PFAS-Verbot als giftiger Zankapfel
Interessierte Industrieverbände spielen das Verbot der giftigen per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS) gegen die Energie- und Mobilitätswende aus. Die Organisation Corporate Europe Observatory warnt davor, die „eigentliche Katastrophe“ außer acht zu lassen. Derweil finden sich erhöhte PFAS-Werte in den Niederlanden, Norwegen und Belgien.
Das Brüsseler Sommerloch haben Industrieverbände genutzt, um sich an der Konsultation zum angestrebten Verbot der wegen ihrer Langlebigkeit als Ewigkeitschemikalien bezeichneten Substanzengruppe PFAS (per- und polyfluorierte Chemikalien) zu äußern. Automobilindustrie (VDA), Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) sowie Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) argumentierten, dass der Energie- und Mobilitätswende eine „Vollbremsung“ drohe, wenn es keine differenzierte Betrachtung der einzelnen Stoffe, sondern ein Pauschalverbot gebe.
VDA-Präsidentin Hildegard Müller sagte: „Sicher ist: Die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie nehmen den verantwortungsvollen Umgang mit PFAS ernst und werden dies selbstverständlich auch in Zukunft tun.“
Parallel berichtete die Brussels Times, dass in der Seeluft und im Meeresschaum an der belgischen Küste sowie im Küstenboden in Norwegen erhöhte Konzentrationen von PFAS nachweisbar seien. Ein Forscher nannte die Konzentrationen „nicht gefährlich, aber bedenklich“. Eine Forschungsgruppe der Universität Antwerpen hat PFAS in Papier- und Bambustrinkhalmen gefunden, die (nicht nur) in Belgien als Ersatz für die Einwegkunststofftrinkhalme genutzt werden (Artikel Süddeutsche).
In den Niederlanden wurde ein Badesee wegen zu hoher PFAS-Werte gesperrt (Artikel Dutch News) und eine Studie hatte kürzlich ergeben, dass die niederländische Bevölkerung durch Ernährung und Wasser zu hohe PFAS-Konzentrationen in sich aufnehme. Noch werden PFAS-Trinkwasserwerte nicht EU-weit einheitlich erfasst und verglichen.
Die Organisation ChemSec weist darauf hin, dass neben den Umwelt- und Gesundheitsfolgen auch die Glaubwürdigkeit der Politik auf dem Spiel stehe. Beispielsweise sei der Bevölkerung des niederländischen Dorfes Dordrecht, in dem eine chemische Produktionsstätte ansässig ist, immer wieder versichert worden, dass es dort ungefährlich sei. Dennoch zeigten die Blutproben der Bewohner*innen PFAS-Werte, die weit über den Sicherheitsstandards liegen, wie einem kürzlich erschienenen Dokumentarfilm mit dem Titel The PFAS Cover-up zu entnehmen sei.
Derweil hat die lobbykritische Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) analysiert, wie sich die Industrie gegen die bevorstehende europäische Verordnung über PFAS oder "forever chemicals" wehrt. Die Organisation warnt davor, auf die chemische Industrie hören, wenn es um die Regulierung von PFAS geht und dieselben Fehler zu machen wie bei der gesetzlichen Regelung von Tabak oder fossilen Kraftstoffen. Anhand interner Dokumente und anderer Daten belegt die Organisation, „wie mächtige Chemieunternehmen sich selbst als vernünftige Akteure darstellen“, während sie insgeheim auf Ausnahmen für ihre eigenen PFAS-Produkte drängten und „in dramatischen Worten“ vor den wirtschaftlichen Folgen eines Verbots warnten. „In der Zwischenzeit geht die eigentliche Katastrophe - die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt - sowie die Kosten für die Sanierung weiter“, kritisierte die Organisation.
Die sechsmonatige Konsultation zum umfassenden von den dänischen, deutschen, niederländischen, norwegischen und schwedischen Behörden ausgearbeiteten Beschränkungsvorschlag (EU-News 09.02.2023) läuft noch bis 25. September. [jg]
ZVEI et al.: Pauschales PFAS-Verbot gefährdet die Klimaziele des European Green Deal
ChemSec: How lax chemicals regulation leads to serious political costs
Corporate Europe Observatory: PFAS are forever? How the chemical industry is fighting back against regulation