Junges Engagement fördern
Junge Menschen treten nicht mehr selbstverständlich in die Engagementfußstapfen ihrer Eltern: Diese Beobachtung aus den 1980er und 90er-Jahren ist Ausgangspunkt moderner Engagementpolitik und des 20 Jahre alten Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE), das vom DNR mitgegründet worden war.
Der 13. Deutsche Bundestag (1994-1998) hatte eine Enquete-Kommission zu neuen Formen des Neuen Ehrenamtes empfohlen. Hintergrund waren die Erkenntnisse, dass Wohlfahrtsorganisationen nicht mehr so auf milieugebundenen Nachwuchs im Ehrenamtsbereich setzen konnten wie früher. Die Kinder ihrer Ehrenamtlichen engagierten sich, aber viele von ihnen halt in anderen Organisationen, Formaten und Projekten. Zum Glück, möchte man sagen, denn wie sonst hätten die vielen neuen Engagementpfade, etwa im Umweltschutzbereich, verfolgt werden können? Der 14. Deutsche Bundestag (1998-2002) öffnete diese Fragestellung radikal mit der Einrichtung der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ und legte so in den Jahren 2001/2002 den Grundstein für moderne Engagement- und Demokratiepolitik im 21. Jahrhundert.
Diese hat die ganze Breite bürgerschaftlichen Engagements im Blick, nicht nur Freiwilligenarbeit und Ehrenamt, sondern ebenso alle Spendenformen und -arten, unternehmerisches bürgerschaftliches Engagement, philanthropisches Handeln, alle Übergangszonen zwischen Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Staat und Familie und die Interdependenzen zwischen diesen Themen. Mit Blick darauf hat die letzte Mitgliederversammlung des BBE eine AG Engagement junger Menschen eingesetzt. Auch eine AG Bildung mit dem Themenschwerpunkt „Lernen durch Engagement“ (LdE) existiert seit der Gründung des BBE.
Junges Engagement: Lebensphase des Probehandelns
In einer alternden Gesellschaft wird das Jungsein immer kostbarer und damit auch für zivilgesellschaftliche Organisationen wertvoller, junge Menschen zu gewinnen. Zudem verbindet sich hier schon elementar die Frage nach der Gewinnung von jungem Engagement mit der nach der Integration von Kindern Zugewanderter (Integration durch Engagement). In einem internen Workshop des BBE zu jungem Engagement, kurz vor der Coronapandemie, sollten alle Beteiligten aufschreiben, ab wann junges Engagement altersmäßig beginnt und wann es altersbedingt endet. Die Antworten reichten für den Beginn vom Babyalter bis zu 18 Jahren, für das Ende von der Volljährigkeit bis fast zur Rente.
Die Phase des jungen Engagements ist durch Probehandeln geprägt. Ein Probehandeln, das auf den sogenannten Ernst des Lebens vorbereitet. In unserer modernen Gesellschaft gibt es mit der Schulpflicht sogar einen gesetzlichen Anker, der die Kinder und Jugendlichen zum Besuch einer Bildungsinstitution verpflichtet. Nach dem Ende der Schulpflicht differenziert sich das Leben des Probehandelns. Weiterer Schulbesuch, Studium, Lehre oder ein Freiwilligendienst können die von Probehandeln bestimmte Lebensphase verlängern, aber auch ein sofortiger Berufseinstieg ist möglich. Das bedeutet auch, dass Gleichaltrige nicht alle gleichzeitig aufhören, in diesem qualitativen Sinne jung zu sein. Der 20-jährige Student verbleibt noch in dieser Lebensphase, die 20-jährige Gesellin, die Wärmepumpen einbaut, hat sie verlassen. Fließend wird aus jung alt.
