Menü
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
Startseite
Aktuelles & Termine
Aktuelles & EU-News
Lobby-Schlacht um PFAS: Profit vor Gesundheit und Umweltschutz
EU-News | 16.01.2025
#Chemikalien #EU-Umweltpolitik #Politik und Gesellschaft

Lobby-Schlacht um PFAS: Profit vor Gesundheit und Umweltschutz

Blick in ein Labor mit Laborantin
© pixabay/jarmoluk

Die Industrie bremst den EU-Vorschlag zur Beschränkung von per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) - oder auch „Ewigkeitschemikalien“ massiv aus, warnt Corporate Europe Observancy (CEO). Investigative Recherchen zeigen, dass viele der von der Industrie vorgebrachten Argumente „sich auf falsche Angaben oder irreführende Studien“ stützen.

Die Analyse von Mitte Januar veröffentlichten Dokumenten und Recherchen enthüllt Taktiken der Industrie, die Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen. Auch die tagesschau griff das Thema auf und berichtete über „falsche Angaben, übertriebene Zahlen, fehlende Belege“. Das Problem: Diese interessengeleiteten und falschen Argumente werden inzwischen auch auf Politikebene unhinterfragt wiederholt. 

Die lobbykritische Organisation CEO forderte eine „Lobby-Firewall“. „Europäische und internationale Interessensvertreter der Industrie nehmen die Europäische Kommission ins Visier, um ihre PFAS-Profite vor Regulierung zu schützen, ganz ungeachtet der erdrückenden Beweislage zu den katastrophalen Auswirkungen dieser Chemikalien auf Mensch und Umwelt“, kritisierte CEO. Die Sanierung von PFAS in ganz Europa könnte über einen Zeitraum von 20 Jahren bis zu zwei Billionen Euro kosten, um die PFAS-Altlasten und die laufenden Emissionen in Europa zu beseitigen, wobei die jährlichen Kosten für die Sanierung von Emissionen mindestens 100 Milliarden Euro betragen, wenn diese nicht eingeschränkt werden.

Die grenzübergreifenden Recherchen unter dem Titel „Forever Lobbying Project“ wurden von Le Monde sowie 46 Journalistinnen und Journalisten, 29 Medienpartnern aus 16 Ländern und dem Veröffentlichungspartner Arena for Journalism in Europe koordiniert, in Zusammenarbeit mit der Lobby-Beobachtungsgruppe Corporate Europe Observatory. Die Untersuchung fußt auf 14.000 bisher unveröffentlichten Dokumenten zu PFAS, einschließlich Unterlagen, die durch über 180 Anfragen im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes bereitgestellt wurden. 

Angeblich hat die OECD bestimmte PFAS als wenig besorgniserregend eingestuft – das stimmt so aber nicht

Eine besonders wichtige Gruppe der PFAS, die sogenannten Fluorpolymere (Kunststoffe mit Antihaft-Eigenschaften) bezeichneten die Industrie-Papiere als "Polymers of Low Concern", die also weniger besorgniserregend seien. Dabei werde auf die Internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD verwiesen. Dort haben sich aber zwischen 1993 und 2009 nur verschiedene Expertengruppen mit den Stoffen beschäftigt, diese aber nicht endgültig bewertet. Es bestünde überhaupt keine Einigkeit darüber, dass Floarpolymere weniger besorgniserregend seien. 

„Offenbar um ihre Erzählung zu unterfüttern, verweisen Industrievertreter fast 1.000 Mal auf zwei wissenschaftliche Publikationen. Diese legen dar, dass Fluorpolymere angeblich zu groß seien, um Schäden in menschlichen Zellen zu verursachen. Die Autoren der wissenschaftlichen Publikationen waren zudem entweder bei der Industrie angestellt oder von ihr bezahlte Berater, also nicht unabhängig", so das sechsköpfige Autorenteam von NDR/WDR im tagesschau-Beitrag. Abgesehen davon gehe es bei gesundheits- und ökologischen Bedenken weniger um die Nutzung von Produkten, die mit Fluorpolymeren beschichtet oder versetzt seien, sondern um deren Produktion und Entsorgung. Beispielsweise dürften in der Umgebung einer Anlage im Landkreis Altötting in Bayern die Bewohner*innen kein Blut mehr spenden, in der Nähe einer belgischen Anlage dürften Kinder nicht mehr auf unbedecktem Boden spielen und Eier von dort gehaltenen Hühnern nicht mehr gegessen werden. 

Trinkwasserskandale und Umweltkatastrophen wie in Norditalien (EU-News 12.06.2024) sowie die von der Europäischen Umweltagentur festgestellte Verschmutzung europäischer Gewässer durch PFAS (EU-News 13.12.2024) sind ebenfalls schon länger bekannt. Auch der im Anfang Januar veröffentlichte Wasseratlas von Heinrich Böll Stiftung und der vom BUND veröffentlichte Beitrag Vergiftete Flüsse: Lebensadern voller Chemie wirft einen kritischen Blick auf die PFAS-Verschmutzung deutscher Gewässer.

