Wird das Waldüberwachungsgesetz gekippt?

Kurz vor dem Internationalen Tag des Waldes kochten im EU-Parlament die Debatten um die Regeln für die Überwachung der Waldgesundheit (Forest Monitoring Law – FML) hoch. Konservative und rechtsextreme Abgeordnete würden diese gern gänzlich abschaffen, andere zumindest verändern. Umweltschutzorganisationen warnen vor der Abschwächung der Vorschriften in Zeiten häufiger Dürren, Waldbränden, Schädlingsbefall und Klimawandel.
In der gemeinsamen Ausschusssitzung des Umwelt- und des Landwirtschaftsausschusses am 20. März über den Verordnungsvorschlag über einen Monitoringrahmen für widerstandsfähige europäische Wälder zeigten sich große Unterschiede. Während Europäische Volkspartei (EVP), die Patrioten für Europa (PfE) und die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) den Rechtsakt zu unterschiedlichen Graden bis gänzlich ablehnten und auf Bürokratieaufwand und nationale Zuständigkeiten verwiesen, gab es Kritik an der Art des Monitorings (Renew) sowie grundsätzliche Unterstützung, aber auch Änderungsvorschläge von Grünen und Linken.
Aus dem ursprünglich als Waldschutzgesetz angekündigten Rechtsakt machte die EU-Kommission in ihrem Verordnungsvorschlag vom November 2023 (EU-News 22.11.2023) ein Überwachungsgesetz – ein Baustein der EU-Waldstrategie 2030. Doch selbst für diesen Vorschlag gibt es inzwischen 1.300 eingereichte Änderungsanträge, die die Berichterstatter im Parlament unter einen Hut bringen müssen.
Nach Angaben des Umweltinformationsdienstes ENDS Europe wollen die Schattenberichterstatter*innen die Verhandlungen fortsetzen, um eine gemeinsame und sichere Informationsquelle zu Daten über den Wald zu schaffen. Die Abstimmung über den Bericht soll voraussichtlich im Juni stattfinden.
Angesichts der Tatsache, dass sich vielerorts in Europa (auch in Deutschland) die Wälder von Kohlenstoffsenken in Kohlenstoffproduzenten wandeln, forderte BirdLife Europa die EU auf, das EU-weite Ziel von 310 Mio. Tonnen CO₂-Reduktion im Landsektor bis 2030 mit spezifischen Zielen für jedes EU-Land nicht aus den Augen zu verlieren. Riccardo Gambini, politischer Referent für Wälder und Bioenergie bei BirdLife, betont die Dringlichkeit der Situation: „Unsere Wälder sollten unser größter Verteidigung gegen die Klimakrise sein, aber im Moment holzen wir sie schneller ab, als sie sich erholen können. Der Zusammenbruch der Kohlenstoffsenken in Europa ist kein Zufall. Er ist das Ergebnis einer kurzsichtigen Politik und nicht nachhaltiger Bewirtschaftung. Wir müssen das Ruder herumreißen, und zwar schnell. Das bedeutet, dass wir die Wälder wiederherstellen, den Raubbau stoppen und sicherstellen müssen, dass die Politik Natur und Klima und nicht nur den Profit in den Vordergrund zu stellen. Das kommende Wald Monitoring-Gesetz ist ein entscheidender Schritt. Ohne fliegen wir im Blindflug.“
„Scharfe Kehrtwende“ schwächt wichtige Waldinformationen in Zeiten des Klimawandels und Artensterbens
Schon der EU-Kommissionsvorschlag war Umweltverbänden zu schwach gewesen, sie beklagten die Freiwilligkeit von Maßnahmen und die fehlende Rolle von Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Harsche Kritik am Berichtsentwurf des EU-Parlaments hatte Anfang März die Waldschutzorganisation FERN geäußert: Statt mehr Transparenz und mehr Präzision sei der ohnehin schon wenig ehrgeizige Vorschlag nun noch einmal verwässert worden. Obwohl Wälder fast 40 Prozent der Fläche in der EU bedeckten, gebe es bisher keine leicht zugänglichen Echtzeit-Informationen. Stattdessen gebe es nur alle fünf Jahre Bewertungen über den „beunruhigenden Zustand unserer Wälder“, wenn es zum Handeln schon zu spät sei, kritisierte FERN.
