Ein großer Schritt für den Meeresschutz
Im März 2023 haben sich die UN-Staaten auf ein Abkommen geeinigt, das erstmals den Arten- und Naturschutz auf hoher See regeln soll. Ziel ist: 30 Prozent der Weltmeere sollen bis zum Jahr 2030 zu Schutzgebieten werden. Bei der Umsetzung des UN-Meeresschutzabkommens ist unbedingt der Globale Süden miteinzubeziehen.
Die Meere brauchen Schutz. Vorherrschend ist das Problem der Überfischung, die Meere werden immer leerer, ganze Tiergruppen wie die Haie sind schon fast verschwunden. Korallenriffe stehen wegen der Klimaveränderung unter extremem Umweltstress, und über 95 Prozent der Riffe drohen zu verschwinden, dasselbe gilt für Mangrovenwälder. Dazu kommt eine massive Verschmutzung durch landwirtschaftliche Abwässer und Plastikmüll. Die Folge ist ein hoher Verlust an Biodiversität. Darum wurde 2016 beim Weltkongress der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (International Union for Conservation of Nature, IUCN) eine Resolution verabschiedet, wonach mindestens 30 Prozent der Meere bis 2030 (30x30) unter Schutz gestellt werden müssen. Dies war bereits ein Kompromiss, denn einige Wissenschaftler*innen wie der renommierte Zoologe E.O. Wilson forderten 50 Prozent. Mit dem nun verabschiedeten UN-Meeresschutzabkommen wird das 30 Prozent-Ziel Realität.
Um das 30x30-Ziel für die Meere international zu verankern, waren vor allem zwei voneinander unabhängige Verhandlungsprozesse ausschlaggebend. Zum einen der Prozess der Konvention für biologische Vielfalt (CBD), mit dem Ziel, global verbindliche Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt zu schaffen, und zum anderen der Auftrag der UN-Generalversammlung (UNGA), einen Rahmenvertrag für die hohe See zu erarbeiten (Biodiversity Beyond National Jurisdiction, BBNJ-Prozess). Eine Mischung aus coronabedingten Terminverschiebungen und starken Meinungsverschiedenheiten über einige Kernthemen hat die UN-Prozesse bis Dezember 2022 und Februar 2023 verzögert.
Durchbruch für 30x30-Ziel mit Lücken
Eines der politisch am stärksten diskutierten Ziele bei der CBD war das 30x30-Ziel. Um dies zu erreichen, haben zahlreiche Staaten bereits frühzeitig Allianzen gebildet. Über hundert Staaten haben beispielsweise die High Ambition Coalition ins Leben gerufen. Dies propagierten auch NGO-Allianzen stark. Die Anstrengungen fruchteten; im Dezember 2022 wurden in Montreal die neuen Ziele des Weltnaturabkommens Global Biodiversity Frameworks (GBF) verabschiedet, darunter auch das 30x30-Ziel. Allerdings wurde versäumt, einen qualitativen Aspekt einzubringen. Das heißt, Schutzgebiet ist gleich Schutzgebiet, egal ob es ein Gebiet unter Vollschutz und ohne wirtschaftliche Nutzung ist oder ein Gebiet, in dem nur einzelne Aspekte verboten sind, während andere, auch schädliche Aktivitäten erlaubt sind. Dass dies ein riesiges Schlupfloch ist, kritisierten viele NGOs und Staaten bereits frühzeitig. Allerdings gab es auch viele Gegner eines qualitativen Aspektes, zu denen auch die EU gehörte.
Parallel dazu liefen die Verhandlungen für ein Hochseeabkommen unter dem Arbeitstitel BBNJ für die Gebiete in internationalen Gewässern, in denen niemand ein Hoheitsrecht hat und die einen mehr oder weniger rechtsfreien Raum darstellen. Die Vorverhandlungen begannen bereits 2002, bis dann 2018 im Auftrag der UN-Generalversammlung die erste Intergovernmental Conference (IGC1) stattfand, mit dem Ziel, ein multilaterales und internationales Abkommen zu schaffen. Es hat vier weitere IGCs gebraucht, bis es dann am 4. März 2023 in New York zum Abschluss kam. Diese vier Jahre waren geprägt von heftigen Debatten der Delegierten. Hier prallten sehr unterschiedliche Meinungen und Wertevorstellungen aufeinander.
