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Frustrierende Kompromisse bei Industrieemissionen
EU-News | 30.11.2023
#Emissionen #Klima und Energie #Kreislaufwirtschaft #Landwirtschaft und Gentechnik #Wirtschaft

Frustrierende Kompromisse bei Industrieemissionen

Blick auf Kühe vor Dampfwolken ausstoßenden Kraftwerken im Hintergrund (pixabay/Peggychoucair)
© Pixabay / Peggychoucair

Die EU-Institutionen haben sich im Trilog auf neue Regeln für Industrieemissionen geeinigt. Umweltverbände kritisieren, dass die EU die umweltschädlichsten Massentierhaltungsbetriebe vom Gesetz ausnehmen will. Immerhin verschärfen sich aber Vorschriften für Müllverbrennungsanlagen.

Stickstoffoxid, Ammoniak, Quecksilber…nicht nur qualmende Schornsteine von Fabriken, auch Massentierhaltungsbetriebe können ein Umweltrisiko sein, der menschlichen Gesundheit schaden und horrende Folgekosten verursachen. EU-Parlament und EU-Ministerrat haben sich am 29. November auf die überarbeitete Industrieemissionsrichtlinie (IED) und die Etablierung eines Industrieemissionsportals (IEP) geeinigt. Dafür wird das bisherige Europäische Register zur Erfassung der Freisetzung und Verbringung von Schadstoffen (E-PRTR) umgewandelt. Das IEP soll den Bürger*innen Zugang zu Daten über alle EU-Genehmigungen und lokale Verschmutzungstätigkeiten bieten.

Nach Angaben der EU-Kommission werden die Vorschriften für die Gewährung von Ausnahmeregelungen zum weiteren Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit verschärft. Ein neues Innovationszentrum für industrielle Transformation und Emissionen (INCITE) soll der Industrie dabei helfen, Lösungen zur Verminderung der Umweltverschmutzung und transformative Technologien zu finden. Betreiber von Industrieanlagen sollen von „flexiblen Genehmigungen zur Umsetzung tiefgreifender Transformationstechniken profitieren“ und müssen dafür Transformationspläne entwickeln, um die Null-Schadstoff-Ziele der EU bis 2050, Kreislaufwirtschaft und Dekarbonisierung zu erreichen. Unternehmen, die die Vorschriften nicht einhalten, müssen mit Strafen in Höhe von mindestens drei Prozent ihres Jahresumsatzes in der EU rechnen.

Größere Reichweite, vorerst ohne Rinderbetriebe

Neu ist, dass sich die IED künftig auf mehr Anlagen erstrecken wird als bisher. Dazu gehören großflächige Intensivtierhaltungsbetriebe, allerdings nur Schweine- und Geflügelhaltungsbetriebe. Bei Schweinen liegt der Kompromiss jetzt bei einem Schwellenwert von 350 Großvieheinheiten (GVE), wobei eine GVE etwa 500 Kilogramm Körpergewicht entspricht. Ein Mastschwein entspricht so berechnet etwa 0,12 GVE. Das heißt, die neue IED deckt Schweinehaltungsbetriebe mit mehr als 1.200 Tieren ab, mit Ausnahme von Bio-Schweinehaltungsbetrieben oder extensiv bewirtschafteten Betrieben. Die Schwelle für Geflügel liegt bei 300 GVE für Legehennen und 280 GVE bei Masthühnern. In Zahlen von Greenpeace ausgedrückt: Der Schwellenwert für Betriebe, die Hühner für die Fleischproduktion halten, bleibt unverändert bei 40.000 Hühnern, während der neue Schwellenwert für Legebetriebe bei über 21.500 Legehennen liegt, statt wie bisher bei 40.000. Für Betriebe, die sowohl Schweine als auch Geflügel halten, liegt die Grenze bei 380 GVE.

Rinderhaltungsbetriebe sind von der neuen IED ausgenommen, sollen aber bis zum 31. Dezember 2026 einer Neubewertung unterzogen werden, ob Emissionsreduktionen notwendig sind. Tierhaltungsbetriebe unterliegen insgesamt weniger strengen Genehmigungsregelungen als komplexe Industrieanlangen.

Da die Gewinnung von Metallen und großmaßstäbliche Herstellung von Batterien in der EU für den grünen und digitalen Wandel erheblich ausgeweitet werden, soll die überarbeitete IED „das nachhaltige Wachstum dieser Tätigkeiten in der EU unterstützen und so zu den Zielen der Rechtsakte über kritische Rohstoffe und Netto-Null-Industrie beitragen“, so die EU-Kommission.

