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Digitale Biopiraterie : Hat die technische Entwicklung das Nagoya-Protokoll überholt?
News | 13.04.2022
#Biodiversität und Naturschutz

Digitale Biopiraterie : Hat die technische Entwicklung das Nagoya-Protokoll überholt?

Aloe Vera - Multitalent unter Heilpflanzen
© pixabay
Aloe Vera - Mulitalent unter Heilpflanzen

Auf der UN-Biodiversitätskonferenz im Herbst in Kunming (China) geht es auch um den Zugang zu genetischen Ressourcen und einen fairen Vorteilsausgleich, wie ihn das Nagoya-Protokoll vorsieht. In der EU berät ein Expert*innengremium über die Umsetzung der gerechten Nutzteilhabe. Deutschland ist dabei vergleichsweise weit vorangekommen.

Die Forderung nach einer gerechten Teilhabe an der Nutzung genetischer Ressourcen ist eine der drei gleichrangig nebeneinanderstehenden Ziele der UN-Konvention über biologische Vielfalt (CBD), auch der Erhalt der biologischen Vielfalt und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile gehören dazu. Für alle drei Ziele muss in der Europäischen Union eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Während die beiden anderen Ziele relativ leicht nachvollziehbar erscheinen, gibt es beim 3. Ziel zur gerechten Nutzteilhabe genetischer Ressourcen viel mehr Widerstand, kompliziertere Zusammenhänge und Zuständigkeiten. Dabei ist es hoch relevant, wer denn Teilhabe bekommen soll, wenn die Pharma- oder Kosmetikindustrie eine Pflanze „entdeckt“, die für ein Produkt interessant erscheint – etwa Aloe Vera als Heilpflanze –, und dann vielleicht auch noch das dazu gehörende traditionelle Wissen nutzt.

Das Nagoya-Protokoll wurde geschaffen, um das 3. Ziel umzusetzen. In der EU wird die Europäische Kommission dabei von einem Expert*innengremium beraten, dem ABS (Access and Benefit-Sharing) Consultation Forum. Das Nagoya-Protokoll ist ein völkerrechtlich bindender Vertrag, der den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile aus ihrer Nutzung regelt. In Deutschland sind das Bundesumweltministerium (BMUV) beziehungsweise das Bundesamt für Naturschutz (BfN) zuständig. 133 Staaten sind Vertragsstaaten, Nicht dabei sind USA, Kanada, Australien. In allen EU-Staaten befindet sich die Umsetzung des Nagoya Protokolls auch nach über sechs Jahren noch in der Frühphase. Deutschland ist im Vergleich zu anderen EU-Staaten dabei relativ weit, denn es gibt eine aktive Clearingstelle und die meisten Nutzer. Bei der Umsetzung soll die Internetplattform  DECLARE helfen. Ein Tool, das bei der Registrierung europäischer Nutzer*innen genetischer Ressourcen und zur Erfüllung der ABS-Vorschriften eingesetzt wird. Es arbeitet seit September 2017 und wurde bis jetzt weit über 100-mal genutzt, hauptsächlich von Nutzer*innen in Deutschland.

Der Teufel steckt im Detail

Es gibt zahlreichen Fragen, die geklärt und geregelt werden müssen, zum Beispiel: Sind Subunternehmer*innen Nutzer*innen genetischer Ressourcen? Fällt eine zweite Nutzung nach 20 Jahren unter das ABS-Regime? Fällt das menschliche Biom, also die Mikroorganismen innerhalb und außerhalb des menschlichen Körpers, unter die CBD und unter ABS? Welche unterschiedlichen Interessen haben Privatsammlungen und staatliche Sammlungen von genetischen Ressourcen? Fällt die reine botanische oder zoologische Bestimmung unter das ABS-Regime? (Tut sie nicht). Gibt es Interessenkonflikte? Auch die Frage, wann ein Derivat einer Verbindung noch der gleiche Stoff ist oder schon ein anderer, stellt die Teilnehmer*innen vor eine schwierige Aufgabe, die noch gelöst werden muss. Das Ergebnis dieses Austausches ist ein Leitfaden zum Nagoya-Protokoll, der 2020 verabschiedet wurde und die Rechte und Pflichten der Nutzer*innen erklärt.

