Agrarpolitik: Welche Strategie sichert Ernährung und Umwelt?
Offener Brief an die EU-Kommission: Farm-to-Fork und Ökologisierung der Landwirtschaft sichern! Bündnisbrief vor G7-Agrarministertreffen. Ukrainekrieg erschüttert auch Getreideversorgung. Analyse der nationalen GAP-Strategiepläne fällt mau aus. Protest gegen fehlende Kontrollen bei Gentech-Eiern.
Debatten um Gemeinsame Agrarpolitik, Ökolandbau und Ernährungssicherheit
Die EU muss an der Farm-to-Fork-Strategie und der damit verbundenen schrittweisen Ökologisierung der europäischen Landwirtschaft festhalten. Das forderte am Donnerstag ein breites Bündnis europäischer Nichtregierungs- und nationaler Organisationen in einem gemeinsamen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, den Vize-Präsident für den europäischen Green Deal Frans Timmermans, die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, den Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowsk und den Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius.
Eine Verwässerung der Strategie „Vom Hof zum Tisch” (Farm-to-Fork) und ihrer Maßnahmen werde die Abhängigkeit Europas von nicht erneuerbaren Energiequellen wie fossilen Brennstoffen aufrechterhalten und stehe im Widerspruch zu dem, was gerade jetzt notwendig ist, um die Ernährung für alle zu sichern. Europa müsse die Landwirtschaftsbetriebe bei der agrarökologischen Umstellung unterstützen, indem es vor allem sicherstellt, dass sie und ihre Beschäftigen ein faires Einkommen haben. Umweltfreundliche Praktiken wie ökologischer Landbau vor allem von kleinbäuerlichen Familienbetrieben in Europa sollten wirksam unterstützt werden, da sie sie der Schlüssel zu Ernährungssouveränität, biologischer Vielfalt, natürlicher Schädlingsbekämpfung und Bestäubung seien, heißt es in dem Schreiben.
Der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt, der den Brief unterstützt, kommentierte: „Der Ausbau einer ökologischeren Land- und Ernährungswirtschaft ist ein dringend notwendiger Prozess, um krisenresistent zu werden. Das gilt auch und insbesondere mit Blick auf die beiden anderen großen Krisen unserer Zeit: die Klima- und die Biodiversitätskrise." Es sei „fahrlässig“, den Schutz des Klimas, der Umwelt und der biologischen Vielfalt nun wieder „als Luxus-Projekte in Frage zu stellen“, die die EU sich angeblich nur in Friedenszeiten leisten könne. Die begonnene Neuausrichtung der Agrar- und Ernährungspolitik auf Klima-, Umwelt- und Naturschutz müsse konsequent weiterentwickelt werden.
Ein breites Bündnis deutscher Umweltverbände - darunter der DNR - hat in einem offenen Brief am heutigen Donnerstag den Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir aufgefordert, an den grundsätzlichen Zielen der Farm-to-Fork-Strategie festzuhalten. Ökologisch wertvolle Flächenanteile müssten weiter geschützt, die Ziele des Europäischen Green Deal bis 2030 umgesetzt werden. Özdemir soll sich beim anstehenden G7-Agrarministertreffen auch dafür einsetzen, dass bei der Bewältigung der negativen Folgen der Ukraine-Krise für die globale Ernährungssicherung und Landwirtschaft die Biodiversitäts- und Klimakrisen nicht verschärft werden.
Laut Medienberichten (dpa-Europaticker) hatte Frans Timmermans am Montag bei einer öffentlichen Anhörung vor dem Umweltausschuss im EU-Parlament (ENVI) davor gewarnt, angesichts des Krieges in der Ukraine auf klimafreundliche Anbauweisen zu verzichten. Man müsse die Abhängigkeit von Pestiziden und Düngemitteln genauso reduzieren wie die von Energielieferungen, so Timmermans.
