LIFE-Gelder und Verbändeförderung – ein gemachter Skandal?

Es rumort in Brüssel: Läuft die Fördermittelvergabe für Nichtregierungsorganisationen rechtmäßig? Der Europäische Rechnungshof sagt: Im Prinzip schon, aber sowohl die EU-Kommission als auch die Geldempfänger müssten transparenter werden. Derweil protestieren mehr als 570 Organisationen der Zivilgesellschaft aus 40 Ländern gegen bisher beispiellose Angriffe auf ihr Engagement. Die 570 stehen ein für Transparenz und demokratische Teilhabe.
Der Europäische Rechnungshof (ECA) – „Hüter der EU-Finanzen“ – analysiert in seinem neuesten Sonderbericht zur EU-Finanzierung für nichtstaatliche Organisationen: „Es herrscht zu wenig Transparenz über die EU-Mittel, die an Nichtregierungsorganisationen (sogenannte NGOs) fließen.“ Zwischen 2021 und 2023 hätten NGOs in den zentralen internen Politikbereichen der EU wie Kohäsion, Forschung, Migration und Umwelt 7,4 Milliarden Euro erhalten – davon 4,8 Milliarden Euro von der EU-Kommission und 2,6 Milliarden Euro von den Mitgliedstaaten. Diese Zahlen seien allerdings mit Vorsicht zu genießen, da es keinen zuverlässigen Überblick über die EU-Mittel gebe, die an NGOs geflossen seien, so der ECA. Es würden nur bruchstückhaft Informationen veröffentlicht, was der Transparenz schade und auch eine Analyse erschwere, ob möglicherweise zu viel Geld an nur einige wenige NGOs fließt. Es sei daher nicht vollständig klar, welche Rolle NGOs in der EU-Politik spielten. Die EU-Kommission habe bestimmte von der EU finanzierte Interessenvertretungstätigkeiten wie etwa Lobbying nicht korrekt offengelegt, und es werde nicht proaktiv kontrolliert, ob die finanzierten NGOs die Werte der EU achten. Dies drohe, den Ruf der EU zu beschädigen, so die Prüfer*innen.
Allerdings bestätigt der Bericht auch, dass die Finanzierung durch die Europäische Union rechtmäßig die Vertretung öffentlicher Interessen als Teil eines transparenten und kontinuierlichen Dialogs mit Organisationen der Zivilgesellschaft unterstützen kann. „Es gibt keinen Skandal“, schreibt deshalb Transparency International EU. Es gebe keinen Hinweis auf „unzulässige Lobbying-Aktivitäten“ oder darauf, dass die Kommission NGOs dafür bezahle, Lobbyarbeit im Europäischen Parlament zu betreiben. „Dies ist ein weiterer Schlag für die, die hart daran arbeiten, einen Skandal zu konstruieren, wo keiner existiert", so Transparency.
NGOs sind nicht gleich NGOs
Nun ist es in der Tat so, dass es in der Vergangenheit den einen oder anderen Skandal gab ("Katargate" 2022). Da es in den EU-Ländern aber keine einheitliche Definition von NGOs gibt und auch nur selten eine in nationalen Gesetzen verankerte, kann eine „Nichtregierungsorganisation“ vielerlei sein: vom kleinen eingetragenen Verein bis hin zu einer als Forschungseinrichtung getarnten Ansammlung von Regierungsvertreter*innen. Die EU definiert erst in der aktualisierten Fassung der EU-Haushaltsordnung vom 23. September 2024 eine NGO wenig konkret als „eine von staatlichen Stellen unabhängige gemeinnützige Freiwilligenorganisation, bei der es sich weder um eine politische Partei noch um eine Gewerkschaft handelt“.