Die Brüsseler Behörde begrüßte das Ergebnis. Maroš Šefčovič, Exekutiv-Vizepräsident der Kommission für den europäischen Grünen Deal, sagte: „Die modernisierten Emissionsvorschriften werden den ökologischen Wandel fördern und unterstützen.“ Wenn die überarbeitete Richtlinie über Industrieemissionen und die neue Verordnung über das Industrieemissionsportal von Parlament und Rat förmlich angenommen und im Amtsblatt erschienen ist, tritt sie am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft. Dann haben die Mitgliedstaaten 22 Monate Zeit, um die neuen Vorschriften umzusetzen.

Frustration: Untergrabung von Rechten, Freifahrtsscheine für Verschmutzung und besserer Schutz erst ab 2030

Das Europäische Umweltbüro (EEB), das Klimaaktionsnetzwerk CAN Europe und ClientEarth bezeichneten das Ergebnis der Einigung als „frustrierend“. Mit der neuen IED werde der „umweltschädliche Status quo aufrechterhalten“. Die Vorschriften für mehr als 50.000 Industrieanlagen in Europa würden den Zielen des Green Deal nicht gerecht. Statt die Bevölkerung zu schützen, würden die Verursacher geschont: „Die Ausklammerung industrieller Viehzuchtbetriebe aus dem Geltungsbereich, die jahrzehntelangen Verzögerungen bei der Umgestaltung der Industrie und der fehlende Schutz der von illegaler Verschmutzung betroffenen Menschen untergraben das Potenzial“. Es sei „inakzeptabel“, dass Gesetze über die Transformation der Schwerindustrie weiterhin nicht die notwendige Verknüpfung von Klima, Ressourcen und Umweltverschmutzung herstellen. Die Verschmutzung durch industrielle Aktivitäten koste wegen der Gesundheitsschäden Milliarden. Aber Kompromisse schwächten nun das Entschädigungsrecht: Vor allem schutzbedürftige Opfer, die an Krebs oder Herzkrankheiten leiden, könnten sich in komplexen Gerichtsverfahren nicht von Organisationen der Zivilgesellschaft vertreten lassen. Gleichzeitig sei die neue IED ein Rückschritt bei den Vorschriften für die industrielle Schweine- und Geflügelhaltung, da entscheidende Elemente wie Genehmigungs- und Meldesysteme, Mindestinspektionshäufigkeiten oder die Überwachung des Wasser- und Bodenschutzes ausgeschlossen seien, kritisierten die Organisationen. Konkrete Maßnahmen zur Verringerung von Ammoniak und Methan sowie zur ordnungsgemäßen Gülleentsorgung in der Schweine- und Geflügelhaltung würden erst nach 2030 in Kraft treten.

Greenpeace kritisierte ebenso, dass die größten Viehzuchtbetriebe und die Rinderhaltung ausgenommen und mit einem „Freifahrtsschein für Verschmutzung“ ausgestattet worden sind. Marco Contiero, Greenpeace-Direktor für EU-Agrarpolitik, sagte: „Das ist eine Farce. […] Die europäischen Landschaften ertrinken in Gülle, und unsere saubere Luft, unser frisches Wasser und unser sicheres Klima gehen mit ihnen den Bach runter.“ Agrarlobbyisten und ihre konservativen politischen Verbündeten hätten behauptet, dass die Familienbetriebe unter der IED leiden würden, obwohl über 99 Prozent der Rinderbetriebe gar nicht betroffen gewesen wären.

Die Umweltorganisation Zero Waste begrüßte die IED-Neuerung, die eine obligatorische Überwachung der Dioxinemissionen von Abfallverbrennungsanlagen und Mitverbrennungsanlagen während der gesamten Betriebszeiten vorschreibt. Damit werde „endlich, zumindest teilweise, eine wichtige Genehmigungs- und Überwachungslücke geschlossen“, die sich auf die Dioxinüberwachung in der besonders kritischen An- und Abfahrphase beziehe. Ein einziger Kaltstart könne nämlich mehr giftige Stoffe erzeugen als ein mehrmonatiger Normalbetrieb.

Sowohl Rat (EU-News 17.03.2023) als auch Parlament (EU-News 13.07.2023) hatten den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission vom April 2022 abgeschwächt. [jg]

 

Rat: Industrial emissions: Council and Parliament agree on new rules [...]

EU-Parlament: Pollution: deal with Council to reduce industrial emissions

EU-Kommission: Einigung auf straffere Regeln zu Emissionen in Industrie und Landwirtschaft

EEB et al.: The EU indulges the largest industrial polluters with new emissions rules

Greenpeace: EU gives factory farms a free pass to pollute

Zero Waste: Long-awaited revamp of [IED] improves dioxin monitoring in incinerators

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