Hochseeschutzgebiete sind unerlässlich für das 30x30-Ziel
Ein zentraler Erfolg des BBNJ-Abkommens ist die Möglichkeit, von nun an Hochseeschutzgebiete zu schaffen. Denn die Hochsee umfasst 64 Prozent der Meere, weshalb Schutzgebiete dort zwingend notwendig sind, um 30x30 zu erreichen. Dies war bisher nicht möglich. Ein entsprechender Schutzgebiet-Vorschlag kann von nun an bei der BBNJ-Hauptversammlung eingebracht und nach ausführlicher Begutachtung durch das Wissenschaftskomitee beschlossen werden. Wenn alle Versuche, Konsens zu erreichen, erschöpft sind, kann die Entscheidung gegebenenfalls mit einer Zweidrittelmehrheit durchgesetzt werden, was Blockadehaltungen einzelner Länder unmöglich macht. Das ist ein großer Fortschritt. Allerdings wurde auch festgelegt, dass bestehende Organisationen wie die regionalen Fischereiorganisationen (RFMO) und die internationale Organisation für Tiefseebergbau (ISA) in die Entscheidung eingebunden werden müssen. Hier sind Konflikte vorprogrammiert. Möglicherweise wird es auch zu juristischen Auseinandersetzungen vor Gericht kommen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das in der Praxis entwickelt.
Es wird wahrscheinlich einige Jahre dauern, bis das erste BBNJ-Schutzgebiet in Kraft tritt. Die Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) können hingegen beginnen, sobald der Vertrag ratifiziert und in Kraft getreten ist. Allerdings gibt es auch hier ein großes Schlupfloch. Aktivitäten, die von bestehenden Organisationen wie den RFMOs oder der ISA ausgehen, müssen nur entsprechend ihrer eigenen Satzungen auf Umweltverträglichkeit geprüft werden. Zweifel sind angebracht, wie effektiv dies sein wird. Trotzdem ist es ein großer Fortschritt. Die Ergebnisse aller UVPs müssen von nun an offengelegt werden, wodurch sich die Transparenz für alle geplanten Aktivitäten im gesamten Hochseebereich erhöht. Außerdem ist zu hoffen, dass schlecht ausgeführte UVPs öffentlich kritisiert und verbessert werden.
Unterstützung und Einbeziehung des Globalen Südens
Weitere Bausteine des Abkommens sind der Umgang mit den genetischen Ressourcen der Meere und die Weitergabe von Technologien sowie die Beteiligung von Wissenschaftler*innen des Globalen Südens an Forschungsvorhaben in der Hochsee. Beides wurde intensiv von Ländern des Globalen Südens eingefordert und nach langen Diskussionen von allen akzeptiert. Neben dem eigentlichen Budget des Hochseeschutzabkommens soll ein extra Topf für einen sogenannten Special Fund geschaffen werden, in den die reicheren Länder entsprechend einem UN-Schlüssel einzahlen. In den Special Fund sollen beispielsweise auch Gewinnanteile aus Forschungsvorhaben oder aus der Vermarktung genetischer Sequenzen einfließen. Das Geld aus diesem Fonds soll dann auch dazu genutzt werden, um ärmere Länder bei Meeresschutz und -forschung sowie bei der Implementierung von BBNJ zu unterstützen.
Es ist offensichtlich, dass das Abkommen ein Kompromiss ist, bei dem nicht für alle Staaten der Meeresschutz an oberster Stelle stand. Durch die Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen sind wir allerdings einen großen Schritt weiter und können jetzt effektiven Meeresschutz auch auf der Hochsee betreiben.
Der Autor
Der Meeresbiologe Dr. Ralf P. Sonntag arbeitet freiberuflich für mehrere große internationale Organisationen im internationalen Meeresschutz und ist Senior Advisor – Ozeane beim World Future Council. Er hat seit 2018 an allen CBD- und BBNJ-Verhandlungen teilgenommen.
Der Artikel erschien in leicht veränderter Form im Rundbrief I/2023 des Forums Umwelt und Entwicklung