Koalitionsvertrag ruft kritische Reaktionen hervor

Am 9. April haben CDU/CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag der Öffentlichkeit präsentiert. Der Deutsche Naturschutzring und viele seiner Mitgliedsverbände und Partnerorganisationen reagierten prompt. Klimaschutz, Energiewende, Natur-, Tier- und Umweltschutz stehen auf der Prioritätenliste der künftigen Regierung nicht weit genug oben, analysieren die Verbände.
Mit „Verantwortung für Deutschland“ ist der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD betitelt, der allerdings noch durch einen Unionsparteitag und eine SPD-Mitgliederabstimmung betätigt werden muss. Auf 144 Seiten in sechs Kapiteln legen die Parteien dar, welche Politik sie in diesen geopolitisch aufgeladenen und krisenhaften Zeiten vorantreiben wollen. Umweltrelevante Fachthemen sind im Kapitel „Neues Wirtschaftswachstum, gute Arbeit, gemeinsame Kraftanstrengung“ beschrieben.
Zwar nicht namentlich benannt, aber parteilich zugeordnet, findet sich auf S. 143 die Verteilung der Ressorts. So werden beispielsweise das Verkehrsministerium, das Ministerium für Wirtschaft und Energie unter CDU-Leitung stehen, „Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit“ unter Leitung der SPD, „Ernährung, Landwirtschaft und Heimat“ unter CSU-Führung.
„Grüne Infrastruktur oder graue Rückschritte?“
Der Deutsche Naturschutzring sieht den Koalitionsvertrag „zwischen Hoffnungsschimmer für den Natur- und Klimaschutz – und dunklen Wolken, die sich über Beteiligungsrechte und Umweltstandards legen“ wanken. Mit der geplanten Finanzierung des Naturschutzes, einem Naturflächenbedarfsgesetz und einer möglichen Gemeinschaftsaufgabe für Naturschutz und Klimaanpassung könnte es gelingen, unsere Grüne Infrastruktur zu sichern. Doch diesem Potenzial stünden „gravierende Risiken“ gegenüber. Der Vertrag greife tief in das Umwelt-, Planungs- und Beteiligungsrecht ein. Noch schwerer wiege aber, dass die Koalition „Tür und Tor für Tricksereien beim Klimaschutz“ öffne. „Wer Emissionsminderungen im Ausland auf heimische Ziele anrechnet, wer an überschätzte Technologien wie CCS für Gaskraftwerke glaubt und das Gebäudeenergiegesetz verwässert, verspielt Glaubwürdigkeit – und die Gunst der Stunde“, kritisierte der Umweltdachverband.
„Hochrisikovertrag für Klima, Natur und Mitwirkungsrechte“
Der BUND fürchtet in vielen Bereichen einen Rückschlag. „Verantwortung für Deutschland heißt, den Kurs klar auf den Schutz von Klima und Natur zu setzen“, so der BUND. Die neue Regierung aber wolle zentrale Errungenschaften aushöhlen und rückabwickeln. Neben der Anrechnung „fragwürdiger Projekte im Ausland“ für die Klimaziele, setze sie stark auf die CO₂-Abscheidung und -lagerung, sogar im Stromsektor. Es können eine „explosive Mischung“ entstehen angesichts der gleichzeitigen Beschneidung von Öffentlichkeitsbeteiligung, Umweltinformations- und Verbandsklagerechten mit den angekündigten Einschnitten im Artenschutz und der Ausgleichsregelung für Naturzerstörung. Positiv sei aber die Fortführung des Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz, der Moorschutz, der Erhalt des Grünen Bandes sowie die vorläufige Fortführung des Deutschlandtickets.
„Zusagen für Tierschutz zu dünn“
Der Deutsche Tierschutzbund lobt zwar das ausdrückliche Bekenntnis im Koalitionsvertrag zu Investitionen in den praktischen Tierschutz als Unterstützung der vielen am Limit arbeitenden Tierheime. Auch, dass Geld für den dringend benötigten Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung zur Verfügung gestellt werden soll, sei zwar an sich gut, aber es sei ungeklärt, woher das Geld kommen soll. Vieles „bleibt unkonkret, ist schwach formuliert oder lässt zu viel Spielraum“. Andere drängende Tierschutzthemen hätten es gar nicht erst in den Vertrag geschafft.
