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Gemeinnützigkeitsrecht reformieren – Demokratie stärken
News | 07.04.2025
#Gemeinnützigkeit #Politik und Gesellschaft

Gemeinnützigkeitsrecht reformieren – Demokratie stärken

Erhobene Hand bei einer Demonstration
© ZiviZ
Hände hoch für die Demokratie

Die ehemalige Ampelregierung hat zu Beginn ihrer Legislatur 2021 vereinbart, das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren. Umgesetzt wurde dies nicht. Aber in den aktuellen Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD scheint eine Reform möglich zu sein, meint Stefan Diefenbach-Trommer. 

Von Stefan Diefenbach-Trommer 

Die Veröffentlichung der 551 Fragen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, vor allem zur Finanzierung zivilgesellschaftlicher Organisationen, war ein krasser Auftakt noch vor Sondierungen und Koalitionsverhandlungen. Wollten die Unions-Parteien damit den Ton setzen, wie die Koalition ans Gemeinnützigkeitsrecht und andere Rahmenbedingungen gemeinnütziger Arbeit geht? Ich glaube, es gibt einen Unterschied zwischen der Absicht hinter den Fragen und der faktischen Wirkung.

Die faktische Wirkung ist unter anderem Angst und Verunsicherung. Die in den Fragen mitschwingende Drohung kann Vereine abhalten, sich einzumischen – ob konkret etwa für Umweltschutz oder abstrakter für den zivilgesellschaftlichen Freiraum, den sie zum Atmen brauchen. Die Kleine Anfrage hat andererseits eine Jetzt-erst-recht-Haltung ausgelöst und damit dazu beigetragen, die auch politische Dimension gemeinnütziger Arbeit deutlich zu machen. Und die Unterschiede zwischen politisch und parteipolitisch. Die Fragen haben eine öffentliche Diskussion zu Funktionen und Formaten der Zivilgesellschaft ausgelöst, wie es sie in Gesamtdeutschland vielleicht noch nie gab. Die Stellungnahmen und Presseberichte sind kaum zu überblicken.

Bewirkt haben die Fragen auch, dass die 17 genannten Organisationen markiert wurden: von den einen vielleicht als regelrechte Feinde für Feindeslisten; von anderen zumindest als suspekt. Diese Markierung kann im Kopf von Sachbearbeiter*innen im Finanzamt oder bei einem Fördermittelgeber sein und zu einem anderen Blick bei der nächsten Prüfung führen.

Was steckt hinter der Kleinen Anfrage?

Die fatalste Wirkung ist, dass CDU und CSU mit der Art der Fragen normalisiert haben, was bisher nur die AfD und ganz selten mal die FDP gemacht hat: mit parlamentarischen Anfragen einzelne Organisationen ins Scheinwerferlicht zu stellen und Verdacht und Geraune hinzuzufügen. Dabei ringt die Union selbst damit, ob ihre Fragen in Ordnung waren. Etwa wenn Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, in einem Fernsehinterview behauptet, solche Anfragen hätte schon die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen zu Berufsverbänden gestellt. Tatsächlich bezieht sich Frei dabei auf eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2019 zur „Steuerrechtlichen Behandlung von gemeinnützigen Organisationen und Berufs- und Wirtschaftsverbänden“ (Bundestags-Drucksache 19/13886). Die Grünen hatten mit 15 Fragen auf drei Seiten dabei nicht eine einzige Organisation thematisiert, sondern nach den rechtlichen Bedingungen und allgemeinen Zahlen gefragt.

Wollte die Union mit den Fragen mehr Kontrolle etablieren, Kritik unterbinden oder eine Debatte über die Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen anstoßen? Vielleicht auch alles zugleich – zwischen Trotzreaktion und strategischem Versuch, Deutungsmacht zu gewinnen. Es ist unwahrscheinlich, dass aus den Prämissen hinter den 551 Fragen eine konkrete Politik der Union wird. So, wie die CDU aus ihren Parteitagsbeschlüssen von 2018 gegen die Deutsche Umwelthilfe (Gemeinnützigkeit aberkennen, Fördermittel streichen, Verbandsklagerecht entziehen) keine einzige parlamentarische Initiative gemacht hat. Schaden hat sie in beiden Fällen dennoch angerichtet, weil sie Wasser auf die Mühlen von Verschwörungserzähler*innen geleitet hat.

