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REACH kommt später und vermutlich abgeschwächt
EU-News | 14.07.2023
#Chemikalien

REACH kommt später und vermutlich abgeschwächt

Gefährliche Chemikalien
© AdobeStock/A_Bruno
Gefährliche Chemikalien

Corporate Europe, CHEM Trust und das Europäische Umweltbüro (EEB) fürchten eine „beunruhigende Verwässerung“ der Reform der EU-Chemikalienpolitik REACH. Die Organisationen beziehen sich auf eine teils geschwärzte Folgenabschätzung. Derzeit prüfe die Europäische Bürgerbeauftragte, ob das Dokument vollständig veröffentlicht werden müsste.

Die Organisationen forderten am 11. Juli, dass das in der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit 2020 enthaltene Ziel für eine giftfreie Umwelt 1.000 Tage nach Veröffentlichung endlich konkret umgesetzt wird. Die dringend notwendige Überarbeitung der REACH-Verordnung sei durch eine „Koalition aus Industrie und Mitte-Rechts-Politikern“ bisher verzögert worden. Der Plan, „die schädlichsten Chemikalien in Konsumgütern zu verbieten und ihre Verwendung nur dort zuzulassen, wo es unbedingt notwendig ist“, werde dadurch ebenfalls nicht nur aufgeschoben, sondern soll scheinbar auch verwässert werden.

Bleibt die Hälfte der Produkte schädlich?

Der redigierten Folgeabschätzung sei zu entnehmen, dass der Schwerpunkt nur noch dort zu liegen scheint, wo die Öffentlichkeit „in hohem Maße“ schädlichen Chemikalien in Verbraucherprodukten ausgesetzt ist, kritisieren die Organisationen. Die Folgenabschätzung ziehe eine Reihe von Szenarien in Betracht, bei denen 99 Prozent, 90 Prozent oder 50 Prozent der Verbraucherprodukte, die die schädlichsten Chemikalien enthalten, von den neuen Vorschriften unberührt blieben. Welches dieser Szenarien auch immer für den endgültigen Vorschlag zur Überarbeitung von REACH gewählt werde, würde einen „drastischen Rückschritt“ bedeuten. Die Last der giftigen Chemikalien dürfe nicht der Gesellschaft aufgebürdet werden.

Zudem überwögen die Einsparungen im Gesundheitsbereich die Kosten für die Industrie bei weitem. „Jeder Tag der Verzögerung bringt mehr Leid, Krankheit oder sogar einen frühen Tod mit sich“, sagte EEB-Chemikalienexpertin Tatiana Santos. Es sei dringend notwendig, gefährliche Chemikalien und Produkte vom Markt zu nehmen.

Besorgniserregende Forschungsergebnisse zeigen, dass gehandelt werden muss

Der Rückzug von einem ehrgeizigen Vorschlag zur Überarbeitung von REACH ist für die Organisationen angesichts der Ergebnisse der europäischen Human Biomonitoring-Initiative (HBM4EU) „besonders schockierend“. Die fünfjährige HBM4EU-Analyse von 18 gefährlichen Chemikalien und Chemikaliengruppen in Blut- und Urinproben aus ganz Europa hatte eine „alarmierend hohe“ Exposition der Bevölkerung, insbesondere von Kindern, festgestellt. Viele Menschen in Europa seien mehreren Stoffen in einem Maße ausgesetzt, bei dem „schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen nicht ausgeschlossen werden können“. Zudem würden Cocktaileffekte – also die kombinierte Wirkung mehrerer Schadstoffe – „systematisch unterschätzt“, und es gebe viele Datenlücken. Außerdem gebe es oft „bedauerliche Substitutionen“ – also die Verwendung eines vermeintlichen besseren Alternativstoffes, der aber schlecht untersucht und im schlechtesten Fall ebenso schädlich sei.

Der regulatorische Rückzug der EU könne der „Sargnagel für den Green Deal“ sein und untergrabe das Vertrauen in die EU. Stefan Scheuer von CHEM Trust kritisierte die „systematische Umgehung von Vorschriften durch Chemieunternehmen“. Dies bringe die menschliche Gesundheit und den Planeten in Gefahr, da die Chemieindustrie von einer schädlichen Chemikalie zur nächsten wechsele. Die EU-Kommission habe versprochen, die Chemikalienvorschriften zu verschärfen, nun müsse sie ihre Zusagen auch einhalten.

Dass die Folgenabschätzung und verschiedene Stellungnahmen überhaupt - wenn auch nur geschwärzt - bekannt wurden, liegt am hartnäckigen Nachfragen von Corporate Europe. Wegen der Schwärzungen hat die Organisation Beschwerde bei der Europäischen Bürgerbeauftragten eingereicht. Denn laut Aarhus-Konvention hat die Bevölkernug ein Recht auf Zugang zu Umweltinformationen.

REACH-Reform soll wohl im vierten Quartal kommen

Laut dem Informationsdienst ENDS Europe hat eine Kommissionbeamtin in einer Debatte mit dem Umweltausschuss Ende Juni (Videomitschnitt) gesagt, dass der Vorschlag für die REACH-Überarbeitung nun im vierten Quartal vorgelegt werden soll. Ursprünglich sollte der Vorschlag seit Ende 2022 vorliegen, dann im dritten Quartal – und es gab viel Kritik an „REACH im Schleichgang“ (EU-News 15.03.2023). Je später Gesetzesvorschläge kommen, desto unwahrscheinlicher wird eine Bearbeitung durch die EU-Institutionen noch in dieser Legislatur. Die nächsten Wahlen für das EU-Parlament finden im Juni 2024 statt, die Besetzung der neuen EU-Kommission erfolgt im darauffolgenden Herbst. [jg]

Corporate Europe et al.: Out of REACH?

EEB: Largest ever public screening finds “alarmingly high” chemical exposure

ENDS Europe (kostenpflichtig): Commission still aiming for REACH revision by year-end

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