Aktiv werden
Meine Rechte
Welche Rechte habe ich als Umweltschützer*in in der EU? Welche Möglichkeiten hat meine Umweltorganisation, um gegen lokale Rechtsverstöße vorzugehen? Hier finden Sie Informationen über verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten.
Meinung einbringen
Neue Ideen für politische Maßnahmen und Gesetzesinitiativen legt die EU-Kommission in sogenannten Fahrplänen und Folgenabschätzungen in der Anfangsphase dar.
Dies gilt auch für Bewertungen und Eignungsprüfungen bestehender Rechtsvorschriften. Nach der Veröffentlichung können Bürger*innen die Vorschläge in der Regel vier Wochen lang kommentieren.
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Bei öffentlichen Konsultationen können die EU-Bürger*innen ihre Meinung zu Geltungsumfang, Prioritäten und Mehrwert neuer EU-Initiativen oder zu Bewertungen bestehender Politikmaßnahmen und Rechtsvorschriften äußern.
Die Konsultationen erfolgen anhand vorgegebener Fragebögen. Diese Konsultationen laufen in der Regel 12 Wochen, nachdem sie veröffentlicht worden sind.
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Sobald die EU-Kommission einen Legislativvorschlag fertig ausgearbeitet und ihn dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt hat, haben Sie eine weitere Möglichkeit sich zu äußern. Die Frist für Rückmeldungen zu Kommissionsvorschlägen beträgt 8 Wochen. Danach werden die Beiträge an das Parlament und den Rat weitergeleitet.
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Manche vom Europäischen Parlament und vom Rat erlassenen Rechtsvorschriften enthalten Bestimmungen, die es der Kommission gestatten, nicht wesentliche Elemente dieser Vorschriften zu ändern oder zu ergänzen. Das geschieht mittels „delegierter Rechtsakte“. Außerdem darf die Kommission Bedingungen für eine EU-weit einheitliche Anwendung bestehender Rechtsvorschriften festlegen. Diese Vorschriften werden als „Durchführungsrechtsakte“ bezeichnet. Zu den Entwürfen für delegierte oder Durchführungsrechtsakte können Interessierte vier Wochen lang Rückmeldungen geben.
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Die EU-Bürger*innen können der EU-Kommission jederzeit mitteilen, wie bestehende Rechtsvorschriften und Initiativen vereinfacht und verbessert werden könnten, um sie effektiver zu machen und Verwaltungsaufwand zu senken. Vorschläge werden möglicherweise von der REFIT-Plattform geprüft und in ihren Empfehlungen berücksichtigt.
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Beschweren
Der Europäische Bürgerbeauftragte (Ombudsmann) hat die Aufgabe, Missstände in den Organen und Einrichtungen der Europäischen Union zu untersuchen. Beispiele für seine Aktivitäten sind etwa unnötige Verzögerungen, Verweigerung von Informationen, Diskriminierung oder Machtmissbrauch. Seine Arbeit reicht daher deutlich über den bloßen administrativen Bereich hinaus (s.u.). Etwa ein Viertel der Fälle, die vor den Bürgerbeauftragten gebracht werden, betreffen mangelnde Transparenz in der EU-Verwaltung, etwa die verweigerte Herausgabe von Informationen.
In welchen Fällen ist eine Anrufung der Ombudsperson sinnvoll?
Der Bürgerbeauftragte kann sich nur mit Fällen befassen, die sich direkt auf die Arbeit von EU-Institutionen beziehen. Für Beschwerden über nationale Regierungen hat er kein Mandat – auch nicht, wenn deren Fehlverhalten einen klaren EU-Bezug aufweist. Im Jahr 2005 hat der Ombudsmann 3.920 Beschwerden erhalten. Davon konnte er allerdings lediglich 627 bearbeiten, weil der Großteil eben nicht EU-Institutionen zum Gegenstand hatte, sondern nationale oder regionale Regierungen. In manchen Fällen kann der Ombudsmann die Beschwerden an die zuständigen nationalen Stellen weiterreichen oder den Beschwerdeführern Hinweise geben, an welche Stelle sie sich sinnvoller Weise wenden können. Häufig bleiben solche fehlerhaften Beschwerden allerdings einfach ohne Resultat.
