„Zur Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten gehören wir Menschen ebenfalls dazu, auch wenn wir das häufig vergessen.“
Sie waren gerade bei den Vorverhandlungen zum neuen globalen Biodiversitätsabkommen in Genf. Welche Haupterkenntnis bringen Sie mit?
Es ist ernüchternd zu sehen, dass man in gut zwei Wochen Verhandlungen kaum weitergekommen ist. Das neue Biodiversitätsabkommen sollte in der Lage sein, den Verlust von Arten und Lebensräumen global bis 2030 zu stoppen und umzukehren. Dafür braucht es klare Ziele und starke Umsetzungsmechanismen inklusive ausreichender Finanzierung, damit es ähnlich wirksam werden kann wie das Pariser Klimaabkommen. Davon sind wir aber weit entfernt. Bei den Zielen in den Bereichen Renaturierung, Schutzgebiete, Umweltverschmutzung, nachhaltigere Landwirtschaft oder Abbau naturschädigender Subventionen, hat man sich auf keine Zahlen einigen können. Die braucht es aber, um einen klaren Pfad aufzuzeigen und den Fortschritt messen zu können. Die Frage der Finanzierung, an der das gesamte Abkommen scheitern könnte, blieb ungeklärt. Die Länder des Globalen Südens machen aber sehr klar, dass sie sich ohne konkrete Finanzzusagen nicht zu einem wirksamen Abkommen verpflichten werden.
Wichtigstes Ziel der Weltnaturschutzkonferenz Ende des Monats in Kunming ist, mit dem neuen Abkommen, die biologische Vielfalt zu erhalten und zu schützen. Warum ist das so dringend nötig?
Die Biodiversität umfasst die Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten. Es ist ein Netz von Arten und Lebensräumen, das sich über Millionen von Jahren in lokalen Gemeinschaften und abhängig von den dortigen Bedingungen entwickelt hat. Wir Menschen gehören ebenfalls dazu, auch wenn wir das häufig vergessen. Unser Überleben hängt von den grundlegenden Funktionen dieses Lebenetzes ab: Fruchtbare Böden und Bestäuber sind essenziell, um unsere Ernährung langfristig zu sichern. Mehr als 75 Prozent der weltweiten Nutzpflanzen wie Obst, Gemüse, Kaffee oder Kakao sind auf Bestäuber aus dem Tierreich angewiesen. Manchmal gibt es nur eine einzige Art, die die Bestäubung einer Pflanze übernimmt. Unsere Wälder sind natürliche Filter für Wasser und Luft, schützen Böden vor Erosion und kühlen an heißen Sommertagen. Häufig dienen bestimmte Pflanzen zur Grundlage der Entwicklung neuer Medikamente. Außerdem ist die Natur ein wichtiger Erholungsort für uns Menschen, Naturerlebnisse schenken uns Freude, Ruhe und Wohlergehen. Und das ist nur die rein anthropozentrische Sichtweise. Man sollte sich auch fragen, ob es moralisch vertretbar ist, dass wir Menschen den Lebensraum von so vielen anderen Arten zerstören.
In einer Studie von NABU und der Boston Consulting Group geht es auch um die Treiber des Biodiversitätsverlusts. Was steckt hinter dem Artensterben und dem Verlust von Lebensräumen?
Die Hauptursachen für den Verlust der Biodiversität sind Veränderungen in Land- und Meeresnutzung, direkte Ausbeutung von Arten, Klimakrise, Verschmutzung und die Ausbreitung invasiver Arten. Das hat der Weltbiodiversitätsrat in seinem globalen Bericht von 2019 bereits sehr genau aufgezeigt. Dahinter stecken verschiedene wirtschaftliche Sektoren wie die Ausbreitung und Intensivierung von Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Rohstoffindustrie und Infrastrukturausbau. Ein Überkonsum der Industrieländer sowie falsche oder fehlende Anreize für naturverträgliches Handeln und Wirtschaften entlang der Lieferketten sind indirekte Treiber des Verlustes von Arten und Lebensräumen weltweit.
Der landwirtschaftliche Sektor ist für die größten direkten Belastungen verantwortlich. Dazu gehören zum Beispiel eine immer homogenere Bewirtschaftung durch immer größere Schläge, auf denen eine immer geringere Anzahl von Kulturarten angebaut wird, der Verlust von Strukturelementen in der Agrarlandschaft – wie Hecken oder Brachen – sowie die Verschmutzung von Ökosystemen durch den Einsatz von synthetischen Düngemitteln und Pestiziden. Auch zur Klimakrise trägt dieser Sektor bei – durch Treibhausgasemissionen aus der Tierhaltung, die Bewirtschaftung trockengelegter Moorstandorte sowie Düngung. Das Ganze wird dann auch noch über Pauschalzahlungen pro Hektar Land von der EU gefördert. Gleichzeitig hängt gerade dieser Sektor sehr stark von Ökosystemleistungen wie Bestäubung, natürliche Schädlingskontrolle und Bodenfruchtbarkeit ab.
Bleiben wir beim Beispiel EU-Agrarsubventionen. An welcher Stelle würden Sie als Erstes den Hebel ansetzen, damit sich die Agrarpolitik und die tatsächliche Landbewirtschaftung in Deutschland zum Positiven wenden?
Der größte Hebel wäre, sich von dem veralteten Modell der pauschalen Direktzahlungen zu lösen. Stattdessen sollte das Geld in die Transformation des landwirtschaftlichen Sektors fließen, um diesen in Einklang mit den globalen Biodiversitätszielen, dem Green Deal und anderen Gesetzgebungen der EU zu bringen. Dazu gehören zum Beispiel die EU-Biodiversitätsstrategie, die Farm-to-Fork-Strategie, die Rechtsakte zur Wiederherstellung der Natur und Pestizidreduktion sowie die FFH-Richtlinie.
Der nächste Schritt ist, dass Deutschland bei seinem im Februar eingereichten nationalen Strategieplan nachbessert. Denn der geht nicht weit genug, um die Biodiversitätsziele erreichen zu können. Wichtige Elemente dafür sind beispielsweise ein Anteil von 10 Prozent nicht bewirtschafteter Fläche in der Agrarlandschaft, eine Erhöhung des Ökolandbaus auf 30 Prozent der Fläche bis 2030, die Reduktion von Düngemitteln und Pestizideinträgen um 50 Prozent sowie die Wiederherstellung von Lebensräumen wie Moore, Auen und artenreiches Grünland.
Der schreckliche Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Ernährungskrise sollten nicht dafür instrumentalisiert werden, wichtige Gesetze und Initiativen für die Biodiversität zu verschieben. Funktionierende Ökosysteme tragen ebenso wie ein stabiles Klima langfristig zur globalen Ernährungssicherheit bei. Statt hier Einschnitte zu machen, sollte man lieber überlegen, ob wir so viel Land verwenden müssen um Futtermittel für einen Überkonsum an Fleisch sowie Biosprit zu produzieren. Hier gäbe es echtes Potenzial für die Ernährungssicherheit.
Können die zuständigen Ministerien für Umwelt und Landwirtschaft diese Mammutaufgabe allein stemmen?
Die Einhaltung von Biodiversitätszielen ist ebenso wie die Einhaltung von Klimazielen eine Aufgabe der gesamten Bundesregierung. Um die Krise zu lösen, muss Biodiversität bei allen relevanten politischen Entscheidungen mitgedacht werden. Den Ministerien für Umwelt und Landwirtschaft kommt dabei natürlich eine Schlüsselrolle zu. Wenn wir uns die Treiber des Biodiversitätsverlusts anschauen, wird aber klar, dass auch die Ministerien für Wirtschaft und Klima, Digitales und Verkehr, Entwicklungszusammenarbeit oder Bildung und Forschung wichtige Akteure sind. Eine große Verantwortung hat außerdem das Finanzministerium, wenn es um die Verteilung der Ressourcen zur Umsetzung der Ziele geht. Für all das ist eine gute Kommunikation zwischen den Ministerien und einiges an Koordinationsarbeit nötig. Dafür sind Olaf Scholz und das Bundeskanzleramt mit zuständig.
Ernüchternde Fakten aus Genf – Sehen Sie dennoch einen Silberstreifen am Horizont?
Die Verhandlungen zum neuen globalen Weltbiodiversitätsabkommen sind noch nicht vorbei. Wenn sich die Bundesregierung zusammen mit der EU und den G7-Ländern mehr dahinterklemmt, gerade was die Finanzierungsfragen angeht, kann man in diesem Jahr noch ein gutes Abkommen auf den Weg bringen. Dafür sollte Deutschland einerseits im eigenen Haushalt deutlich mehr finanzielle Mittel für den globalen Biodiversitätsschutz reservieren, wie es im Koalitionsvertrag steht. Das Thema gehört aber auch auf die Agenda von wichtigen außenpolitischen Treffen wie dem G7-Gipfel Ende Juni in Elmau. Was das Engagement vor der Haustür betrifft: Der Green Deal der EU steht, und die konsequente Umsetzung der Ziele und Gesetze daraus würden Deutschland und die EU beim Schutz der Biodiversität einen großen Schritt nach vorne bringen. Entsprechende Vorhaben sollten nicht blockiert und verschleppt werden.
Was mir in Deutschland gerade Hoffnung für den Biodiversitätsschutz macht ist das kürzlich in Eckpunkten vom Bundesumweltministerium vorgestellte Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz. Damit sollen Ökosysteme mit besonderer Bedeutung für Biodiversität und Klimaschutz wie Moore, Auen, Wälder, Grünland oder Seegraswiesen im Meer wiederhergestellt werden. Vier Milliarden Euro sind hier für die nächsten vier Jahre angekündigt, damit ließe sich ein echter Wandel anstoßen. Um diese Initiative zum Erfolg zu führen und schnell in die Umsetzung zu kommen, ist eine gute Zusammenarbeit von Landwirtschafts- und Umweltministerium sowie mit den Ländern und Akteuren vor Ort unerlässlich.
Das Interview führte Marion Busch
Die Interviewpartnerin
Magdalene Trapp ist Referentin für Biodiversitätspolitik beim NABU Bundesverband. Die UN-Biodiversitätskonvention und ihre Umsetzung auf nationaler Ebene gehören zu ihren Arbeitsschwerpunkten.