Das spricht gegen ein weiteres Argument der Industrie, nämlich dass die Produktion ohne weitere Gefahr für die Umwelt in geschlossenen Kreisläufen von entsprechenden Anlagen stattfinden würde. Auch bei der Entsorgung gibt es viele ungelöste Probleme.

„Chemische Reaktion: Einblicke in den Kampf der Konzerne gegen die PFAS-Beschränkungen der EU“

In einem Briefing zählt CEO eine ganze Reihe beunruhigender Fakten über das „gezielte Vorgehen“ der Industrie auf. Die Lobbykampagne der Konzerne beruhe „maßgeblich auf alternativen Narrativen, branchenfinanzierter Forschung und Studien, Panikmache und unbegründeten Behauptungen“. Zu den Lobbytaktiken der PFAS-Industrie gehörten: Persönliche Lobbyarbeit, die Mobilisierung von Verbündeten, der Einsatz von Lobby-Beratungsfirmen und -Kanzleien, die Finanzierung von „Folgenabschätzungen“ und „anderen Studien, die der Branche in die Karten spielen“ sowie die Förderung freiwilliger Verpflichtungen als Teil des Widerstands gegen strenge Regulierungen. Die Lobbyaktivitäten lassen sich die Firmen einiges kosten: so habe der Großproduzent Chemours seine gemeldeten Ausgaben für Lobbyarbeit mehr als verdoppelt, die größten PFAS-produzierenden Unternehmen hätten ihre deklarierten Lobbyausgaben auf EU-Ebene zusammengenommen im vergangenen Jahr durchschnittlich um 34 Prozent erhöht. Auch Vertreter*innen aus der Batterie-, Medizintechnik-, Pharma- und Halbleiterbranche seien sehr aktiv. 

Deutschland als unrühmliches Beispiel

Die „PFAS-Lobbyschlacht“ habe in Deutschland „besonders große Ausmaße angenommen“, kritisierte CEO. Vor allem hätten die Unternehmenslobbys „auf Bundes- und Regionalebene echte Verbündete gefunden“, die Bundesregierung nehme eine „Schall- und Rauch“-Haltung ein. Die sei „mehr als besorgniserregend, vor allem so kurz vor den Bundestagswahlen“. 

Dabei hatte Deutschland bei der Vorlage des Verbotsvorschlags der gesamten Gruppe von PFAS ursprünglich einen entscheidenden Anteil. Die öffentliche Konsultation der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zum Thema PFAS-Beschränkungen sei durch Beiträge aus der Industrie stark verwässert worden, so CEO. Die Europäische Chemikalienagentur ECHA und die fünf Behörden aus Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und Schweden, die den Verbotsvorschlag eingebracht hatten (EU-News 09.02.2023), hatten wohl auch deshalb am 20. November 2024 eine Erklärung zu möglichen Abweichungen vom Totalverbot abgegeben. Man suche nach Alternativen zum Totalverbot (EU-News 29.11.2024).

Derweil sammeln sich in Böden, Trinkwasser und Meeren sowie in lebenden Organismen immer mehr Substanzen aus der rund 10.000 Stoffe umfassenden PFAS-Gruppe. Nicht von ungefähr heißen diese auch Ewigkeitschemikalien. [jg]

CEO: Chemical reaction: New report exposes corporate lobby threat to EU PFAS restriction 

The Forever Lobbying Project und Unaffordable - The absurd cost of ‘PFAS as usual’

tagesschau: Kampf um PFAS: Wie Habeck der Chemie-Lobby auf den Leim geht
 

Mehr über PFAS

Im Jahr 2023 wurden im Rahmen einer Untersuchung des Forever Pollution Projects 23.000 PFAS-belastete Standorte allein in Europa identifiziert, darunter 20 Produktionsanlagen und über 2.100 Orte, die zu „PFAS-Hotspots“ deklariert wurden. Schätzungen zufolge landen im Laufe der nächsten 30 Jahre weitere 4,4 Millionen Tonnen PFAS in der Umwelt, wenn keine Maßnahmen erfolgen. 

Ob ein Produkt PFAS enthält, lässt sich in der Regel nicht erkennen, da es in den meisten Produktbereichen keine Kennzeichnungspflicht für diese Ewigkeits-Chemikalien gibt, so die Verbraucherzentrale. Bisher sind weniger als 20 der über 10.000 PFAS Einzelsubstanzen chemikalienrechtlich reguliert, so der BUND, der eine Petition für ein PFAS-Verbot gestartet hat. Der BUND informiert außerdem über PFAS-Gefahren und entlarvt fünf Mythen.

Das könnte Sie interessieren

Protest: Frau mit Megaphon
EU-News | 17.01.2025

# sozial-ökologische Transformation #EU-Umweltpolitik #Politik und Gesellschaft #Wirtschaft

Vor EVP-Gipfel in Berlin: „Schutz von Natur und Demokratie vor Profit“

Kurz vor einem Gipfel in Berlin am 17. und 18. Januar von Vorsitzenden der zur konservativen EVP-Familie gehörenden Parteien aus ganz Europa hat ein großes Bündnis aus 270 Organisationen der Zivilgesellschaft gewarnt, Schutzmaßnahmen als „regulatorische Last“ abzutun. Menschen, Natur und Demokratie ...