Taxonomie: Einwegplastik und Ausgleichsmaßnahmen „grün“?
Umweltexperten drängen auf wesentliche Verbesserungen des umstrittenen EU-Taxonomiegesetzes, um wissenschaftlich fundierte Kriterien zu gewährleisten und die Umweltintegrität zu wahren. Die EU-Kommission hatte bis zum 3. Mai Meinungen zu einem delegierten Rechtsakt eingeholt, der Kriterien für „grüne“ Investitionen enthält, die Wasser, Kreislaufwirtschaft, Umweltverschmutzung und Biodiversität betreffen. Es gab zahlreiche Rückmeldungen zur Konsultation.
Eine Koalition zivilgesellschaftlicher Organisationen, darunter der WWF, hat die Europäische Kommission in ihrer Reaktion aufgefordert, kein weiteres Greenwashing der EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen zuzulassen. Die Umwelttaxonomie (Taxo-4) stuft Aktivitäten auf der Grundlage ihrer Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, Meeres- und Süßwasserökosysteme, Umweltverschmutzung und die Kreislaufwirtschaft als nachhaltig oder nicht nachhaltig ein.
Das Bündnis hat die Kriterien der Kommission in der öffentlichen Konsultation detailliert untersucht und drei Hauptkritikpunkte an dem Text der Kommission ausgemacht:
- Die Taxonomie basiere auf unwissenschaftlichen Kriterien, die nicht-nachhaltigen Aktivitäten wie Einweg-Plastikverpackungen, fossil betriebenen Schiffen, dem Flugverkehr und Kompensationsmaßnahmen für die biologische Vielfalt ein grünes Etikett verleihen würden.
- Kritische Aktivitäten wie die Herstellung von Chemikalien, Lebensmitteln und Getränken sowie die Forstwirtschaft würden im Text nicht berücksichtigt.
- Der Vorschlag schwäche wichtige Kriterien zur Umweltverschmutzung ab, die es ermöglichen würden, die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu schützen.
Sebastien Godinot vom WWF-Europabüro kritisierte, dass die EU-Taxonomie in ihrer jetzigen Fassung statt „einen Goldstandard für grüne Investitionen“ zu liefern, Ausgleichsmaßnahmen für Naturverluste (Biodiversitäts-Offsets) einen umweltfreundlichen Anschein gebe. „Offsets dienen per definitionem dazu, eine schädliche Aktivität auszugleichen - sie sind keine Umweltlösung“, so Godinot. Die Taxonomie sollte keine Anreize für sie schaffen – zudem habe die eigens eingesetzte beratende EU-Plattform für nachhaltige Finanzen diese ausgeschlossen. Die Organisationen forderten die Europäische Kommission dringend auf, den Empfehlungen ihrer eigenen Expertengruppe zu folgen.
Das Institut für Europäische Umweltpolitik (IEEP) äußerte wie das zivilgesellschaftliche Bündnis ebenfalls Bedenken, Ausgleichsmaßnahmen als „wesentlichen Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme“ zu ermöglichen (Anhang IV) – dies lade zu Biodiversitätsverlusten ein.
Der Think Tank E3G forderte darüber hinaus Verbesserung bei den Kriterien der Kreislaufwirtschaft für den Bau neuer Gebäude und die Renovierung bestehender Gebäude. Auch die CE-Kriterien für die Herstellung von Kunststoffverpackungen sollten verschärft werden. Auch die vorgeschlagenen Änderungen an den bestehenden Klimaschutzkriterien wiesen Mängel auf. Insbesondere die Kriterien für die Schifffahrt und den Luftverkehr müssten deutlich verbessert werden, um zu verhindern, dass umweltverschmutzende Aktivitäten wie bisher als umweltfreundlich eingestuft werden können. E3G mahnte, dass einige Aktivitäten, die ursprünglich von der Plattform für nachhaltige Finanzen vorgeschlagen wurden, nicht in den Kommissionsvorschlag aufgenommen worden seien. Es sollten wissenschaftlich fundierte, ehrgeizige Kriterien für Sektoren mit großen Auswirkungen – wie Chemikalien, Textilien, Bekleidung und Schuhe, Landwirtschaft und Fischerei – entwickelt und in die Taxonomie aufgenommen werden. "Business as usual" dürfe nicht als umweltfreundlich deklariert werden. Die schwachen Kriterien für den Forstsektor seien „eine verpasste Gelegenheit“, bisherige Praktiken zu ändern und zu verbessern.
Die EU-eigene aus Expert*innen zusammengesetzte Plattform für nachhaltige Finanzen gab erneut eine Reihe von Empfehlungen für klarere Definitionen des Geltungsbereichs und festgestellte Diskrepanzen bei erforderlichen Daten in den verschiedenen Anhängen. Außerdem sollte die Festlegung der Kriterien oder die Auslegung der Kriterien nicht dem Ermessen eines Unternehmens, eines Wirtschaftsakteurs oder eines Prüfers überlassen werden, damit die Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit der Kriterien bestehen bleibt. Die Plattform forderte die Europäische Kommission außerdem „nachdrücklich“ auf, die Einstufung einer Tätigkeit in die Kategorien als kohlenstoffarm oder als Übergangstätigkeit einstufbar zu machen, je nachdem, welchen Kriterienkatalog sie erfüllt. Zudem sollte eine „Mehrleistung“ der Unternehmen bei allen Übergangstätigkeiten möglich sein, ohne dass die Aktivität ihr Label ändere.
Im vergangenen Jahr hatte es viel Streit um die Einstufung von Gas und Atomkraft als „grün“ gegeben. Im Januar gründeten Nichtregierungsorganisatioenn eine eigene Plattform für grüne Investitionen (EU-News 19.01.2023). [jg]
New sustainability criteria: IEEP’s take on the Commission’s proposal for the EU taxonomy