Fakt ist: Viele Nichtregierungsorganisationen „ermöglichen durch ständigen – und transparenten – Dialog die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am demokratischen Willensbildungsprozess in der EU“, so jedenfalls der ECA. Und da NGOs im Allgemeinen keine kommerziellen Interessen verfolgen und Allgemeingüter wie saubere Luft, sauberes Wasser und andere Umweltthemen sowie Daseinsvorsorge zwar Aufgabe der EU und auch der Mitgliedstaaten sind, aber nicht allein behördlicherseits in die Praxis umgesetzt werden können, erhalten Organisationen auch Fördermittel. Allein dies ist manchen interessierten Abgeordneten aber schon ein Dorn im Auge. Wenn dazu noch Kritik geäußert wird oder das Engagement sowohl politisch als auch juristisch unbequem zu werden droht, scheint auch der erwähnte Dialog recht einseitig zu werden. Vor diesem Hintergrund sind die eingebrachten Resolutionen und Debattenbeiträge zu verstehen, die derzeit im Umwelt- (ENVI) und Haushaltskontrollausschuss (CONT) im EU-Parlament auf der Tagesordnung sind. Es geht unter anderem um LIFE (L’Instrument Financier pour l’Environnement), das Förderinstrument der Europäischen Union in den Bereichen Umwelt-, Klima-, und Naturschutz sowie Energiewende. Ein Generalverdacht ist aber schlicht fehl am Platz.
LIFE – das einzige explizite Förderprogramm für Naturschutz - ist vergleichsweise unterfinanziert
Nach einer laut Euractiv „hitzigen Diskussion“ im Umweltausschuss ENVI, wurde eine vom niederländischen EVP-Abgeordneten Sander Smit und Pietro Fiocchi von der rechtskonservativen EKR eingebrachte Resolution mit Kritik an der Mittelvergabe und einer mutmaßlichen Beeinflussung durch die EU-Kommission knapp abgelehnt. Auch der Haushaltskontrollausschuss CONT debattierte am 8. April über die Ergebnisse des ECA-Sonderberichts. Der Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses des Europäischen Parlaments, Niclas Herbst (EVP, Deutschland), erklärte, dass der Rechnungshof die Kritik des Ausschusses an der Finanzierung von NGOs bestätige. Einige Organisationen im Finanztransparenzsystem würden fälschlicherweise als NGOs eingestuft, obwohl sie enge Verbindungen zu Regierungen haben. Bei der Definition von NGOs dürfe es keinen Spielraum für Interpretationen geben.
Die Vorgeschichte lautet in Kürze etwa so: Unter anderem die im Vergleich anteilig relativ geringe Fördermittelvergabe an verschiedene Organisationen der Zivilgesellschaft aus dem einzigen auf Natur- und Umweltschutzthemen bezogenen Fördertopf LIFE von rund 15 Millionen Euro war in Kritik geraten. Eine gezielte Debatte über die öffentliche Finanzierung von NGOs im EU-Parlament im Januar, in deren Mittelpunkt Umweltorganisationen standen, die Betriebskostenzuschüsse aus dem LIFE-Programm erhielten, brachte die Frage auf, ob diese Zuschüsse legitim seien, um sich am demokratischen Prozess zu beteiligen, wozu unter anderem auch politische Arbeit im EU-Parlament gehört. Die Civil Society Europe hatte in einer Erklärung darauf verwiesen, dass die Tätigkeiten der LIFE-geförderten Organisationen nicht auf Lobbyarbeit reduziert werden könnten. Es würden von interessierter Seite Transparenzprobleme bei der Vergabe von Fördermitteln suggeriert, die nicht zuträfen, zumal die Vergabe von Betriebskostenzuschüssen einem wettbewerblichen Verfahren unterliege. Dieses beinhalte eine externe Bewertung im Einklang mit den vom Europäischen Parlament und vom Rat festgelegten Programmzielen. Dennoch behaupteten einige Abgeordnete fälschlicherweise, dass Umweltorganisationen von der Kommission dafür bezahlt worden seien, Lobbyarbeit im Europäischen Parlament zu leisten.
