Gemeinnütziges Engagement braucht Rechtssicherheit
Vor anderthalb Jahren hat die Bundesregierung vereinbart, das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren, um damit Unsicherheit zu beseitigen. Das ist jedoch noch nicht passiert - mit der Folge, dass dadurch die Demokratie geschwächt wird.
Jeder 20. Verein hält sich mit politischen Forderungen zurück, weil er fürchtet, damit seinen notwendigen Status der Gemeinnützigkeit zu riskieren. Das hat der repräsentative ZiviZ-Survey 2023 ergeben. Bei den Umweltorganisationen ist es sogar jede neunte (11 Prozent). Das zu enge Gemeinnützigkeitsrecht beschädigt damit das demokratische Staatswesen. In der gesellschaftlichen Debatte fehlen zivilgesellschaftliche Stimmen, auch als Gegengewicht zur finanzkräftigen und an eigenen Vorteilen orientierten Wirtschaftslobby.
Die Ampel-Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP beschreibt in ihrem Koalitionsvertrag die wichtige Funktion zivilgesellschaftlicher Organisationen für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte mit markigen Sätzen: „Eine starke Demokratie lebt von den Menschen, die sie tragen. (...) Ehrenamt und demokratisches Engagement stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie verlässlich zu fördern, ist unsere Aufgabe“ (S. 7) – „Wir fördern die vielfältige, tolerante und demokratische Zivilgesellschaft“ (S. 116).
Die Parteien vereinbarten zudem konkrete Maßnahmen: „Wir modernisieren das Gemeinnützigkeitsrecht, um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken und konkretisieren und ergänzen gegebenenfalls hierzu auch die einzelnen Gemeinnützigkeitszwecke“ (S. 117) – „Wir wollen gesetzlich klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden“ (S. 165).
Gesetzesentwurf im Spätsommer? – Einmischung erforderlich
Noch ist nichts umgesetzt. Aber es verdichtet sich das Bild, dass das Bundesfinanzministerium im Spätsommer 2023 einen Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts vorlegen wird. Somit scheint die Arbeit unserer Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung Früchte zu tragen: Wir haben gefordert, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts dieses Jahr angegangen wird und nicht weiter verschleppt werden darf. Völlig offen ist jedoch, wie umfangreich und gut die Vorschläge des Ministeriums sein werden.
Die Abgeordneten von SPD und Grünen bringen oft eigene Erfahrungen aus zivilgesellschaftlichem Engagement mit. Sie sehen den Zusammenhang zwischen dem Schutz der Demokratie und der Förderung der Menschenrechte mit dem Recht der Gemeinnützigkeit. Vielen FDP-Politiker*innen fehlt dieser Zugang. Das gesellschaftspolitische Engagement jenseits von Parteien kennen viele bestenfalls vom lokalen Verein. Zudem kommen aus den Reihen der FDP immer wieder Attacken auf einzelne Organisationen. Gerade Umwelt-, Tier- und Klimaschutz-Organisationen werden teils als politische Gegnerin oder als Verbündete einer anderen Partei gesehen.
Dass ein Gesetzesentwurf jetzt angekündigt wurde, liegt auch daran, dass die anderen Koalitionsparteien auf Spitzenebene darauf gedrängt haben. Ob sie dann eine gute Umsetzung garantieren und nötige Klarheiten für zivilgesellschaftliche Organisationen nicht in Deals aufgeben, wird sich zeigen und bedarf intensiver Beobachtung und Einmischung.
Im Herbst waren sich viele sicher, dass die versprochene Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts mit dem Jahressteuergesetz 2022 kommt. Dieses eignet sich aus taktischen Gründen für Änderungen am Gemeinnützigkeitsrecht: Es braucht für solche Änderungen auch eine Bundesratsmehrheit, also Zustimmung aus den Reihen der Oppositionsparteien im Bundestag. Und das läuft leider weniger über Argumente als über Deals. Solche Deals zu Lasten des zivilgesellschaftlichen Engagements wollten die drei Parteien vermeiden. Dennoch forderte die FDP im November 2022, isoliert von den anderen Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag, (lediglich) E-Sports als gemeinnützigen Zweck einzuführen.
Das lange Warten verursacht Unsicherheit. Doch für uns gehen gute Lösungen, geht Gründlichkeit vor Eile. Ein unter Zeitdruck verhandelter Kompromiss, der im Praxistest neue Unklarheiten erzeugt, hilft den zivilgesellschaftlichen Organisationen und den vielen unbezahlt und manchmal bezahlt darin engagierten Bürger*innen nicht weiter.
Daneben arbeiten die Koalitionsparteien mit deutlich mehr Druck an weiteren Gesetzen, die auch den zivilgesellschaftlichen Sektor betreffen: Eine Reform des Lobbyregisters und erstmalig eine eigene Regelung für sogenannte politische Stiftungen. Gemeint sind explizit parteinahe Vereine wie die Konrad-Adenauer-Stiftung. Dieses Gesetz könnte eine Chance für die Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts sein, weil die anderen politisch bildenden und wirkenden Vereine und Stiftungen von dem Verdacht entlastet werden, letztlich eine Partei fördern zu wollen.
Die kommenden Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht müssen mindestens neue gemeinnützige Zwecke schaffen beziehungsweise wichtige Anliegen wie das Engagement für Grund- und Menschenrechte, auch für soziale Gerechtigkeit und Frieden, absichern. Sie müssen klarstellen, dass politische Mittel für eigene gemeinnützige Zwecke nicht im Umfang beschränkt sein dürfen („nicht überwiegend“). Sie müssen das Engagement bei Gelegenheit über eigene Zwecke hinaus gesetzlich absichern – etwa bei einer Hochwasserkatastrophe oder auch aus dem Anlass eines antisemitischen Anschlags.
Das Gemeinnützigkeitsrecht ist formal Steuerrecht, aber tatsächlich das prägende Recht zivilgesellschaftlicher Organisationen. Der Status der Gemeinnützigkeit bestätigt das selbstlose Handeln der Organisationen, er ist für viele Spender*innen ein Vertrauenssiegel und Voraussetzung für die meisten öffentlichen und privaten Fördermittel. Hunderte Gesetze beziehen sich auf Gemeinnützigkeit, etwa Beteiligungsrechte. Darum ist Gemeinnützigkeit weit mehr als ein optionales Add-on.
Der Autor
Stefan Diefenbach-Trommer ist hauptamtlicher Vorstand der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung, einem Zusammenschluss von etwa 200 Vereinen und Stiftungen. Der Journalist arbeitet seit Jahren in Bewegungs- und Protest-Organisationen.