Überblick: Bericht zur Wahl tierschutzkonformer Ernährung, 18 Länder im Einsatz gegen Pelztierzucht
Immer mehr EU-Bürger*innen wollen Tierschutz in ihre Ernährungsentscheidungen mit einbeziehen. Externe Faktoren erschweren dies aber, zeigt ein aktueller Bericht. Außerdem: 18 Mitgliedstaaten setzen sich beim AGRIFISH-Treffen für ein EU-weites Verbot der Pelztierzucht ein.
Was steht heute auf dem Essensplan? Diese Frage im Alltagsleben kann mit einem ganzen Rattenschwanz an Wahlmöglichkeiten und Entscheidungsdruck verbunden sein. Ein neuer Bericht der 'Put Change on the Menu'-Koalition zeigt nun auf, dass Menschen bei der Entscheidung, wie sie sich ernähren nicht ansatzweise so frei sind, wie erwartbar wäre.
Stattdessen beeinflusst uns in puncto Essen eine Vielzahl von Faktoren bei der Entscheidungsfindung: Sogenannte Lebensmittel-Umgebungen (food environments) reichen beispielsweise von der Bewerbung bestimmter Produkte in Prospekten, der Auswahl reduzierter Waren im Supermarkt, Preis und Verfügbarkeit von Lebensmitteln bis zur Gestaltung der Verkaufsflächen in Discountern und bestimmen oftmals, was auf dem Essenstisch landet.
Food Environment: Negativer Einfluss auf tierschutzfreundliche Ernährung
Diesen äußeren Bedingungen, die als „physische[n], wirtschaftliche[n], politische[n] und soziokulturelle[n] Kontext“ zur Auseinandersetzung mit dem „Lebensmittelsystem“ definiert werden, attestiert der Bericht einen eher negativen Effekt in Hinblick auf gesunde Essgewohnheiten, hohe Tierschutzstandards und auch auf die Vision der Europäischen Kommission im Bereich nachhaltige Ernährung und Landwirtschaft.
Reineke Hameleers, Geschäftsführerin der Eurogroup for Animals, kritisiert den hohen Einfluss der Industrie und fordert die EU-Gesetzgeber*innen dazu auf, aktiver für nachhaltige und tierfreundliche Nahrung einzutreten. Schließlich würden die „europäischen Bürger (…) Lebensmittel essen [wollen], die den Tierschutz gewährleisten“. Allerdings seien es oft eher die wenig nachhaltigen oder tierfreundlichen Produkte, die den Konsument*innen im Supermarkt ins Auge springen würden.
Mit der Einschätzung der „Put change on the menu“-Koalition stimmt auch die SAPEA-Arbeitsgruppe (Science advice for policy by european academia) in einem neuen Evidenzbericht überein. Das Konsortium aus Wissenschaftler*innen - die für die Europäische Kommission beratend tätig sind - kommt zu dem Schluss, dass Verbraucher bei ihren Ernährungsentscheidungen stark beeinflusst werden und nachhaltige sowie tierschutzkonforme Kost so tendenziell ins Hintertreffen gerät. Hier müsste die EU entsprechend nachjustieren, um Konsument*innen in ihrer angestrebten Nahrungsweise mehr zu unterstützen.
18 EU-Länder positionieren sich gegen die Pelztierzucht
Gute Neuigkeiten für den Tierschutz gibt es aus der monatlichen AGRIFISH-Ratssitzung der EU-Landwirtschaftsminister*innen vom 26. Juni. So haben 18 EU-Mitgliedstaaten – unter der Federführung Deutschlands, Österreichs und den Niederlanden – ihre Unterstützung für ein EU-weites Verbot der Pelztierzucht und des Handels mit Pelzen in einem vorgelegten Papier zum Ausdruck gebracht.
Deutliche Worte gegen die Praxis, „nicht domestizierte“ Tiere wie Nerze, Marderhunde oder Füchse ausschließlich für ihr Fell zu halten, fand Deutschlands Landwirtschaftsminister Cem Özdemir: „Es ist ethisch nicht vertretbar, diese Tiere zu züchten und zu töten, um nicht lebensnotwendige Luxusprodukte herzustellen“. An die Kommission wendete er sich mit der Bitte, bei der für dieses Jahr im September angesetzten Überarbeitung der Tierschutzvorschriften, ein Verbot der Zucht und des Verkaufs von Pelz zu erwirken.
EU-Kommission drückt auf Bremse: wissenschaftliche Empfehlung fehlt noch
Die für Tierschutzvorschriften zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides entgegnete den Minister*innen, es läge noch kein wissenschaftliches Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) über das Wohlergehen von Pelztieren vor. Entsprechend sei die Arbeit der Kommission in diesem Bereich noch ungenügend. Laut Einblicken von EURACTIV wird ein mögliches Verbot der Pelztierzucht von der EU-Kommission grundsätzlich jedoch in Betracht gezogen. Eine politische Einigung und daraus folgende Schritte bleiben vorerst abzuwarten.
Joe Moran, Direktor des europäischen Tierschutzbüros FOUR PAWS, erwartet, dass „die nächsten sechs Monate bis ein Jahr die wichtigsten für die Richtung der Tierschutzgesetzgebung in der EU“ der vergangenen zwei Dekaden sein werden. Mit Verweis auf die kürzlich an die EU-Kommission übergebene Europäische Bürgerinitiative für ein pelzfreies Europa, sagte er: „Die Bürger haben gesprochen […] sie können nicht ignoriert werden“. Bei der diesjährigen Überarbeitung der EU-Tierschutzvorschriften stehen zwar landwirtschaftliche Nutztiere im Fokus, doch auch für ein potenzielles Verbot der Pelztierzucht könnte 2023 ein wegweisendes Jahr werden. [mi]
Artikel Landwirtschaft und Ernährung: EURACTIV.
Bericht zu Ernährungsentscheidung: Eurogroup for Animals.
Definition 'Food Environment': Commitee on World Food Security.
Pressemitteilung: Vier Pfoten.
Pressemitteilung Bericht: Eurogroup for Animals.
Pressemitteilung AGRIFISH: Eurogroup for Animals.