Hoffnungsschimmer in den Koalitionsverhandlungen

In den bekannt gewordenen Ergebnissen aus 16 Arbeitsgruppen der Koalitionsverhandlungen von CDU, SPD und CSU ist fast kein Impuls zur Beschränkung des Gemeinnützigkeitsrechts erkennbar. Eher scheint es möglich, dass nun tatsächlich das Gemeinnützigkeitsrecht ins 21. Jahrhundert geholt wird, weil auch die Union um den Reformbedarf weiß und nicht mehr aus parteitaktischen Gründen blockiert. Die Steuerpolitiker*innen der drei Parteien haben sich geeinigt auf: Gemeinnützigkeitsrecht vereinfachen, Katalog der gemeinnützigen Zwecke modernisieren. Von neuen Transparenzvorschriften ist nirgendwo die Rede – lediglich für Vereine, „die von ausländischen Regierungen finanziert oder gesteuert werden“. Das ist etwas gefährlich, denn im Umkehrschluss müsste jede Organisation nachweisen, dass sie nicht dazu gehört. 

Zivilgesellschaft muss nicht neutral sein 

Die Behauptung einer politischen Neutralitätspflicht gemeinnütziger Organisationen ist ein Mythos. Im Gegenteil ist das Gemeinnützigkeitsrecht liberal. Der Staat öffnet mit gemeinnützigen Zwecken Handlungsräume. Wie Umwelt oder Sport jeweils gefördert werden, darin sind die einzelnen Organisationen frei. Der Staat setzt politische Anreize mit Förderprogrammen. Solche Förderungen in Anspruch zu nehmen, ist freiwillig.

Der Staat selbst ist ebenfalls nicht politisch neutral, aber parteipolitisch neutral in dem Sinne, dass er nicht in den Wettstreit der Parteien um Stimmen eingreifen darf. Auch nicht indirekt, indem er Dritte dazu mit Fördermitteln ausstattet. Doch diese Konkurrenz um Stimmen ist gar nicht die Logik zivilgesellschaftlicher Organisationen. Sie müssen nicht neutral zu Themen und Positionen sein. Sie dürfen keine Partei fördern, was meint: Ihre Arbeit darf nicht auf die Förderung einer Partei gerichtet sein. Wenn sie in Forderungen mit einer Partei überstimmen, ist das eher keine Förderung, sondern ein Erfolg der gemeinnützigen Arbeit.

Portrait Stefan Diefenbach-Trommer
Mut und Solidarität sind der beste Schutz gegen autoritäre Tendenzen statt Wegducken und vorauseilendem Gehorsam.
Stefan Diefenbach-Trommer
Politischer Berater

Nur theoretisch vorstellbar ist, dass irgendjemand mit viel Geld eine Klimaschutzbewegung anschiebt, die dann zu Zehntausenden demonstriert mit dem verdeckten Ziel, dass zu einer Europawahl mehr Menschen die Partei Bündnis 90/Die Grünen wählen. Tatsächlich hätte 2019 jede Partei mit vorausschauender Klimapolitik vor allem bei jungen Wähler*innen punkten können.

Je deutlicher auch Umweltorganisationen machen, dass ihre Arbeit politisch ist, ohne parteipolitisch zu sein, desto selbstverständlicher ist dies und desto schwieriger ist es, eine einzelne Organisation als anders oder „zu politisch“ herauszugreifen und anzugreifen. Mut und Solidarität sind der beste Schutz gegen autoritäre Tendenzen statt Wegducken und vorauseilendem Gehorsam. Der Mut, dass eine gemeinnützige Organisation sich zu politischem Handeln für ihre Satzungszwecke bekennt, kostet im schlechtesten Fall einen Aufwand für Briefe ans Finanzamt. In anderen Ländern ist längst ein ganz anderer Mut nötig, um für den Schutz von Demokratie und Klima einzutreten.

Der Autor

Stefan Diefenbach-Trommer arbeitet als politischer Berater und Autor zu Demokratie und Menschenrechten, an der Schnittstelle von Zivilgesellschaft und Politik. Bis Ende März war er Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von mehr als 200 Vereinen und Stiftungen.

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