Der Ombudsmann kann
- sicherstellen, dass die EU-Institutionen die Charter der Menschenrechte einhalten,
- Zugang zu Dokumenten durchsetzen, wenn die entsprechende Institution diesen zuvor verweigert hat,
- bürgernahe Verwaltungsprozesse anmahnen – etwa wenn Anfragen nicht beantwortet werden, Zahlungen verspätet geleistet werden oder gegensätzliche Auffassungen bei vertraglichen Regelungen bestehen (der Europäische Kodex für gute Verwaltungspraxis legt fest, welches Verhalten die EU-Institutionen an den Tag legen sollten ),
- im Rahmen der Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission sicher stellen, dass die einzelnen Fälle entsprechend bearbeitet worden sind,
- den Angestellten und Beamten der EU zu ihrem Recht verhelfen und darauf achten, dass die Einstellungsverfahren fehlerlos verlaufen.
Vor- und Nachteile einer Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten
Als wesentlicher Vorteil ist zu nennen, dass der Ombudsmann innerhalb der EU eine sehr respektierte Funktion ausübt und sein Wort damit großes Gewicht hat. Er verfügt über jahrelange Erfahrung bei der Vertretung von Bürgerrechten gegenüber den Institutionen und hat sich in der Vergangenheit stets als vehementer Verfechter von Beschwerdeführern ausgezeichnet.
Auf der anderen Seite steht die häufig sehr lange Dauer der Verfahren. Gerade wenn es um den Zugang zu Dokumenten geht, ist das häufig ein Problem. Denn in solchen Fällen hilft ein zweijähriges Verfahren dem Beschwerdeführer in der Regel wenig. Gleichwohl gibt es viele Fälle, in denen der Bürgerbeauftragte innerhalb kürzester Zeit mit einigen wenigen Telefonaten ein Anliegen geklärt hat. Als weiterer Nachteil kommt hinzu, dass die Meinung der Ombudsperson nicht verbindlich ist. Hat etwa die Kommission eine andere Auffassung, könnte er seine Position zwar mittels eines Klageverfahrens durchsetzen. Für den Beschwerdeführer dürfte ein derartiges Procedere allerdings häufig wenig bringen.
Was kann die Ombudsperson und was kann sie nicht?
Der Bürgerbeauftragte übernimmt Beschwerden gegen die folgenden Institutionen:
- Europäische Kommission
- Rat der Europäischen Union (Ministerrat)
- Europäisches Parlament
- Rechnungshof
- Gerichtshof der Europäischen Union (mit Ausnahme der Rechtsprechungstätigkeit)
- Wirtschafts- und Sozialausschuss
- Ausschuss der Regionen
- Europäische Zentralbank
- Europäische Investitionsbank
- Europol
- Europäisches Amt für Personalauswahl (EPSO)
- Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF)
- Europäisches Polizeiamt (Europol)
- dezentralisierte Agenturen wie die Europäische Umweltagentur oder das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt
- andere Einrichtungen der EU
Die Ombudsperson kann keine Beschwerden gegen andere (nicht der EU zugehörige) Institutionen oder nationale und regionale Regierungen annehmen. In einzelnen Fällen vermag er aber die Beschwerden an die richtige Stelle weiterzuleiten oder entsprechende Hinweise zu geben.
Er kann keine Gesetze erlassen oder ändern, sondern lediglich seine Meinung zu einem bestimmten Sachverhalt abgeben und die entsprechende Insitution zum Handeln beziehungsweise Unterlassen auffordern. Seine Auffassung ist nicht verbindlich. Da er aber ein hohes Maß an Respekt innerhalb des europäischen Insitutionengefüges genießt, wird seine Meinung meistens ernst genommen und seinem Rat gefolgt.
Wer kann Beschwerde einreichen?
