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Warum es eine Weltchemikalienkonvention braucht
News | 05.09.2023
#Chemikalien

Warum es eine Weltchemikalienkonvention braucht

Fässer mit Chemikalien
© AdobeStock/chitsanupong
Fässer mit Chemikalien

Die enorme Menge chemischer Stoffe in der Umwelt erfordert eine konsequente globale Reaktion. Denn der ungebremste Einsatz von Chemikalien gefährdet unseren Planeten erheblich. Eine verbindliche, nachhaltige Stoffpolitik könnte sich am Paris-Abkommen für den Klimaschutz orientieren.  

In den vergangenen Jahrzehnten haben die Nutzung natürlicher Ressourcen und die Chemikalienproduktion weltweit dramatisch zugenommen – und eine weitere Zunahme ist prognostiziert. Während früher meist lokale Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt im Vordergrund standen, ist inzwischen klar, dass der gegenwärtige Umgang mit Rohstoffen, Chemikalien und aus Chemikalien hergestellten Produkten die Biosphäre als Ganzes gefährdet. Durch die massiven Eingriffe des Menschen seit Beginn des Industriezeitalters hat die Erde die stabile Phase des Holozäns verlassen und ist in eine neue erdgeschichtliche Periode, das Anthropozän, eingetreten.

Im Konzept der planetaren Leitplanken sind neun Bereiche definiert, in denen das Erdsystem durch menschliches Handeln gefährdet ist. Mit den Treibhausgasen, die den Klimawandel verursachen, der Versauerung der Meere, der Schädigung der Ozonschicht, den Aerosolen in der Atmosphäre, den Einträgen von Phosphor und Stickstoff sowie den „Neuen Substanzen“ (neue durch menschliches Handeln erzeugte Substanzen, neue Formen bereits existierender Substanzen und modifizierte Lebensformen; die Red.) sind sechs dieser Leitplanken mit Ressourcennutzung sowie der Verwendung und Emission von Chemikalien direkt verbunden.

Die Analysen zeigen: Unsere heutige Wirtschaftsweise und aktuellen Lebensstile sind nicht nachhaltig und überschreiten die Kapazitätsgrenzen unserer Erde. Die Tendenzen beim globalen Rohstoff- und Energieverbrauch weisen auf eine sich beschleunigende Zunahme hin. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Die Menschheit hat den sicheren Handlungsraum bereits verlassen.

Auch die planetare Leitplanke „Neue Substanzen“ ist bereits überschritten. Weltweit werden schätzungsweise 350.000 verschiedene Chemikalien hergestellt. Dazu gehören Kunststoffe, Pestizide, Industriechemikalien, Chemikalien in Konsumgütern, Antibiotika und andere Pharmazeutika. Dabei handelt es sich häufig um Stoffe, die nicht natürlich vorkommen, sondern erst durch menschliche Aktivitäten entstehen und deren Auswirkungen auf das Erdsystem noch weitgehend unbekannt sind. Viele dieser Chemikalien sind zudem über Jahrhunderte in der Umwelt stabil. Die Beispiele der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), der per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) und des Plastiks zeigen, dass auch Substanzen und Materialien, von denen ursprünglich angenommen wurde, dass sie ungefährlich seien, große Probleme verursachen können. Einmal in die Umwelt gelangt, sind diese „Ewigkeits-Chemikalien“ – wenn überhaupt – nur mit großem Aufwand zurückzuholen.

Vorsorgeprinzip soll vor Schäden schützen

Bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren wurde erkannt, dass es zu spät sein kann, erst zu handeln, wenn Wirkungen von Stoffen in der Umwelt zweifelsfrei nachgewiesen sind. Im nationalen und internationalen Recht wurde daher das Vorsorgeprinzip verankert. Danach sollen Maßnahmen zur Vermeideng von Schäden bereits dann ergriffen werden, wenn triftige Gründe zur Besorgnis vorliegen. Doch noch immer ist viel zu oft das „Weiter so“ die gängige Handlungsmaxime. Maßnahmen wurden und werden erst nach jahrelanger Verzögerung ergriffen, wenn Schäden bereits eingetreten sind.

Es wird schnell klar: Wir brauchen neue Ansätze. Eine Chemikalie für sich allein zu beurteilen, genügt meist nicht. Es muss in Zusammenhängen gedacht und gehandelt werden. Neben dem Zusammenspiel verschiedener Chemikalien sind auch weitere Faktoren, beispielsweise das sich ändernde Klima, die Verluste an biologischer Vielfalt und Belastungen der menschlichen Gesundheit, zu beachten. Auch die globale Dimension der Stoffströme ist in den Blick zu nehmen. Wir brauchen eine nationale und globale Stoffpolitik, die sich diesen Herausforderungen stellt.

