Raketenstart in nachhaltige Zukunft oder bleibt die EU hinterm Mond?
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr Vize Frans Timmermans haben am Mittwoch den mit Spannung erwarteten Europäischen Grünen Deal vorgestellt. Von der Leyen sprach davon, dass der Deal mit der Vision der Mondlandung in den 1960er-Jahren vergleichbar sei: Das könnte Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment werden.
Was steckt drin im Deal?
Klimaschutz und Energiewende: Die EU-Kommission will ein Klimaschutzgesetz bis März 2020 vorschlagen. Ein neuer Plan für ambitioniertere Klimaziele 2030 soll im Sommer 2020 folgen. Es sollen alle bestehenden Rechtsvorschriften überprüft werden: das Emissionshandelssystem (ETS), die Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die Energieeffizienz-Richtlinie, die Verordnung zur Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) sowie die Klimaschutzverordnung (ehemals Lastenteilungsverordnung, Effort Sharing Regulation). Die EU soll das Ziel eines treibhausgasneutralen Europas 2050 verfolgen. Auch ist eine grenzüberschreitende CO2-Steuer angedacht.
Im Verkehrsbereich will die Kommission automatisierte, vernetzte multimodale Mobilität fördern und den Ausbau von Ladestationen und Tankstellen für alternative Kraftstoffe in den EU-Ländern unterstützen. Die Kommission will zudem vorschlagen, „bis Juni 2021 die Rechtsvorschriften über CO2-Emissionsnormen für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge zu überarbeiten, um ab 2025 den Weg hin zu emissionsfreier Mobilität zu ebnen.“
Biodiversität: Die Kommission will bis März 2020 eine Biodiversitätsstrategie vorlegen‚ auf welche 2021 spezifische Maßnahmen folgen sollen. Alle politischen Maßnahmen der EU sollten zur Erhaltung und Wiederherstellung des europäischen Naturkapitals beitragen.
Hauptziele einer neuen EU-Forststrategie werden die wirksame Aufforstung sowie die Erhaltung und Wiederherstellung der Wälder in Europa sein‚ um die Absorption von CO2 zu erhöhen, das Auftreten und das Ausmaß von Waldbränden einzudämmen und die Bioökonomie unter uneingeschränkter Achtung der ökologischen Grundsätze für die Förderung von Biodiversität voranzubringen.
Landwirtschaft: Im Frühjahr 2020 plant die Kommission, eine „farm-to-fork-Strategie“ für ein „faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem“ vorzulegen. Die Vorschläge der Kommission für die Gemeinsame Agrarpolitik für den Zeitraum 2021–2027 sehen vor, dass mindestens 40 Prozent der Gesamtmittel für die Gemeinsame Agrarpolitik und mindestens 30 Prozent der Mittel des Meeres-und Fischereifonds zur Klimapolitik beitragen sollen.
Kreislaufwirtschaft: Im Zuge einer neuen Industriestrategie, die im März 2020 vorliegen soll, ist ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft vorgesehen. „Ein zentrales Ziel des neuen politischen Rahmens wird darin bestehen, die Entwicklung von Leitmärkten für klimaneutrale und kreislauforientierte Produkte in und außerhalb der EU voranzutreiben.“, heißt es in der Mitteilung. Dies soll unter anderem durch Abfallreduktions- und Wiederverwendungsquoten sowie Produktstandards geschehen. Der Schwerpunkt der Maßnahmen soll vor allem auf ressourcenintensiven Sektoren wie dem Textil-, Bau-, Elektronik-und Kunststoffsektor liegen.
Schadstoffe: Bis Juni 2020 will die EU-Exekutive eine europäische „Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit“ erarbeiten, die unter anderem auch Maßnahmen für den Umgang mit endokrinen Disruptoren, Cocktaileffekten von Chemikalien und persistenten Schadstoffen beinhaltet. Zudem setzt die EU-Kommission sich ein „Null-Schadstoff-Ziel für eine schadstofffreie Umwelt“ und kündigt an, 2021 einen Null-Schadstoff-Aktionsplan für Luft, Wasser und Boden zu verabschieden.
Reaktionen aus den Umweltverbänden
Der Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring Kai Niebert mahnte: „Die EU-Kommission muss sicherstellen, dass der Deal zukunftssicher ist und ein Europa schafft, das die planetaren Belastungsgrenzen einhält. Dafür braucht es klare Ziele und vor allem Maßnahmen, um bis 2030 die CO2-Emissionen Europas um 65 Prozent zu senken. Nur wenn die Weichen heute richtig gestellt werden, können die Klimakrise und Strukturbrüche verhindert werden.“
Für das Europäische Umweltbüro (EEB) ist die Enthüllung des Europäischen Grünen Deals ein „bedeutender Moment für die Umwelt und die EU“. Zwar bleibt der Deal hinter den Anforderungen zurück, die nötig wären, um die Klimakrise, das Artensterben und die Verschmutzung zu bekämpfen. Aber das Versprechen, einen tiefgreifenden transformativen Politikkurs zu verfolgen, sei ein erster wichtiger Schritt.
Auch der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt kritisierte, dass viele Vorschläge zu schwach seien – etwa mit Blick auf den Artenschutz: „Anstelle eines klaren Statements für ein ambitioniertes weltweites Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt, das auf den bisherigen Zielen aufbaut, bleibt die EU-Kommission vage. Gleiches gilt für die angekündigte EU-Biodiversitätsstrategie. Hier muss dringend nachgebessert werden.“
Das europäische Büro des WWF bleibt in seiner Beurteilung des Deals zurückhaltend. Einerseits erkennt die Kommission die Vielzahl der ökologischen Herausforderungen an. Andererseits seien die konkreten politischen Maßnahmen zu vage und zögerlich.
Die europäischen Staats- und Regierungschef*innen kommen heute und morgen zu ihrem Gipfeltreffen zusammen. Ein leiser Anflug von Hoffnung besteht, dass sie sich in den Verhandlungen um den mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 und um die langfristige Klimaschutzstrategie von den Inhalten des Europäischen Grünen Deals beeinflussen lassen. [aw]
EU-Kommission: Kommission von der Leyen bringt europäischen Grünen Deal auf den Weg
Mitteilung der EU-Kommission zum europäischen Grünen Deal
DNR: Europäischer Green Deal: Nachhaltig oder nur hübsch verpackt?
BUND: Kommentar: Mondlandung ohne Bodenhaftung
EEB: Next 12 months crucial as Green Deal commits EU to “deeply transformative policies”
WWF EU: European Green Deal: A turning point for nature & climate?