Der Kreis derjenigen, die Zugang zum Beschwerdemechanismus der Ombudsperson haben, ist sehr groß, und die Zulassungskriterien sind deutlich niedriger als bei anderen Institutionen: Jede*r Bürger*in eines EU-Mitgliedstaates sowie Personen, die in einem EU-Mitgliedstaat leben, sind befugt, sich an den Europäischen Bürgerbeauftragten zu wenden. Ebenso können Unternehmen, Stiftungen, Organisationen oder ähnliche Einrichtungen Beschwerde einreichen, vorausgesetzt, sie haben eine Niederlassung, bzw. ihren Sitz in einem EU-Mitgliedstaat. Es ist nicht notwendig, direkt von einem Missstand betroffen zu sein, um sich zu beschweren. Der Europäische Bürgerbeauftragte hat selbst bei Fällen, die von Nicht-EU-Bürger*innen, die außerhalb der EU leben, vorgebracht werden, die Möglichkeit, aktiv zu werden. In diesem Fall kann er eine Untersuchung aus eigener Initiative starten und den Fall bearbeiten. Denkbar ist so eine Situation etwa, wenn sich ein*e Bürger*in eines Entwicklungslandes gegen Aktivitäten der Europäischen Investitionsbank beschwerden möchte.
Wie wird eine Beschwerde eingereicht?
Obwohl die Schwelle für eine Beschwerde beim Bürgerbeauftragten relativ niedrig ist, gibt es einige Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit der Ombudsmann sich eines Falles annimmt.
- Bereits erwähnt wurde, dass lediglich Beschwerden gegenüber einer EU-Institution zulässig sind.
- Bevor eine Beschwerde eingereicht wird, muss der Beschwerdeführer zwingend Kontakt zu der entsprechenden Institution aufgenommen haben, mit dem Ziel, den Fall auf diesem Weg zu lösen. Lediglich, wenn dieser Schritt erfolglos geblieben ist, kann er sich an den Bürgerbeauftragten wenden.
- Das Anliegen muss in einer der Amtssprachen der EU formuliert sein.
- Zudem muss die Beschwerde mindestens die folgenden Informationen enthalten: Name und Kontakt des Beschwerdeführers, betroffene Institution oder Einrichtung der EU sowie die Gründe für die Beschwerde. Um sicher zu gehen, dass alle Informationen richtig bereitgestellt wurden, kann der Beschwerdeführer auf ein Formblatt zurückgreifen, dass über das Sekretariat des Ombudsmannes erhältlich ist oder über die Webseite bezogen werden kann.
Die Beschwerde kann per E-Mail, Fax oder Brief an die folgende Adresse geschickt werden:
Europäischer Bürgerbeauftragter
1 Avenue du Président Robert Schuman
CS 30403
FR-67001 Strasbourg Cedex
Frankreich
Telefon +33 (0) 3 88 17 23 13
Fax +33 (0) 3 88 17 90 62
Internetseite: www.ombudsman.europa.eu
E-Mail als Kontaktformular auf Internetseite
Wie lange dauert ein Fall?
Der Europäische Bürgerbeauftragte bemüht sich sichtlich, ein positives Beispiel für gute und bürgernahe öffentliche Dienste zu sein. Daher versucht er, Beschwerden so schnell wie möglich zu bearbeiten. Sein Ziel ist es,
- den Eingang einer Beschwerde innerhalb einer Woche zu bestätigen,
- innerhalb eines Monats zu entscheiden, ob der Fall untersucht wird oder nicht,
- die Untersuchung innerhalb eines Jahres abzuschließen.
Zwar gelingt es nicht immer, diese selbst gesetzten Fristen einzuhalten, in den meisten Fällen aber schon.
Welche Ergebnisse sind zu erwarten?
Natürlich lässt sich nicht im Vorhinein sagen, zu welchen Ergebnissen eine Beschwerde letztlich führen wird. Grundsätzlich sind folgende Resultate eines Falles möglich:
- Stellt der Bürgerbeauftragte keinen Missstand fest, wird der Fall beendet und der Beschwerdeführer entsprechend informiert.
- Es kann vorkommen, dass der Bürgerbeauftragte die von der Beschwerde betroffene Einrichtung nur benachrichtigen muss, um das Problem zu lösen.
- Falls der Fall nicht während der Untersuchung zufriedenstellend gelöst werden kann, wird der Bürgerbeauftragte versuchen, eine einvernehmliche Lösung zu finden, die den Missstand behebt und den Beschwerdeführer zufrieden stellt.
- Falls der Schlichtungsversuch scheitert, kann der Bürgerbeauftragte Empfehlungen abgeben, um den Fall zu lösen.
- Falls die Einrichtung seine Empfehlungen nicht annimmt, kann er dem Europäischen Parlament einen Sonderbericht vorlegen.