Ursula Gröhn-Wittern
Es ist möglich, die genetische Information nur in digitaler Form zu erfassen und zu speichern. Man braucht nicht mehr unbedingt die physische Pflanze oder das Tier.
Ursula Gröhn-Wittern
Diplom-Agraringenieurin

Die Möglichkeiten, die die Digitalisierung genetischer Informationen bieten, sind von großer Bedeutung. Ein Fortschritt, den man bei der Schaffung der CBD und des Nagoya-Protokolls noch nicht voll erkennen konnte und nicht im Blick hatte. Es ist möglich, die genetische Information nur in digitaler Form zu erfassen und zu speichern. Man braucht nicht mehr unbedingt die physische Pflanze oder das Tier. Nutzt jemand diese Information, ist es dann ein Vorgang, der unter das Nagoya-Protokoll fällt? Man braucht den Organismus dafür ja nicht einmal mehr außer Landes zu schmuggeln, es reicht eine E-Mail. Hat hier die technische Entwicklung ein Abkommen überholt? 2020 wurden zwei Studien erstellt, die die rechtlichen, politischen und technischen Aspekte der Digitalisierung untersuchen, aber nicht den Standpunkt der EU darstellen.

Den Entwicklungsländern bleibt die Möglichkeit, wie es Brasilien und Malaysia getan haben, in ihrer nationalen Gesetzgebung die digitale Nutzung mit zu berücksichtigen. Ihrem Beispiel werden andere folgen, wenn es keine Lösung des Problems gibt.

Logischerweise wollen die industriellen Nutzer*innen den administrativen und finanziellen Aufwand bei jeder Regelung so klein wie möglich halten. Die Interessen der Ursprungsländer angemessen zu vertreten und hochzuhalten, ist nicht leicht. Sie sind im ABS Consultation Forum der EU auch nicht dabei. Die Aufgabe des Forums zeigt, dass es erhebliche Lücken gibt, die sich aus neuen technischen Möglichkeiten oder neuen Arbeitsgebieten wie das menschliche Binom ergeben, die geschlossen werden müssen, um die Umsetzung des ABS praktikabel zu machen. Es geht nur langsam voran, und für viele Nutzer*innen sind die fehlenden Regelungen nicht ungünstig.

Das Sammeln genetischer Ressourcen ohne Information und Einverständnis der Staaten und indigenen Bevölkerung geht weiter. Dabei stehen besonders Organismen, die dürreresistent sind, zum Beispiel in heißen Quellen leben, oder Schnecken und Amphibien, die auf ihrer Haut antibiotische Stoffe tragen, aber auch Bodenorganismen, Fische und Tiefseeorganismen im Fokus.

Das Thema Biopiraterie hat sich längst noch nicht erledigt. Weil es so kompliziert ist, arbeiten leider nur noch wenige Menschen dazu. Schade, denn Expertise wäre dringend nötig, um den Entwicklungsländern Wege aufzuzeigen und ihre Kompetenzen bei den Verhandlungen zu stärken und aufzubauen.

Nachteile für Vertragsstaaten?

Die Modalitäten bei der Nutzung genetischer Ressourcen müssen international ähnlich und abgestimmt sein. Sonst haben die Staaten, die nichts regeln, einen Wettbewerbsvorteil. Je detailreicher die Regulierungen desto schwieriger wird die Umsetzung, und es könnte die Frage gestellt werden, ob man ein Protokoll auch totregeln kann.

Die EU, Japan und die Schweiz haben deutlich gemacht, dass sie in kommenden Verhandlungen nicht bereit sind, wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen, nur weil sie Vertragsstaaten sind. Sie sehen, dass die USA, die nicht die CBD unterzeichnet haben, nun eventuell Vorteile haben. In Zeiten, in denen Verträge aufgekündigt werden, je nachdem, ob man sich Vor- oder Nachteile ausrechnet, steht es schlecht für Abkommen, die wirtschaftliche Aktivitäten um der Gerechtigkeit willen eingrenzen. Die CBD und das Nagoya-Protokoll brauchen daher die Unterstützung der Zivilgesellschaft.

Die Autorin

Die Diplom Agrar-Ingenieurin Ursula Gröhn-Wittern hat eine Zusatzausbildung in tropischer Landwirtschaft und arbeitete lange beim Forum für internationale Agrarpolitik FIA.  Ihre Schwerpunktthemen sind die Erhaltung genetischer Vielfalt in der Landwirtschaft, Agrarökologie und die Rechte der Bauern und Bäuerinnen an ihrem Saatgut. Sie engagiert sich in Hamburg in der Entwicklungspolitik und in der ländlichen Entwicklung im südlichen Afrika.

 

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