„Union und SPD werfen Umwelt- und Klimaschutz um Jahrzehnte zurück“
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) zieht ein „verheerendes Fazit“, da die Koalition einen „klimapolitischen Rückfall noch hinter den Stand der Merkel-Ära“ plane. Zu den Kritikpunkten gehören: Abschaffung des Heizungsgesetzes, kein klarer Fokus auf Energieeffizienz, massive Fehlanreize im Automobilsektor, „Öffnung des Klimaneutralitätsziels bis 2045 für schmutzige internationale Kompensationsgeschäfte“. Notwendige Klimaschutzmaßnahmen insbesondere in den Bereichen Gebäude und Verkehr werde die Organisation notfalls gerichtlich durchsetzen, kündigte die DUH an.
„Solide und zukunftsfähige Staatsfinanzen gibt es nur mit ambitioniertem Klimaschutz“
Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) blickt ebenfalls „mit großer Sorge“ auf den „zukunftsvergessenen“ Koalitionsvertrag. Die geplante Finanz- und Subventionspolitik widerspreche in vielen Punkten den erklärten Klimazielen, den Transformations- und Modernisierungsbedarfen und der angestrebten langfristigen Haushaltsstabilität, so der Verband. Es seien Steuerrabatte für Fliegen, Kohlestrom und Agrardiesel geplant. Besonders kritisch bewertet FÖS die geplante Öffnung des Klima- und Transformationsfonds (KTF) für allgemeine Haushaltszwecke. Auch ein geschlossener Finanzierungskreislauf gemäß dem Leitsatz „Straße finanziert Straße“ sei angesichts der notwendigen Verkehrsverlagerung ein Irrweg.
„Licht und Schatten“
Germanwatch lobte das zeitgemäße Sicherheitsverständnis und die prinzipielle Unterstützung von Klimazielen, sieht aber auch „hoch problematische Schwächungen und Unsicherheiten“. Zwar sei das Festhalten an einem eigenständigen Entwicklungsministerium und die Ankündigung für einen fairen Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung begrüßenswert, allerdings brauche Entwicklungshilfe angemessene Finanzierung und jede Absenkung unter 0,7 Prozent des Bruottoinlandsproduktes sei angesichts der geopolitischen Herausforderungen letztlich auch eine „Kapitulation vor Trump“. „Hoch problematisch“ sei die angekündigte teilweise Aussetzung von Sanktionen bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz. Das Bekenntnis zum minus 90 Prozent Emissionsreduktionsziel im Klimaschutz sei die „wichtigste beste Nachricht“ nach Brüssel, den geplanten mit 3 Prozent vom Gesamtziel eingegrenzten Teil der europäischen Klimaschutzleistung außerhalb der EU einzukaufen, könne dagegen zu einem „erheblichen Problem“ werden.
„Hoffnungsvoll und besorgt zugleich“
Der NABU sieht im Koalitionsvertrag ein wichtiges Zeichen für die geplante Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen – Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, Sonderrahmenplan sowie eine Gemeinschaftsaufgabe für Naturschutz und Klimaanpassung – es fehlten allerdings konkrete Summen. Außerdem sollen Ausgleichspflichten bei Eingriffen in die Natur reduziert und die „wichtigste Errungenschaft in der EU für die Wiederherstellung der Natur“ (das Nature Restoration Law) soll abgeschwächt werden. Den angekündigten Bürokratieabbau im Ehrenamt begrüßte NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger, gleichzeitig warnte er davor, das Verbandsklagerecht und Beteiligungsrechte zu schwächen. „Die kritischen Töne gegenüber der Zivilgesellschaft sind ein gefährliches Signal. Wer aus taktischen Gründen Beteiligungsrechte infrage stellt, gefährdet die Grundlage unserer Demokratie", so Krüger.