Beschwerden können nur an die EU-Kommission gerichtet werden, wenn ein Mitgliedstaat (egal, ob auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene) seine EU-rechtlichen Verpflichtungen verletzt hat und man dafür eindeutige Beweise vorbringen kann.
Grundsätzlich sind die Mitgliedstaaten verantwortlich für die Umsetzung des EU-Rechts. Sie müssen die europäischen Rechtsakte zunächst in nationales Recht übertragen (Verordnungen gelten unmittelbar in allen Mitgliedstaaaten) und anschließend für die Anwendung sorgen. Die EU-Kommission ist dafür verantwortlich, dass die Mitgliedstaaten das EU-Recht auch tatsächlich korrekt umsetzen. Sie wird deswegen auch als die „Hüterin der Verträge“ bezeichnet. Daher hat sie auch das Recht, einen Mitgliedstaat vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen, wenn dieser gegen EU-Recht verstößt. Im Fall von Deutschland ist es dabei irrelevant, ob der eigentliche Rechtsverstoß in der Verantwortung des Bundes, der Länder oder Kommunen liegt. Das Recht, ein solches Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, obliegt ausschließlich der EU-Kommission. Allerdings steht es der Kommission frei, ein Verfahren zu initiieren, wenn sie vorher Hinweise für einen Rechtsbruch von dritter Seite erhalten hat. Auf solche Hinweise ist sie auch zwingend angewiesen, denn um die Umsetzung und Anwendung sämtlichen EU-Rechts in allen 27 Mitgliedstaaten überwachen zu können, fehlt ihr schlichtweg das Personal.
In welchen Fällen ist eine Beschwerde bei der EU-Kommission sinnvoll?
Beschwerden können nur dann an die Kommission gerichtet werden, wenn ein Mitgliedstaat (egal, ob auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene) seine EU-rechtlichen Verpflichtungen verletzt hat und man dafür eindeutige Beweise vorbringen kann. In allen anderen Fällen – sei es bei der Verletzung nationalen Rechts oder Beschwerden gegen Unternehmen – wird eine solche Beschwerde als unzulässig abgewiesen.
Eine solche Beschwerde einzureichen, kann ein vielversprechender Weg sein, um die Kommission zum Handeln zu veranlassen und politischen Druck auf den entsprechenden Mitgliedstaat auszuüben. Aber – sollte die Kommission aufgrund dieser Beschwerde ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, so hat das zunächst nur bedingt etwas mit dem konkreten Einzelfall zu tun! Vielmehr will die Kommission den Mitgliedstaat auf allgemeiner Ebene zur Umsetzung, bzw. Einhaltung der entsprechenden Rechtsvorschrift zwingen. Die Lösung des konkreten Einzelfalls obliegt dann i.d.R. nationalen Gerichten oder Behörden. Geht es dem Beschwerdeführer um die Lösung des entsprechenden konkreten Falles – und nicht um eine abstrakte Abhilfe wegen mangelnder Umsetzung/Anwendung des EU-Rechts durch seinen Staat –, dann erscheint es ratsam, parallel zu einer Beschwerde bei der EU-Kommission die Möglichkeiten auf nationaler Ebene auszuschöpfen und zu versuchen, sein Recht auf diesem Weg durchzusetzen. In vielen Fällen ist dies der effektivere und schnellere Weg.
Vor- und Nachteile einer Beschwerde bei der Kommission
Der wesentliche Vorteil einer Beschwerde bei der Kommission ist die potenzielle Wirksamkeit. Wenn es gelingt, die Kommission zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen den betroffenen Mitgliedstaat zu bewegen, dann nutzt die Kommission die schärfste Waffe, die ihr zur Verfügung steht. Mehr kann eine Umweltorganisation nicht erwarten. Ebenso wichtig ist die große Bandbreite an Themen, die abgedeckt werden können. Solange der EU-Bezug besteht, sind Beschwerden zu sämtlichen Richtlinien, Verordnungen oder Entscheidungen der EU, durch die rechtliche Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten geschaffen werden, möglich. Gerade im Umweltbereich bieteten sich daher zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten, einer der häufigsten Beschwerdegegenstände ist etwa die Umsetzung der Natura-2000-Richtlinie.