Agrarverbände hatten vor einer Verknappung von Weizen und Mais sowie explodierenden Preisen auf den Weltmärkten gewarnt (top agrar 04.03.2022). Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament Martin Häusling bestätigte, dass der Ukraine-Krieg zu einer sich weltweit verknappenden Getreideversorgung führen könnte, da Russland und die Ukraine zusammen einen Anteil von ungefähr 30 Prozent an den weltweiten Exporten von Weizen hätten. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO könnten in Ländern, die von diesen Lieferungen abhängig sind, vor allem im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika, deshalb Hungernöte drohen, warnte Häusling. Hinzu kämen erhebliche Preissteigerungen. Häusling: „Damit stellt sich die Frage welche Verantwortung Europa hat, um diese Versorgungslücken zu schließen und was machen wir hier in Europa mit unserem Getreide. Ein Blick auf die Statistiken zeigt, dass Europa tatsächlich zwei Drittel seines Getreides in den Futtertrog wirft und nur ein kleinerer Teil davon der menschlichen Ernährung dient. Hinzu kommt, dass wir vor allem in Deutschland eine erhebliche Fläche für die Produktion von Agrotreibstoff verwenden. Auch müssen wir uns klar machen, dass 30 % der Nahrungsmittel gar nicht erst den Weg auf unsere Teller finden und als Food-Waste verschwendet werden.“
Eine am Montag veröffentlichte neue Studie im Auftrag vom WWF zeigt, dass alle EU-Bürgerinnen und in Großbritannien im letzten Jahr im Durchschnitt große Mengen „versteckten Sojas“ verzehrt hätten, nämlich 61 Kilogramm, wobei diese fast gänzlich (55 kg) in tierischen Produkten enthalten waren. Nur 3 Kilogramm der Eiweißpflanze würden direkt verzehrt, der Rest (2,3 kg) sei zur Herstellung von Industrieprodukten wie Biokraftstoff verwendet worden.
Nationale GAP-Pläne zu schwach?
Der europäischer Ökolandbauverband IFOAM hat die nationalen Entwürfe der GAP-Strategiepläne 2023-2027 im Hinblick auf ihre Unterstützung für den ökologischen Landbau im analysiert. In dem Report vom letzten Donnerstag sind bis auf zwei fehlende Pläne aus Belgien alle Strategiepläne der EU-Mitgliedstaaten unter die Lupe genommen worden. Das Fazit von IFOAM Organics Europe: Die Organisation ist „insgesamt sehr besorgt über den unzureichenden Ehrgeiz und die unzureichenden Budgets, um mehr Landwirte zur Umstellung auf den ökologischen Landbau zu bewegen“. Insbesondere im Vergleich zum aktuellen GAP-Zeitraum (2014-2022) sei die Umstellung konventioneller Betriebe auf ökologischen Landbau weniger attraktiv als die Anreize für die Einführung anderer landwirtschaftlicher Praktiken, die weniger umgestaltend seien und viel weniger Umweltvorteile böten. Die liege hauptsächlich an den fehlenden ökologischen Kriterien der Öko-Regelungen sowie auf die Probleme der Öko-Landwirte bei der Kombination von Öko-Regelungen und Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AECMs). Die EU-Kommission solle zumindest sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten das kontinuierliche Wachstum der ökologischen Erzeugung während des nächsten GAP-Zeitraums gewährleisten. Zudem müssten die Strategiepläne auch erläutern, inwieweit die Mitgliedstaaten dazu beitragen werden, die Ziele der neuen GAP sowie die Ziele der Farm to Fork und der EU-Biodiversitätsstrategie zu erreichen, forderte IFOAM.
AbL: „Deregulierung der Neuen Gentechnik durch die Hintertür“
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hat letzte Woche Freitag gemeinsam mit dem Forschungsinstitut Testbiotech protestiert, dass die EU-Kommission die Eier von CRISPR/Cas-Gentechnik-Hühnern scheinbar weder auf Risiken prüfen noch gekennzeichnen will. Dies sei einem auf Anfrage der AbL veröffentlichten Schreiben der EU-Kommission an das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vom Juli 2021 zu entnehmen. Die Organisationen wiesen in einem Brief an die EU-Kommission daraufhin, dass eine Vermarktung der Eier ohne Risikoprüfung und Kennzeichnung gegen EU-Recht verstoßen würde. Sie warnten „vor einer ‚kalten‘ Deregulierung der umstrittenen CRISPR/Cas-Gentechnik durch die Hintertür mit weitreichenden Folgen für Verbraucher:innen, Lebensmittelerzeuger:innen und den Lebensmittelhandel“.
Gentechnik in Kürze: Das EU-Parlament hat am Mittwoch in zwei Fällen vom ENVI vorgebrachte Einwände gegen die Marktzulassungen der Kommission für GVO-Produkte bestätigt [Tweet]. Es handelt sich um gentechnisch veränderte Baumwolle und um Raps. [jg]
Bündnisbrief: Joint-open-letter-EU-food-supply-and-solidarity-response-to-the-war-in-Ukraine.-March-2022.pdf (foodpolicycoalition.eu)
Bündnisbrief/G7/DNR: DNR-Statement zum bevorstehenden G7-Sondergipfel der Agrarminister:innen und Offener Brief
dpa-Europaticker: Timmermans: Klimapolitik zurückstellen wäre historischer Fehler - EU-Info.de
Pressemitteilungen Martin Häusling vom 07.03.2022 und 09.03.2022
IFOAM: Evaluation of support for organic farming in draft CAP Strategic Plans (2023-2027)