Um letztlich auch die Risiken der Forstwirtschaft zu mindern, brauche es vergleichbare Daten, forderte FERN. Kahlschläge, Klimaauswirkungen oder andere Arten der Waldschädigung müssten möglichst präzise ermittelt werden. Der Berichtsentwurf des Europäischen Parlaments zum Waldmonitoring-Gesetz habe jedoch „eine scharfe Kehrtwende vollzogen und sich von wichtigen Fortschritten bei der Waldinformation abgewendet“.
Neben der fehlenden Verpflichtung zum Datenaustausch sei die Verwässerung der Anforderungen an die Erdbeobachtung (Anhang I des ursprünglichen Vorschlags) besonders besorgniserregend. Durch die Streichung vieler Indikatoren, die eine jährliche oder häufigere Berichterstattung über wichtige Waldmerkmale ermöglichen würden, wie zum Beispiel die Dichte der Baumbedeckung oder die Entlaubung (Verlust von Blättern/Nadeln, was zur Beurteilung der Baumsterblichkeit beiträgt), schwäche der Entwurf die Fähigkeit, Waldveränderungen zeitnah zu überwachen. Dieser Schritt und die geänderten Begrifflichkeiten zur Standorterfassung (statt „geografisch eindeutig“ nun der ungenauere Bezug auf „georeferenziert“) gefährde die Wirksamkeit des vorgeschlagenen Gesetzes. Es müsse eine Kombination aus Satellitendaten und Überprüfungen vor Ort geben – die nationalen Waldinventare seien meist veraltet.
Nicht zuletzt seien mehrere Schlüsselindikatoren entweder gestrichen oder so verändert worden, dass sie weniger effektiv sind. So wird beispielsweise die Lage von Primär- und Altwäldern sowie von Schutzgebieten als Fläche dargestellt (Beispiel: 624.500 ha Altwälder in Finnland) und nicht mehr genau auf einer Karte verortet. Diese Änderung erschwerten die Ermittlung illegaler Aktivitäten und den Schutz der wenigen verbliebenen Urwälder und Primärwälder.
FERN mahnt: „Nur mit robusten und verwertbaren Daten kann die EU Informationen in Wissen darüber umwandeln, wie wir unsere Wälder am besten für künftige Generationen ausstatten können.“
Unterstützung für ein strikteres Gesetz kommt aus der Wissenschaft
Ähnlich argumentiert der Waldexperte Sten B. Nilsson in seinem Kommentar für die unabhängige Medienorganisation Mongabay: „Wir können nicht managen, was wir nicht messen können.“ Durch die Sicherstellung von Kosteneffizienz, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, die Umstellung auf eine echte Bioökonomie und die Reaktion auf die wachsende Nachfrage nach forstwirtschaftlichen Informationen würde das Gesetz Europa in eine Führungsrolle bei forstwirtschaftlichen Daten und Management bringen. „Lassen Sie uns diese Chance ergreifen“, heißt es in dem Meinungsbeitrag von Nilsson, der unter anderem für den UN-Klimarat IPCC arbeitet. [jg]
ENDS: Co-rapporteurs committed to finding compromise on Forest Monitoring Law
Mongabay: With Europe’s forests, we can’t manage what we can’t measure (commentary)
Briefing: Wälder als Senke für oder als Quelle von CO₂-Emissionen?!
Die borealen und gemäßigten Wälder der Industrieländer der nördlichen Hemisphäre erleiden schon seit Jahrzehnten massive Verluste an Ökosystemintegrität, biologischer Vielfalt und Kohlenstoffspeicherkapazität. Zunehmende Rohstoffbegehrlichkeiten, Kahlschläge, der Klimawandel, der Artenverlust... führen zu einer Abwärtsspirale. Warum ökosystemare Waldbewirtschaftung die vielversprechendste Lösung für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung ist, klärt ein Briefing von AirClim.