Auf der anderen Seite steht die Intransparenz des Verfahrens. Ist die Beschwerde einmal eingereicht, verhandeln Kommission und der betroffene Mitgliedstaat über den Sachverhalt hinter verschlossenen Türen. Der Beschwerdeführer wird erst über das Ergebnis informiert. Forderungen, den Prozess transparenter zu gestalten, hat die Kommission stets mit dem Hinweis abgelehnt, damit würde das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Kommission und Mitgliedstaat und somit das Ergebnis gefährdet.
Erwähnenswert ist zudem, dass etwa 80 Prozent der Beschwerden bereits in der Eröffnungsphase wieder eingestellt werden. Vielfach enthalten sie offenbar nicht die notwendigen Informationen, lassen den EU-Bezug vermissen oder können von den Mitgliedstaaten unverzüglich abgewendet werden.
Wer kann eine Beschwerde einreichen?
Jede Person kann bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde über einen Mitgliedstaat einreichen, um eine Maßnahme (gesetzliche Regelung, Vorschrift oder Verwaltungsakt) oder eine Praxis, die einem Mitgliedstaat anzulasten ist, anzuzeigen, wenn diese Person der Auffassung ist, dass die Maßnahme oder Praxis gegen eine Bestimmung oder einen Grundsatz des Unionsrechts verstößt. Um eine Beschwerde einreichen zu können, muss man weder nachweisen, dass ein Handlungsbedarf seitens der Kommission besteht, noch direkt betroffen sein. Eine Beschwerde ist nur dann zulässig, wenn sie den Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Unionsrecht zum Gegenstand hat. Sie kann sich folglich nicht auf private Streitfälle beziehen.
Die Dienststellen der Kommission setzen sich mit dem Beschwerdeführer in Verbindung und unterrichten ihn schriftlich nach jeder Entscheidung der Kommission (Aufforderung zur Äußerung, mit Gründen versehene Stellungnahme, Befassung des Gerichtshofs der Europäischen Union oder Einstellung) über den Stand des infolge seiner Beschwerde eingeleiteten Verfahrens. Zudem kann der Beschwerdeführer jederzeit während des Verfahrens beantragen, den Kommissionsdienststellen seine Beschwerde vor Ort und auf eigene Kosten näher zu erläutern.
Wie wird eine Beschwerde eingereicht?
Beschwerden können schriftlich in Briefform, per Telefax oder E-Mail an sg-plaintes(at)ec.europa(dot)eu in einer der 24 Amtssprachen der EU übermittelt werden. Man kann seine Beschwerde bei jeder nationalen Vertretung der Kommission abgeben oder an folgende Anschrift senden:
Generalsekretariat
Europäische Kommission
Rue de la Loi 200/ Wetstraat 200
1049 Bruxelles/Brussel
Belgien
Eine Formvorschrift existiert zwar nicht. Es dürfte aber sinnvoll sein, das offizielle Formular zu nehmen. So lässt sich sicherstellen, dass man keine wesentlichen Informationen vergisst. Die Bearbeitung der Beschwerde kann zügiger erfolgen. Hier geht es zum Formular.
Die Beschwerde sollte vollständig und präzise sein. Das gilt besonders für die Vorwürfe gegen den Mitgliedstaat. Die inhaltliche Argumentation ist hier besonders wichtig, damit die Kommission das Anliegen mit entsprechender Ernsthaftigkeit verfolgt. Eindeutige Belege und Angaben sind unerlässlich, zusätzliche Hintergrundinformationen wie wissenschaftliche Studien, öffentliche Äußerungen oder offizielle Schreiben können wichtige Ergänzungen darstellen.
Was passiert, wenn die Beschwerde angenommen wird?
Die Kommission wird zunächst einmal ausführlich den Sachverhalt der Beschwerde prüfen. Sollte sie zu dem Ergebnis kommen, dass sie begründet ist und ein Verstoß gegen EU-Recht vorliegen könnte, dann richtet sie zunächst ein sogenanntes „Fristsetzungsschreiben“ an den betreffenden Mitgliedstaat. Darin fordert sie ihn auf, innerhalb einer bestimmten Frist Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen. Die Identität des Beschwerdeführers kann dabei auf dessen Wunsch hin geheim bleiben.
Ist die Antwort des betreffenden Mitgliedstaats unbefriedigend oder bleibt sie ganz aus, kann die Kommission dem Mitgliedstaat eine „mit Gründen versehene Stellungnahme“ übermitteln. Darin legt sie eindeutig und abschließend die Gründe dar, weshalb nach ihrer Auffassung ein Verstoß gegen das Unionsrecht vorliegt, und fordert den Mitgliedstaat auf, den Zustand innerhalb einer bestimmten Frist (meistens zwei Monate) abzustellen.
Ziel dieses formellen Verfahrens ist es, zunächst einmal festzustellen, ob tatsächlich ein Rechtsbruch vorliegt, und diesen gegebenenfalls abzustellen, ohne dass der Gerichtshof der EU angerufen werden muss. Natürlich beschränkt sich der Kontakt zwischen Kommission und Mitgliedstaat nicht auf diese formalen Schreiben. Vielmehr werden die zuständigen Stellen direkt in Verbindung treten und nach einer Lösung suchen. Die Mehrzahl aller Beschwerdefälle wird auf diese Weise abgeschlossen. Häufig kommt die Kommission aufgrund der Stellungnahme des Mitgliedstaates auch zu dem Ergebnis, den Fall nicht weiter zu verfolgen, beispielsweise wenn der Mitgliedstaat glaubhaft versichert, seine Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraxis zu ändern.
Sollte die Kommission aber der Meinung sein, dass der Mitgliedstaat nach wie vor gegen EU-Recht verstößt und sollte sich in dem beschriebenen Verfahren keine Lösung finden, kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH anstrengen. Kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass ein Rechtsbruch vorliegt, so kann er ein Bußgeld gegen den betroffenen Mitgliedstaat verhängen. Er kann weder ein nationales Gesetz für nichtig erklären, noch einen Mitgliedstaat zu Kompensationszahlungen o.ä. an Individuen zwingen. Wie die nationale Regierung mit dem konkreten Fall umgeht, der der ursprüngliche Anlass für die Beschwerde gewesen ist, bleibt ausschließlich ihr überlassen.
Wie lange dauert ein Fall?
Beschwerden bei der Kommission sind sehr zeitintensiv. Der Beschwerdeführer erhält zunächst innerhalb von 15 Tagen von dem Generalsekretariat eine Empfangsbestätigung. Anschließend kann es leicht ein bis zwei Jahre dauern, bis die Kommission ihre Recherche und die Kommunikation mit dem Mitgliedstaat (Fristsetzungsschreiben, begründete Stellungnahme) abgeschlossen hat. Ein Fall vor dem Gerichtshof der Europäischen Union dauert dann noch einmal im Durchschnitt zwei Jahre.
Tipps für die Praxis
Die Kommission hat in den letzten Jahren ein zunehmendes Interesse daran erkennen lassen, weniger Beschwerden zu erhalten. Das gilt gerade für den Umweltbereich. So hat sie im persönlichen Gespräch Umweltverbände explizit aufgefordert, weniger Beschwerden einzureichen, weil das dafür zuständige Personal schlichtweg mengenmäßig überfordert sei. Das Problem sei dabei, dass sie die wirklich relevanten Klagen häufig aus Zeitgründen nicht sorgfältig bearbeiten könne. Daher gibt es in jüngerer Zeit Versuche, die Zulassungskriterien für Beschwerden zu verschärfen. So will die Kommisison neuerdings nur noch Beschwerden annehmen, die einem von sechs Schwerpunktbereichen zuzuordnen sind (Naturschutz, Wasser, Luft, Klimawandel, Abfall und Folgenabschätzung). Außerdem müssten mögliche nationale Beschwerdemöglichkeiten vollständig ausgeschöpft worden sein.
Umso wichtiger ist die profunde Vorbereitung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer sollte
- vor der Beschwerde alle erdenklichen Möglichkeiten auf nationaler Ebene ausgeschöpft haben,
- auch während des Beschwerdeprozesses weiterhin auf nationaler Ebene aktiv sein. Das gibt ihm die Möglichkeit, der Kommission kontinuierlich neue Informationen zu liefern und somit den Fall virulent zu halten,
- die Kommission kontinuierlich auf dem Laufenden halten über neue Entwicklungen,
- den Kontakt mit den zuständigen Sachbearbeitern in der Kommission suchen (i.d.R. gibt es eine fachlich und eine juristisch zuständige Person),
- viel Geduld haben und sehr hartnäckig sein.