Grüne Investitionen: neue Hintertür für Gaskraftwerke?
Nach Informationen des Nachrichtenmagazins Euractiv hat die EU-Kommission einen neuen Entwurf zur Taxonomie erarbeitet, wonach bestimmte Wirtschaftsaktivitäten als nachhaltig eingestuft werden sollen. Gaskraftwerke könnten dann als Übergangstechnologie gelten.
Aus einem geleakten Dokument der EU-Kommission, das Euractiv vorliegt, geht anscheinend hervor, dass Gaskraftwerke, die weniger als 2.000 Stunden pro Jahr in Betrieb sind, in eine Übergangskategorie in der Taxonomie für nachhaltige Finanzen fallen würden, weil sie „die Zuverlässigkeit der Stromversorgung gewährleisten“, bis ihre Betriebsstunden bis 2050 schließlich auf null sinken. Damit könnten solche Gaskraftwerke von Investitionen profitieren.
Im Detail benennt die Kommission offenbar zwei Optionen. Die erste Option erkenne eine Rolle für „gasförmige und flüssige Brennstoffe“ als Backup für die Stromerzeugung an, vorausgesetzt „die direkten Treibhausgasemissionen der Tätigkeit sind geringer als 244 Gramm CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde (gCO2e/kWh)“ oder die Emissionen über den gesamten Lebenszyklus des Kraftwerks sind „geringer als 820 Kilogramm CO2-Äquivalent pro Kilowatt (kgCO2e/kW) der installierten Nettokapazität.“
Die zweite Option bestehe darin, eine neue Kategorie zu schaffen, die „die Rolle der gasbefeuerten Stromerzeugung“ für die Netzstabilität anerkennt, vorausgesetzt, dass „die Tätigkeit mit Lebenszyklus-Treibhausgasemissionen verbunden ist, die niedriger sind als 820 kgCO2e pro kW der installierten Nettoleistung pro Jahr.“
„Bei einem Gaskraftwerk, das speziell zur Aufrechterhaltung der Zuverlässigkeit der Stromversorgung durch einen Beitrag zur Netzstabilität eingesetzt wird, kann davon ausgegangen werden, dass es 2.000 Stunden pro Jahr oder weniger in Betrieb ist“, zitiert Euractiv aus dem Textentwurf.
Eigentlich hätte die Kommission die endgültige Liste von Aktivitäten, die für Investitionen als nachhaltig klassifiziert sind, bereits im Januar dieses Jahres vorlegen sollen. Allerdings habe die enorm hohe Beteiligung an einer öffentlichen Konsultation die Arbeiten an der Liste verzögert (EU-News vom 21.01.2021).
Welchen Stellenwert fossiles Gas in der EU-Taxonomie einnehmen soll, ist schon lange umstritten. Im November 2020 hatte die Kommission noch verkündet, dass nur Gaskraftwerke, die nicht mehr als 100 Gramm CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde ausstoßen, als nachhaltig gelten dürften. Damit hätten es faktisch alle bestehenden mit Erdgas betriebenen Kraftwerke nicht in die Liste nachhaltiger Finanzprodukte geschafft (EU-News vom 12.11.2020).
Im Dezember hatten dann die EU-Länder Bulgarien, Kroatien, Griechenland, Malta, Polen, Rumänien, die Slowakei, Tschechien, Ungarn und Zypern gegenüber der Kommission anscheinend ihre Bedenken zur Taxonomie geäußert. Ein gemeinsames Papier „betonte die Notwendigkeit, die Möglichkeit der Nutzung von Gas als Übergangskraftstoff beizubehalten“, und bestand auch auf „der Möglichkeit, Wasserstoff aus verschiedenen Energiequellen zu nutzen“, nicht nur aus erneuerbaren Energien, heißt es Euractiv zufolge.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Rolle von Atomkraft. Hierzu hatte die Kommission ihr Gemeinsames Forschungszentrum (Joint Research Council, JRC) schon im Sommer 2020 beauftragt, zu untersuchen, ob nukleare Energie als nachhaltige Wirtschaftsaktivität in die grüne Liste Eingang finden soll. Die deutsche Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen) hatte das Vorgehen damals scharf kritisiert, da das JRC durch Euratom mitfinanziert werde (EU-News vom 22.07.2020).
Euractiv: LEAK: EU considers expanding role of gas in green finance
Redakteurin: Ann Wehmeyer