Schadstoffe: EuGH verurteilt EU-Kommission wegen lascher Zulassungspraxis
Die von der EU-Kommission für eine kanadische Firma erteilte Erlaubnis, Bleichromate in Farben zu verwenden, war rechtswidrig, bestätigte der Europäische Gerichtshof (EuGH) vergangene Woche. Auch in weiteren Rechtsfällen muss die EU-Kommission mit Niederlagen rechnen.
Bleichromate: EU-Kommission verliert auch Berufung gegen Schweden
Die EU-Kommission hatte die Verwendung von roten und gelben Bleichromaten in Farbmitteln erlaubt, obwohl sichere Alternativen für die Schadstoffe existieren. Damit hat sie gegen EU-Recht verstoßen, erklärte der Gerichtshof vergangene Woche und gab damit der schwedischen Regierung Recht. Diese hatte geklagt, weil die gesundheits- und umweltgefährdenden Stoffe bereits seit 30 Jahren nicht mehr in Schweden verwendet werden und durch sichere Substanzen ausgetauscht wurden - entsprechend seien also Alternativen vorhanden. Mit ihrem Urteil bekräftigten die Richter*innen des EuGH ein Urteil von 2019, gegen das die EU-Kommission Berufung eingelegt hatte (siehe EU-News vom 12.03.2019).
Molybdatrot und Bleisulfochromatgelb dürfen unter der EU-Chemikalienverordnung REACH nicht verwendet werden – es sei denn, die EU-Kommission erteilt eine Ausnahmegenehmigung, die darauf basiert, dass keine sicheren Alternativen zur Verfügung stehen und die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteile größer sind als das von der Substanz ausgehende Risiko. Die Beichromate werden noch in Straßenmarkierungen und zum Anstreichen von Brücken oder anderen Stahlkonstruktionen verwendet. In einigen Ländern ist ihr Einsatz verboten. Sie sind als krebserregend und fortpflanzungsschädigend eingestuft.
In der Praxis genehmige die EU-Kommission beinahe jeden Zulassungsantrag, erklärte die Umweltrechtsorganisation Client Earth. Das Urteil müsse die Art und Weise, wie Genehmigungen für die Verwendung gefährlicher Stoffe in der EU erteilt werden, grundlegend ändern. „Wenn Unternehmen behaupten, dass es keine geeigneten Alternativen gibt, können die EU-Gremien sie nicht automatisch beim Wort nehmen“, erklärte Client Earth-Anwältin Alice Bernard. Das International Pollutants Elimination Network (IPEN, Internationales Netzwerk zur Beseitigung von Schadstoffen) erhofft sich von dem Urteil „ein starkes Signal“ für ein weltweites Verbot von Bleipigmenten in Farben. Das Urteil bedeute auch, dass die EU nicht länger eine Quelle von Bleifarben für andere Länder sei, so Sara Brosché von IPEN.
Die EU-Kommission muss nun erneut über die Zulassung der Substanzen entscheiden.
Weichmacher DEHP in recycletem Plastik: Schlussantrag veröffentlicht
In einem weiteren Fall einer umstrittenen Zulassung veröffentlichte die zuständige EuGH-Generalanwältin letzte Woche ihren Schlussantrag: Darin kommt sie zu dem Schluss, dass die EU-Kommission bei der Bewertung des Weichmachers Diethylhexylphthalat (DEHP) seine vollständigen gesundheitlichen Auswirkungen und damit auch seine hormonell wirksamen Eigenschaften berücksichtigen hätte müssen. Die Erlaubnis, den Stoff in recyceltem Plastik zu verwenden, welche drei Unternehmen 2016 erhalten hatten, müsse demnach noch einmal überprüft und die Risiken besser gegen den sozioökonomischen Nutzen abgewogen werden. Der Schlussantrag bereitet das Urteil in einem Fall von Client Earth gegen die EU-Kommission vor, ist aber nicht bindend. Das Urteil wird im Laufe des Jahres erwartet. Client Earth hatte die EU-Kommission 2016 aufgefordert, die Zulassung von DEHP auch im Hinblick auf seine hormonell wirksamen Eigenschaften zu bewerten. Da dies nicht geschah, wendete die Organisation sich an die Justiz (siehe EU-News vom 17.08.2016). Das Gericht der EU (EuG) wies die Klage in erster Instanz ab, woraufhin Client Earth in Berufung ging.
