Lieferkettengesetz stößt auf kritisches Echo
Die EU-Kommission hat am Mittwoch das lang erwartete Lieferkettengesetz vorgelegt. Darin werden Unternehmenspflichten festgelegt, um Umwelt und Menschenrechte zu schützen. Von allen Seiten kommt Kritik, die Reaktionen gehen von „Entwurf reicht nicht weit genug” bis „Entwurf geht zu weit”.
Was steckt drin?
Unternehmen sollen mit dem Lieferkettengesetz nach Angaben der EU-Kommission verpflichtet werden, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte sowie auf die Umwelt „zu ermitteln und erforderlichenfalls zu verhindern, abzustellen oder zu vermindern“. Dabei geht es zum Beispiel um Kinderarbeit, Ausbeutung von Arbeitnehmer*innen, Umweltverschmutzung oder den Verlust an biologischer Vielfalt. Dies soll Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen sowie Transparenz und Verbraucherschutz gewährleisten. Parallel hat die EU-Kommission am Mittwoch auch eine Mitteilung über menschenwürdige Arbeit weltweit vorgelegt.
Allerdings geht es erst mal nicht um den Großteil der Unternehmen, so fallen kleine und mittlere Unternehmen, also 99 Prozent aller Firmen, aus der Reichweite des Gesetzes. An die neuen Vorschriften halten sollen sich laut Vorschlag sowohl EU-Unternehmen als auch Unternehmen aus Drittstaaten. Bei den EU-Unternehmen umfasst die Reichweite
- alle EU-Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Millionen Euro weltweit (Gruppe 1).
- Außerdem (Gruppe 2) andere Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die in bestimmten „ressourcenintensiven Branchen“ wie Textilindustrie, Bergbau, oder Landwirtschaft tätig sind und die nicht beide Schwellenwerte der Gruppe 1 erfüllen, aber mehr als 250 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von mindestens 40 Millionen Euro weltweit haben. Für diese Unternehmen gelten die Vorschriften außerdem zwei Jahre später als für Gruppe 1.
- Die neuen Regeln betreffen darüber hinaus in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten, die einen Umsatz in Höhe von Gruppe 1 und Gruppe 2 innerhalb der EU erwirtschaften.
Unternehmen der Gruppe 1 müssen zudem über einen Plan verfügen, mit dem sichergestellt wird, dass ihre Geschäftsstrategie die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C im Einklang mit dem Übereinkommen von Paris berücksichtigt.
Reaktionen aus Umweltszene und Wirtschaft
Das Europäische Umweltbüro (EEB) hat den Vorschlag in einer ersten Analyse auf positive und negative Aspekte hin untersucht. Vorteilhaft sei, dass die Sorgfaltspflicht nun in allen Sektoren für Unternehmen ab einer bestimmten Größe obligatorisch sei. Betroffene Menschen und Gemeinschaften, auch außerhalb der EU, haben demzufolge auch das Recht, dies vor Gericht einzuklagen. Der Kommissionsvorschlag befördere einen EU-Standard für die Sorgfaltspflichten, die in den Mitgliedstaaten entwickelt wurden oder werden, um so gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen im Binnenmarkt zu schaffen.
Der Vorschlag enthalte allerdings auch gravierende Mängel, da zu viele Unternehmen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Zudem würden die Zusammenhänge von Sorgfaltspflichten und Klimawandel kaum herausgearbeitet beziehungsweise im Anhang nicht erwähnt und nur in einem unkonkreten Zusammenhang mit den Pflichten der Geschäftsführer („Geschäftsstrategie“) genannt. Unternehmen könnten außerdem ihre Haftung durch Vertragsklauseln einschränken, was ein großes Schlupfloch darstellt. Und der Vorschlag ziele langfristig kaum darauf ab, die Regeln der Unternehmensführung perspektivisch vom reinen Gewinnstreben in andere Richtungen zu leiten.