In der Phase des Probehandelns wissen die jungen Menschen selbst, dass ihr Handeln noch keinen unmittelbaren Einfluss auf Gesellschaft, Geschichte und Wirtschaft hat. Die mathematische Berechnung der Flugbahnen von Drohnen in einer Klassenarbeit ist für die Schulnote wichtig, damit auch für eigene spätere Lebenschancen – diese Berechnung ist aber bedeutungslos für den Schutz der Tierwelt vor Wilderern. Dazu müsste man Teil der Umweltorganisation sein, die Drohnen genau dafür in Afrika einsetzt. Diese Erkenntnis birgt ein gewaltiges Potenzial für echte bürgerschaftliche Engagementerfahrungen, die verändernd auf die Welt einwirken und diese in kleinem Maß zu einem besseren Ort machen. Die Erfahrung eigener Wirksamkeit wirkt gerade in dieser Lebenssituation als ein besonderes Aha-Erlebnis.
Greta Thunberg hatte das Kunststück fertiggebracht, durch das gezielte Boykottieren der Probehandeln-Situation Schule die Absurdität sichtbar zu machen, in der sie sich als junger Mensch sah. Denn die gesellschaftliche Ohnmacht junger Menschen in dieser Phase wird durch einen Verweis auf ein Später gerechtfertigt, das durch den Klimawandel dabei ist, abhanden zu kommen. Die Älteren, so Thunbergs Botschaft, spielen ein falsches Spiel und betrügen die Jüngeren. Sie wurde auch deshalb zum Bezugspunkt vieler junger Menschen, weil sie genau in diesem Dilemma leben, dass dann, wenn sie an der Reihe sind, die volle Verantwortung zu tragen, die ältere Generation schon alles unaufhaltbar ruiniert haben wird.
Bürgerschaftliches Engagement als Einflussnahme auf die wirkliche Welt kann in der Probehandelnphase daher auf keinen Fall in seiner Wirkung für die jungen Menschen selbst und ihre Entwicklung unterschätzt werden. Lernen durch Engagement (LdE) als ein Pfad politischer Bildung ist deshalb auch allen rein diskursiven Redeprozessen überlegen, gerade in dieser Lebensphase. Ebenso sind Mikroförderungen sehr effektiv, wenn junge Menschen dadurch in die Lage kommen, konkrete Vorhaben gemeinsam zu realisieren. Ältere Engagierte räumen kleinere oder größere Finanzklippen häufig dadurch aus dem Weg, dass sie ihr eigenes ehrenamtliches Handeln durch Geldspenden aus eigener Tasche ermöglichen.
Freiwilligendienste stellen hier eine interessante Übergangszone dar. Als Lerndienste gehören sie noch zur Phase des bildungsorientierten Probehandelns. Gleichzeitig aber sollen die Freiwilligen an ihren Einsatzorten für die Ziele der jeweiligen Einrichtung tatsächlich wirksam tätig sein, letztlich wie eine hauptberuflich beschäftigte Person. Für die Freiwilligen gibt es aber lediglich Taschengeld, was wiederum das Probehandeln unterstreicht.
LdE, Mikroförderungen oder Freiwilligendienste können intensiv und nachhaltig die weitere Engagementbiografie prägen und bürgerschaftliches Engagement selbstverständlich machen. Allerdings schließt die Erfahrung der Wirksamkeit eigenen Handelns die Widerständigkeit der Wirklichkeit ein. Reservierte Spielwiesen für junges Engagement braucht niemand, ebenso wenig nützen Samthandschuhe oder Kritikenthaltung. Die Chance bürgerschaftlichen Engagements ist der ernste gesellschaftspolitische Wind, der in ein die Lebensphase des Probehandelns weht. Ernst nehmen durch faire Kritik ist dabei förderlich.