DEHP war 2011 aufgrund seiner negativen Auswirkungen auf das Reproduktionssystem als besonders besorgniserregender Stoff eingestuft worden, anschließend wurde er auch als Hormongift (endokriner Disruptor, EDC) klassifiziert. Die Zulassungspflicht beruht bislang jedoch nur auf den reproduktionstoxischen Eigenschaften. Apolline Rogers, Anwältin für Client Earth, begrüßte, dass „die Generalanwältin sich für eine Auslegung der REACH-Verordnung entschieden hat, die die tatsächlichen Auswirkungen dieser schädlichen Chemikalie berücksichtigt“ und fügte hinzu: „Nachsicht bei der Zulassung von Chemikalien in der Vergangenheit hat uns die vergifteten Produkte beschert, mit denen wir es heute zu tun haben - wie etwa das hochgefährliche DEHP in recyceltem PVC.“
Die Anwält*innen von Client Earth hoffen, dass die Richter*innen dem Standpunkt der Generalanwältin folgen, wiesen aber auch darauf hin, dass ihre Kritik an der Unzulänglichkeit der REACH-Verordnung, das Vorkommen von Schadstoffen in recyceltem Material zu regeln, nicht von der Generalanwältin aufgenommen wurde. So fehlten im Rahmen der Verordnung passende Instrumente, die eine vollständige Lebenszyklusbewertung, einen Vergleich von Lösungen am Ende des Lebenszyklus und Rückverfolgbarkeit von recyceltem Material ermöglichten. „Das Missverhältnis zwischen den Werkzeugen und der zu leistenden Arbeit führt automatisch zu schlechten Entscheidungen“, so Anwältin Apolline Roger.
Chromiumtrioxid : EP-Abgeordnete planen Klage gegen EU-Kommission
Auch die Abgeordneten des Rechtsausschusses (JURI) des EU-Parlaments sind verärgert über die Genehmigungspolitik der EU-Kommission und die fehlende Berücksichtigung von Stellungnahmen aus dem Parlament. Nach Angaben der News-Plattform Politico einigten sie sich vergangene Woche mit knapper Mehrheit darauf, rechtlich gegen die von der EU-Exekutive erteilte Zulassungsverlängerung von Chromtrioxid vorzugehen. Der juristische Dienst des Parlaments sei zu dem Schluss gekommen, dass die Erteilung der Zulassung aufgrund mangelnder Informationen und der Verfügbarkeit sicherer Alternativen gegen die REACH-Verordnung verstoße.
Das Parlament hatte die EU-Kommission bereits mehrfach in nicht-bindenden Resolutionen aufgefordert, die Verwendung des krebserregenden Stoffes nicht zu erlauben (siehe EU-News vom 11.06.2020). Abgeordneter Martín Hojsík (Renew, Slowakei) bedauere den Gang vor Gericht, der jedoch alternativlos sei: „Es ist unser letzter Ausweg nach mehreren Einwänden des Europäischen Parlaments gegen [das] systematische Versagen der Kommissionsdienststellen bei der Erfüllung ihrer Pflichten unter REACH“, erklärte er gegenüber Politico. [km]
EuGH-Urteil zu Bleisulfochromatgelb und Bleichromatmolybdatsulfatrot
Reaktion von Clientearth zum Urteil zu Bleichromaten
Schlussantrag der EuGH-Generalanwältin zu DEHP (Kurzfassung)
Bis 12. April: Konsultation zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden
Die EU-Vorschriften über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden zielen darauf ab, die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor den möglichen Risiken und Auswirkungen von Pestiziden zu schützen. Im Rahmen der Konsultation bittet die EU-Kommission um Feedback dazu, inwieweit diese Ziele erreicht wurden und wie der Pestizideinsatz weiter reduziert werden kann, um die Ziele der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ und des europäischen Grünen Deals zu erreichen.