Markus Große Ophoff
Wir brauchen neue Ansätze. Eine Chemikalie für sich allein zu beurteilen, genügt meist nicht. Es muss in Zusammenhängen gedacht und gehandelt werden.
Markus Große Ophoff
Mitglied Wissenschaftlicher Beirat des BUND

Die BUND-Position „Herausforderungen für eine nachhaltige Stoffpolitik – Notwendigkeit einer Transformation im globalen Kontext“ zeigt Wege auf, wie eine nachhaltige Stoffpolitik gelingen kann. So sollten langlebige Stoffe nicht in die Umwelt gelangen und deutlich weniger giftige Chemikalien produziert werden. Wo möglich, sollten generell weniger Chemikalien eingesetzt werden. Wird eine Substanz oder ein Produkt dennoch verwendet, muss dies möglichst effizient – also mit hohem Nutzen geschehen. Dabei ist auf eine konsequente Kreislaufführung der verbleibenden Stoffströme zu achten. Das Ziel muss eine zirkuläre Ökonomie sein.

Zukunftstaugliche Stoffpolitik gelingt nur mit Umbau der Wirtschaft und des Konsums

Die gesetzlichen Grundlagen des Chemikalien-, Produkt- und Abfallrechts sind deshalb auf eine gemeinsame Basis zu stellen und eng aufeinander abzustimmen. Dies gilt sowohl national als auch international. Eine nachhaltige Stoffpolitik muss zudem alle Lebensbereiche wie Mobilität, Wohnen und Bauen, Ernährung, Bekleidung und Konsum umfassen. Sie geht damit weit über die bisherige Chemikalienpolitik hinaus und erfordert ähnlich wie beim Klimaschutz eine umfassende Transformation der Wirtschaftsweise und des Konsumverhaltens. Stoffpolitik ist dabei eng mit Ressourcen- und Klimaschutz verknüpft und muss gemeinsam mit diesen gedacht und umgesetzt werden.

Die Stoffpolitik ist stärker an den Leitbildern Vorsorge und Nachhaltigkeit auszurichten. Dies bedeutet international eine Verknüpfung mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen. Bei der Stoffbewertung ist insbesondere die Persistenz als zentrales Gefährdungsmerkmal konsequent zu beachten. Ein vorrangiges Ziel ist es, nachhaltige Chemikalien, die insbesondere nicht persistent, aber auch nicht bioakkumulierend, (öko)toxisch oder hochmobil sind, zu entwickeln und einzusetzen. Nachhaltige Stoffpolitik erfordert auch eine Reduzierung der globalen Produktion und des Verbrauchs von Chemikalien und der Übernutzung der Ressourcen durch ein nachhaltiges Stoffstrommanagement. Fossile Grundstoffe wie Mineralöl und Gas für die Chemikalienproduktion sollten bald der Vergangenheit angehören.

Dafür ist eine internationale Rahmenkonvention – ähnlich dem Paris-Abkommen für den Klimaschutz – notwendig, die verbindliche Reduktions- und Managementregeln für Stoffe und Chemikalien definiert. Diese zukünftige globale Rahmenkonvention zum nachhaltigen Management von Stoffen, Materialien und Ressourcen soll vorhandene Regelungen für Chemikalien, Schadstoffe, Ressourcen und gefährliche Abfälle verbinden und dabei gleichzeitig verbindliche Reduktionsziele festlegen, wie in einem Positionspapier des BUND vorgeschlagen. Die bereits bestehenden Abkommen

  • Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht
  • Basler Übereinkommen zum grenzüberschreitenden Transport gefährlicher Abfälle
  • Rotterdamer Übereinkommen zu grenzüberschreitenden Transporten gefährlicher Chemikalien
  • Stockholmer Übereinkommen zu persistenten organischen Schadstoffen (POPs)
  • Minamata-Übereinkommen zur Reduktion der Quecksilbereinträge

und die aktuell in der Beratung befindliche

  • Plastik-Konvention

sind in dieses neue Weltchemikalienabkommen einzubeziehen. Die wissenschaftliche Basis für eine solches Abkommen sollte ein Weltchemikalienrat (analog zum Weltklimarat IPCC) entwickeln. Über ein solches Science Policy Panel für ein internationales Chemikalien- und Abfallmanagement wird gerade auf Basis der Beschlüsse der Umweltversammlung der Vereinten Nationen UNEA 5.2 verhandelt. Es ist wichtig, dass diese wissenschaftliche Plattform unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Interessen ist. Ihre Aufgabe besteht darin, das Bewusstsein zu fördern, dass die Chemikalienverschmutzung die dritte große Weltkrise neben Klimawandel und Biodiversitätsverlust ist, und Wege aus dieser Krise aufzuzeigen.

Wir benötigen mehr Verbindlichkeit, als sie im bisherigen SAICM-Prozess bestanden hat. Die Beschlüsse der Weltchemikalienkonferenz in Bonn sollten deshalb den Weg zu einem verbindlichen Abkommen ebnen und nicht mehr nur bei einem Austauschforum verharren, das an die Regierungen und die Industrie nützliche Appelle richtet.

Der Autor

Der Chemiker Prof. Dr. Markus Große Ophoff lehrt an der Hochschule Osnabrück. Er ist Sprecher des Arbeitskreises Umweltchemikalien/Toxikologie im Wissenschaftlichen Beirat des BUND.

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