„Rückschrittskoalition ohne Plan für den nötigen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft“
ROBIN WOOD kritisiert, dass die Koalitionsparteien voll auf wirtschaftliches Wachstum ohne Rücksicht auf planetare Grenzen setzen. Union und SPD zeigten keine Wege auf, wie die künftige Bundesregierung den sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft voranbringen will. In zentralen Bereichen wie Mobilität, Energie und Wälder vermisst ROBIN WOOD konstruktive Vorschläge für eine dringend überfällige Trendumkehr hin zu mehr Klimagerechtigkeit. Einfach umsetzbare Verkehrswende-Vorhaben wie das Tempolimit hätten es nicht in den Vertrag geschafft, am wenig auf Klimapolitik orientierten Bundesverkehrswegeplans werde ebenso festgehalten wie an der Erhöhung der Pendlerpauschale. Die Wärmewende werde ausgebremst, Anreize zum Energiesparen und für mehr Energieeffizienz fehlten. Immerhin: abgeschaltete Atomkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen, stehe nicht im Koalitionsvertrag. Die Abschaffung des Lieferketten-Sorgfaltspflichten-Gesetzes und die Aushebelung der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) werde die „schon miserable Situation der Wälder“ weiter verschlechtern.
„Informationsfreiheits- und Umweltrechte unter Druck“
Das Umweltinstitut München sieht durchaus einige Lichtblicke im Koalitionsvertrag – etwa den Erhalt des Informationsfreiheitsgesetzes und dass der Wiedereinstieg in die Atomkraft vom Tisch ist. „Gleichzeitig drohen weiterhin massive Eingriffe in Transparenz- und Beteiligungsrechte für die Gesellschaft“, so die Organisation. Auch die Energiewende gerate unter Beschuss: Statt den Gasausstieg voranzutreiben, soll die Nutzung des klimaschädlichen Energieträgers sogar verlängert werden – inklusive der Erschließung neuer Gasfelder in Deutschland. In der Landwirtschaftspolitik drohe ebenfalls Ungemach: „Maßnahmen zur dringend notwendigen Pestizidreduktion fehlen komplett, verbindliche Vorgaben für mehr Ökolandbau sucht man vergeblich im Koalitionsvertrag“, kritisiert das Umweltinstitut München.
„Weder Mut noch Weitsicht“
Der WWF kritisiert, dass der Koalitionsvertrag „beim Klima- und Umweltschutz weit hinter den Erfordernissen der Zeit“ zurückbleibe. Er sei eine verpasste Chance, wichtige Impulse in Richtung Klimaneutralität und Erhalt der biologischen Vielfalt zu setzen. Die Konsequenzen der Klimakrise würden immer deutlicher, die künftige Bundesregierung sollte daher fossile Infrastrukturen abbauen und nicht wie bei der Gasförderung neue schaffen. Artenschutz und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen seien existenziell – und der Koalitionsvertrag werde diesen wichtigen Aufgaben trotz anerkennenswerter Zusagen zur Naturschutzfinanzierung und dem Naturflächenbedarfsgesetz leider nicht gerecht. „So ist die Umsetzung der europäischen Naturwiederherstellungsverordnung kein Wünsch-Dir-Was, wie der Vertragstext suggeriert, sondern Pflichtaufgabe. Die angekündigte ‚Praxistauglichkeit‘ bei der Umsetzung der Biodiversitätsstrategie mag gut klingen, lässt im Hinblick auf ambitioniertes Handeln aber nichts Gutes vermuten“, so Matthias Meißner, Leiter Politik und Biodiversität beim WWF Deutschland. [jg]
Koalitionsvertrag in der Fassung vom 9. April
Reaktionen von Organisationen unter dem Dach des DNR:
- DNR: Grüne Infrastruktur oder graue Rückschritte? Eine schwarz-rote Koalition mit Chancen und Risiken
- BUND: Schwarz-rote Koalition: Hochrisiko-Vertrag für Klima, Natur und Mitwirkungsrechte
- Deutscher Tierschutzbund: Kommentar zum Koalitionsvertrag
- DUH: „Union und SPD werfen Umwelt- und Klimaschutz um Jahrzehnte zurück“
- FÖS: Koalitionsvertrag ist zukunftsvergessen - Solide Staatsfinanzen nur mit ambitioniertem Klimaschutz
- Germanwatch: Licht und Schatten im neuen Koalitionsvertrag
- NABU: Koalitionsvertrag mit Chancen und Risiken
- ROBIN WOOD: Rückschrittskoalition ohne Plan für den nötigen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft
- Umweltinstitut München: Umwelt unter Druck: Was die neue Regierung plant
- WWF: Weder Mut noch Weitsicht
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