer finanziert das? Wen möchten wir belasten und wen entlasten? Ich plädiere dafür, die große Mehrheit am unteren Ende zu entlasten und ihr mehr gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, während wir diejenigen am oberen Ende in ihrem klimaschädlichen Verhalten einschränken und sie für die Finanzierung des Umbaus in die Verantwortung nehmen.
Interview: Marion Busch
Die Interviewpartnerin
Johanna Siebert ist Senior Projektmanagerin beim Progressiven Zentrum. Sie arbeitet unter anderem zu antidemokratischen Interventionen in der Klima- und Umweltpolitik sowie zu Gerechtigkeitsfragen in der Transformation.