Spontaneität trifft Tradition – eine strategische Chance
Beim jungen Engagement ist zwischen selbstorganisiertem Einsatz und einem solchen zu unterscheiden, der in Organisationen stattfindet, die über eine Tradition verfügen. Traditionsbildung geschieht schneller, als es vielen bewusst ist. Fridays for Future ist heute ein organisatorisches Bündnis mit Tradition. Wenn sich ein selbst organisierter Zusammenhang nicht schnell wieder auflöst, ist das nicht zu vermeiden. Immer wenn eine plötzliche Not auftritt, kann man selbstorganisierte Prozesse beobachten, die sich danach wieder auflösen. Als Facebook noch neu war und die Oder die Ufer überflutete, bildeten sich über das soziale Medium selbstorganisiert Gruppen junger Menschen, die plötzlich an den Deichen erschienen, um zu helfen – und sahen sich ehrenamtlichen Katastrophenschützern gegenüber, denen die Lebensgefahr bewusst war, in die sie sich begaben. Die spontanen Gruppen lösten sich nach der Flut wieder auf und hinterließen den etablierten Akteuren die Herausforderung, solche Formen der spontanen Selbstorganisation künftig in ihre Planungen und Strategien mit einzubeziehen.
Dem Nachwuchs Verantwortung zum Gestalten übertragen
Der Hauptweg für junges Engagement führt hingegen über schon vorhandene Organisationen, die auf eine eigene, unverwechselbare Tradition zurückblicken. Obgleich Fridays for Future oder die Letzte Generation noch jungen Datums sind, unterscheiden sie sich in ihren Strukturen und Ansätzen ebenso voneinander wie WWF, BUND oder Greenpeace. Für erkennbare Tradition muss man nicht wie der Arbeitersamariterbund auf fast 140 Jahre Geschichte zurückschauen oder wie Johanniter und Malteser die eigene Geschichte fast 1.000 Jahre zurückverfolgen. Karnevalsvereine, Freiwillige Jugendfeuerwehren, Sportvereine, Umweltschutzvereine – in allen Sparten der Zivilgesellschaft steigen junge Engagierte traditionsgebunden ein und verlassen den Raum bildungsorientierten Probehandelns. Sie haben Teil am immer wieder geäußerten gemeinsamen Projekt, zu dem sich fast alle bürgerschaftlich Engagierten verabredet haben: die Welt ein klein wenig besser machen.
Dabei kann es für junge Engagierte besonders attraktiv sein, Teil einer großen, wahren Geschichte zu werden, wenn diese in der Organisation lebendig ist und gelebt wird. Das kann mehr als entschädigen für das fehlende Gefühl, alles selbst in der Hand zu haben – was die meisten Menschen, ob jung oder alt, auch eher als Belastung empfinden. Die Selbstwirksamkeitserfahrung mag durch das traditionsgebundene Umfeld weniger ausgeprägt sein, dafür befindet man sich aber gesichert in einer bedeutenden realen Gestaltungssituation. Es kommt nur darauf an, dass man wirklich vollwertig im Rahmen der eigenen Kompetenzen dabei sein kann.
Letzteres beschreibt die eigentliche Herausforderung: das Vermeiden von zugewiesenen Spielwiesen und Reservaten. Junge Menschen sind so divers wie ältere. Ihnen Reservate zuweisen zu wollen, etwa nach dem Motto, dass sich Jüngere besser mit sozialen Netzwerken auskennen und sie sich deshalb für die Organisation darum kümmern sollten, geht fehl. Zum einen stimmt das nur für manche junge Menschen. Zum anderen können das vor allem bequeme Versuche sein, sich zentralen Themen der eigenen Organisationsentwicklung zu entziehen. Es geht darum, das Engagement vom Ende her zu denken, der Endlichkeit jedes, auch des eigenen Engagements. Nachwuchsgewinnung ist Nachfolgegewinnung, und je wohldefinierter eine Tradition ist, desto klarer ist das Ziel, tatsächlich Platz zu machen, und genau das sorgfältig vorzubereiten – im Wissen, dass es danach anders weitergeht.
Der Autor
Dr. Rainer Sprengel leitet den Arbeitsbereich Information und Kommunikation beim BBE. Seit Jahren ist er in der Organisationsentwicklung im Bereich bürgerschaftliches Engagement tätig.