Ähnlich äußerte sich der WWF Europa. Der Vorschlag gelte nur für einen winzigen Teil der EU-Unternehmen und habe seit seiner ursprünglichen Ankündigung nicht nur seine Ziele verfehlt, sondern auch seinen Schwerpunkt geändert. Ursprünglich sollte die Richtlinie die gesamte „Nachhaltige Unternehmensführung“ betreffen und sei nun in „Nachhaltige Sorgfaltspflicht der Unternehmen“ reduziert worden.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisierte die EU-Kommission, mit dem Entwurf eine „historische Chance für den Klimaschutz vertan“ zu haben. Das Lieferkettengesetz bleibe damit beim Klimaschutz und dem Geltungsbereich „weit hinter den Erwartungen zurück“. Die wenigen Unternehmen, für die das Gesetz gelte, sollen zwar einen Klimaschutzplan vorlegen, allerdings gebe es keine klaren Sanktionen, wenn sie diesen nicht einhielten. Auch würden „skrupellose Ausbeutung und Umweltzerstörung“ in den meisten Fällen weiter ohne Konsequenzen für die Verantwortlichen bleiben. Die DUH forderte die Bundesregierung auf, im EU-Rat Nachbesserungen durchzusetzen.
Ein Bündnis deutscher Umweltorganisationen hatte im Vorfeld in einem Positionspapier seine Forderung nach klimabezogenen Sorgfaltspflichten im geplanten EU-Lieferkettengesetz betont. BUND, Deutsche Umwelthilfe, Germanwatch, Greenpeace und der WWF Deutschland kritisierten zudem das deutsche Lieferkettengesetz als „nicht ausreichend“. Bereits am 8. Februar hatten sich mehr als 100 Unternehmen und Investoren für ein EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen, das Unternehmen in ganz Europa zu Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten verpflichtet, berichtete die aus 130 Organisationen und Institutionen bestehende Initiative Lieferkettengesetz, zu der auch der BUND gehört.
Die EU-Kommission hatte den ursprünglich für Juni 2021 geplanten Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz im vergangenen Jahr mehrfach verschoben. Europäische Wirtschaftsverbände hatten massive Lobbyarbeit gegen wichtige Teile des Vorhabens betrieben. Entsprechend fallen die Reaktionen nun aus. Der Deutsche Raiffeisenverband nannte das Gesetz einen „Schlag in die Magengrube vieler Unternehmen”, die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) sieht „Verbesserungsbedarf” und die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) meint, mit dem Richtlinienvorschlag drohe „massive Überforderung und enorme Unsicherheit”. Der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft warnte dagegen vor einer Abschwächung des Gesetzestextes. Die nachhaltige Wirtschaft setze darauf, dass das EU-Lieferkettengesetz „ein wichtiger Hebel für Umwelt- und Menschenrechtsstandards weltweit” werde. [jg]
EU-Kommission:
- Pressemitteilung: Gerechte und nachhaltige Wirtschaft: Kommission legt Unternehmensregeln für Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in globalen Wertschöpfungsketten fest
- Vorschlag für eine Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen + Anhänge
- Fragen und Antworten zu internationalen Normen für Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen
- Factsheet zu Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen
- Faktenseite zu Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen
Reaktionen:
WWF: EU proposal fails to make business models sustainable
DUH: EU-Lieferkettengesetz: Historische Chance für den Klimaschutz vertan
BUND, DUH, Germanwatch, Greenpeace: Klimaschutz als Unternehmenspflicht: Was kann das deutsche Lieferkettengesetz leisten und was ist vom geplanten EU-Gesetz zu erwarten?
Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE)
Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft
Berichterstattung:
- dpa-Europaticker: EU-Kommission plant strenges Lieferkettengesetz
- euractiv: LEAK: EU due diligence law to apply only to 1% of European companies
- ENDS Europe Daily (kostenpflichtig): Leak: EU corporate governance law limited to large companies