Die EU-Kommission räumte in einem Statement vom 1. April ein, dass in einigen Fällen die von NGOs vorgelegten und den Vereinbarungen über Betriebskostenzuschüsse beigefügten Arbeitsprogramme „spezifische Lobbyarbeit und unzulässige Lobbying-Aktivitäten“ enthalten hätten. Die Kommission habe aber Maßnahmen ergriffen, um solche Fälle in Zukunft zu verhindern. In Brüsseler Kreisen heißt es allerdings auch, es habe für diese Positionierung Absprachen zwischen der Europäischen Volkspartei und der Spitze der EU-Kommission gegeben.
„Beispiellose Angriffe auf NGOs in der EU“ – Aufruf für eine starke und unabhängige Zivilgesellschaft
Ein europaweit aufgestelltes und eindrucksvoll großes Bündnis von mehr als 570 Organisationen hat nun Anfang April gegen „irreführende Narrative“ und einen „fabrizierten Skandal“ protestiert. Zur Erreichung der EU-Ziele wie Zugang zu Informationen, faktenbasierten Erkenntnissen, Gesundheits-, Natur-, Klima- und Umweltschutz sowie soziale Teilhabe, Förderung der Rechtsstaatlichkeit, Bekämpfung von Korruption und vielem mehr gebe es jetzt schon zu wenig Gelder. Für eine starke Zivilgesellschaft sei die Entwicklung eines Rahmens für den zivilen Dialog auf der Grundlage von Artikel 11 EUV eine Priorität in dieser EU-Amtszeit. Damit NGOs sich an diesem Dialog aber überhaupt beteiligen können, bedürfe es angemessener Mittel. Schließlich setzten sich zivilgesellschaftliche Organisationen für die Stärkung der in den europäischen Verträgen und der Charta der Grundrechte verankerten Werte ein.
Im Jahr 2024 hätten allein die 50 Unternehmen mit den größten Lobbying-Budgets zusammen fast 200 Millionen Euro für die Lobbyarbeit in der EU ausgeben, 66 Prozent mehr als 2015. Vergleicht man dies mit den Mitteln, die nichtstaatliche Umweltorganisationen im Rahmen des LIFE-Programms erhalten - 15,6 Millionen jährlich bei einem Jahresbudget von 700 Millionen Euro –, werde die Schwäche dieses „Skandals“ deutlich. Die erwähnten Unternehmen spielten eine entscheidende Rolle bei der Schwächung oder Ablehnung zahlreicher wichtiger Maßnahmen im Bereich des europäischen Green Deals, der öffentlichen Gesundheit und der natürlichen Ressourcen für künftige Generationen.
Die Organisationen rufen deshalb alle demokratischen Kräfte dazu auf, sich gegen falsche Darstellungen und Desinformationen in Bezug auf zivilgesellschaftliche Organisationen zu wehren, ihren maßgeblichen Beitrag zur europäischen Demokratie zu schützen und die öffentliche Finanzierung der Zivilgesellschaft zu sichern. Bürgerbeteiligung sei „ein wesentlicher Pfeiler“.
Auch der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring trägt den Protest der Zivilgesellschaft mit. DNR-Geschäftsführer Florian Schöne sagte: „Zivilgesellschaftliche Organisationen in ganz Europa gestalten durch ihr Engagement unverzichtbare Bereiche unseres Gemeinwesens und setzen sich ein für öffentliche Güter wie Klimaresilienz, Gesundheit, Artenschutz, Armutsbekämpfung, Bildung oder die Wahrung von Demokratie und Rechtsstaat. Derzeit stehen sie in vielen Ländern unter Druck und werden in ihrem Tun immer mehr eingeschränkt und unter Druck gesetzt. Es liegt im Interesse der EU-Kommission und aller anderen EU-Institutionen, die wichtigen Beiträge der Zivilgesellschaft zu verteidigen und zu schützen.“ [jg]
Transparency EU: ECA Report: no scandal – but the Commission needs to invest in a more understandable database
ECA-Pressemeldung zum Sonderbericht sowie Facts and Findings
Statement der EU-Kommission zu LIFE
Civil Society: Attacks on NGOs in the European Parliament – 570+ Organisations Join Forces to Defend Civil Society
DNR: Beispiellose Angriffe auf NGOs in der EU - jetzt für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen!