Von der Leyen beschwört Aufbruchstimmung
In ihrer ersten Rede zur Lage der EU (#SOTEU) legte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Arbeitsschwerpunkte dar und verkündete ein höheres EU-Klimaziel von 55 Prozent bis 2030. Der Green Deal solle das zentrale Konzept für den „grünen“ Umbau bleiben.
„Die Welt von morgen schaffen: Eine vitale Union in einer fragilen Welt“
Von der Leyen (VDL) ging in ihrer Rede auf dutzende Themen und teilweise überraschend deutlich ein: von der Bewältigung der Coronakrise über die Arbeits- und Binnenmarktpolitik, Digitalisierung, Rechtsstaatlichkeit, Handelspolitik, Migrationspolitik, Hassverbrechen, LGBTQI-freie Zonen, die Rolle der EU in der Welt bis zum europäischen Green Deal und der neuen Zielmarke von 55 Prozent CO2-Verringerung bis 2030 (siehe EU-News vom 17.09.2020 zur Folgenabschätzung).
Erneut bekräftigte sie, dass die Kommission ein CO2-Grenzausgleichssystem schaffen werde. Bis zum Sommer 2021 sollen zudem sämtliche EU-Klima- und Energievorschriften mit Blick auf das neue 2030-Klimaziel überarbeitet werden. VDL versprach überdies, dass 30 Prozent des 750 Milliarden Euro schweren Aufbauprogramms „Next Generation EU“ durch grüne Anleihen aufgebracht werden sollen. 37 Prozent der Ausgaben sollen in Projekte des europäischen Grünen Deals fließen, etwa in „grüne“ Wasserstofftechnologien, energieeffiziente Gebäude und in die Elektromobilität.
VDL erkannte: „Unser aktueller Verbrauch an Rohstoffen, Energie, Wasser und Lebensmitteln und unsere gegenwärtige Landnutzung sind nicht nachhaltig. Wir müssen sorgsamer mit der Natur umgehen, wir müssen die Art und Weise ändern, in der wir produzieren und konsumieren, leben und arbeiten, essen und heizen, reisen und Güter transportieren.“
Passend zur Frage der Finanzierung verabschiedete das EU-Parlament am gleichen Tag eine Stellungnahme, mit der das Parlament unterstreicht, dass neue Einnahmequellen für den EU-Haushalt nötig seien, um die Kosten des Aufbauplans zu decken.
Auch fordern die EU-Abgeordneten einen rechtsverbindlichen Zeitplan für die Einführung dieser neuen Eigenmittel. Der Aufbauplan müsse nachhaltig finanziert werden und dürfe nicht zulasten künftiger Generationen gehen. Deswegen sollten zum Beispiel Steuern für länderübergreifende Umweltverschmutzer und multinationale Konzerne eingeführt werden.
Bei Umweltverbänden sorgt das 55-Prozent-Klimaziel für Furore
Für Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), sei der Vorschlag ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Klimaschutz. Aber: 55 Prozent Einsparungen müssten auch echte 55 Prozent sein – hier sei die Kommissionspräsidentin leider noch vage geblieben, „und wir werden erst morgen Klarheit darüber haben, ob hier Taschenspielertricks im Spiel sind“.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisierte das neue CO2-Reduktionsziel von 55 Prozent als Mogelpackung. Denn erstmals würden auch Aufforstungs- und Landnutzungsmaßnahmen mit einfließen, sogenannte natürliche CO2-Senken. Nach ersten Berechnungen würden diese das Klimaziel um 2,5 Prozent verringern.
Positiver fasst die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch die VDL-Rede auf: das neue 55-Prozent-Klimaziel diene als Startpunkt für eine Aufholjagd, um die in Paris versprochenen Klimaziele noch zu erreichen.
Nach Ansicht von Christoph Heinrich (WWF Deutschland) kommt es nun vor allem auf die Ausgestaltung an. Das Ziel von mindestens 55 Prozent müsse als festes Minderungsziel definiert werden. Und schärfere EU-Instrumente seien vonnöten: etwa strengere CO2-Grenzwerte für Pkws, ein EU-Emissionshandel mit höherer Bepreisung und eine Anpassung der Effizienz- und Erneuerbaren-Ziele.
EU-China-Gipfel: Biodiversitäts- und Klimakrise in aller Munde
Bereits am Montag fand ein virtueller EU-China-Gipfel zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel, Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping statt. Neben Menschenrechten, Minderheitenschutz, der COVID-19-Pandemie und dem seit 2013 verhandelten Investitionsabkommen standen Klimaschutz und Biodiversität auf der Agenda. In einer gemeinsamen Presseerklärung der EU-Spitzen hieß es, man wolle China „ermutigen“, seine CO2-Einsparziele zu erhöhen und das Ziel der Treibhausgasneutralität zu setzen. Auch sprachen sich die EU-Vertreter*innen für ein Moratorium zum Bau und zur Finanzierung neuer Kohlekraftwerke im In- und Ausland aus. Mit Blick auf die Biodiversitätskrise sprach die EU China als Gastland der auf 2021 verschobenen Biodiversitätskonferenz (CBD COP15) eine gewichtige Rolle zu – „ein ehrgeiziges globales Abkommen würde eine große Errungenschaft“ bedeuten. [aw]
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