EU-politischer Umweltimpuls: Herausforderungen im Fokus

Am 6. März brachte der EU-politische Umweltimpuls virtuell Vertreter*innen aus Politik und Zivilgesellschaft zusammen, um die aktuellen Herausforderungen und Schwerpunkte der europäischen Umweltpolitik zu diskutieren. Die gemeinsame Veranstaltung des Deutschen Naturschutzrings (DNR), des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) sowie des Umweltbundesamtes (UBA) analysierte inhaltliche Schwerpunktverschiebungen im Jahr 2025, Desinformation und Deregulierung.
Veranstaltungsbericht von Katharina Schuster, DNR
Welche umweltpolitischen Schwerpunkte und Herausforderungen stehen 2025 auf EU-Ebene im Fokus? Darüber diskutierten Vertreter*innen aus Politik und Zivilgesellschaft am 6. März. Die Umsetzung und Weiterentwicklung des Green Deals, geopolitische Herausforderungen und die Verschiebung politischer Prioritäten – insbesondere zwischen Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz – standen im Mittelpunkt der virtuellen Veranstaltung. Es wurde auch intensiv über die gesellschaftliche Akzeptanz von Umweltpolitik diskutiert sowie über den wachsenden Einfluss von Desinformation und wissenschaftsfernen Narrativen auf politische Entscheidungsprozesse.
„Langverhandelte Gesetze werden innerhalb weniger Wochen abgeschwächt“
DNR-Geschäftsführer Florian Schöne eröffnete die Veranstaltung mit einer Einschätzung zur Zukunft des Green Deals. Er warnte vor autokratischen und fossilen Tendenzen, die eine ernsthafte Gefahr für die Fortschritte der letzten Jahre darstellen. Dabei hob er die zunehmende Gefahr der Rückabwicklung bestehender Umweltgesetze hervor, darunter die GLÖZ-Vorgaben und die CO₂-Flottengrenzwerte. Innerhalb weniger Wochen würden Regelungen aufgeweicht oder zurückgenommen, die zuvor über Jahre hinweg verhandelt wurden. Besonders besorgniserregend sei der Trend, Bürokratieabbau als Vorwand für Deregulierungen zu nutzen, die Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen untergraben. Es sei insgesamt ein zunehmender politischer Rückschritt in Europa und Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure zu beobachten.
Schöne appellierte daher an die koordinierte Zusammenarbeit europäischer Umweltverbände. Sie müssten sich strategisch in der Debatte positionieren, um zum Beispiel Mindestkriterien für Nachhaltigkeit und Umweltschutz im Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) zu verankern. Denn auch nationale Erfolge seien maßgeblich von einer starken europäischen Zusammenarbeit abhängig.
Schwerpunktverschiebung drängt Umweltpolitik zunehmend in den Hintergrund
Patrick ten Brink, Generalsekretär des European Environmental Bureau (EEB), ordnete die umweltpolitischen Herausforderungen in den geopolitischen Kontext ein. Gleichzeitig zur formellen Verpflichtung der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum Green Deal zeigt sich eine deutliche Schwerpunktverschiebung hin zu Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Besonders besorgniserregend sei das Risiko, dass sicherheitspolitische Prioritäten zu einer Reduzierung von Klima- und Umweltausgaben führen. Durch die neue Sitzverteilung im Europäischen Parlament könne die EVP-Fraktion, der auch CDU/CSU angehören, sowohl mit linken als auch rechten Fraktionen Mehrheiten bilden. Das mache eine konstruktive Zusammenarbeit umso wichtiger. Ten Brink betonte dennoch, dass die EU weiterhin eine zentrale Rolle als globaler Akteur für eine nachhaltige Transformation spielen kann – vorausgesetzt, sie verteidigt ihre Errungenschaften und verstärkt ihre Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern.
Zentrale umweltpolitische Handlungsfelder 2025
Ten Brink stellte verschiedene Handlungsfelder vor, in denen dieses Jahr entscheidende Weichenstellungen für die Zukunft der EU-Umweltpolitik getroffen werden:
- Clean Industrial Deal: Während die präsentierte Strategie einen engen Fokus auf Klimaschutz legt, besteht die Gefahr, dass andere Umweltaspekte, wie der Schutz vor Schad- und Giftstoffen, vernachlässigt werden. Eine umfassendere Definition von „clean“ wäre notwendig.
- Omnibus-Paket: Die angestrebte Vereinfachung regulatorischer Prozesse darf nicht zu einer Deregulierung führen, die Umweltstandards untergräbt. Bereits jetzt zeigen sich erste Tendenzen, dass unter dem Deckmantel der Bürokratieverringerung wichtige Umweltauflagen abgeschwächt werden.
- PFAS-Reduktion: Es steht zur Debatte, ob lediglich Daten zur Verbreitung dieser „Ewigkeitschemikalien“ gesammelt oder ob weitergehende Maßnahmen getroffen werden, um ihre Verwendung und die bestehenden Belastungen aktiv zu reduzieren.
- REACH-Verordnung: Hier entscheidet sich, ob die EU einer wirtschaftsorientierten Agenda folgt oder ob gesundheitliche und ökologische Risiken stärker in den Mittelpunkt rücken.
- Kreislaufwirtschaft: Während der derzeitige Fokus auf Recycling ein erster Schritt ist, braucht es eine vollständige Transformation in Richtung einer echten Kreislaufwirtschaft, um Ressourcenverbrauch nachhaltig zu reduzieren.
- MFR-Finanzierung: Unklar bleibt, inwieweit Programme wie LIFE weiterhin gesichert sind oder ob sie Kürzungen zum Opfer fallen. Gleichzeitig könnte ein „Clean Competitiveness Fund“ neue finanzielle Möglichkeiten eröffnen.
- Wasserresilienz: Die Frage ist, ob sich die EU auf Wasserverfügbarkeit konzentriert oder ob auch Maßnahmen zur Wasserqualität und zum Schutz vor Verschmutzung mitgedacht werden.
- Bioökonomie: Während Bioenergie und nachhaltiges Waldmanagement Chancen bieten, gibt es zugleich das Risiko einer zu engen Definition, durch welche schädliche Praktiken zementiert werden.
Perspektiven aus der Politik
Florika Fink-Hooijer, Generaldirektorin der GD Umwelt (EU-Kommission), bestätigte viele der genannten Herausforderungen und hob die Notwendigkeit hervor, den Green Deal auch in der neuen politischen Landschaft als zentrale Leitlinie beizubehalten. Sie betonte, dass die Kreislaufwirtschaft nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich vorteilhaft sei – zum Beispiel durch geringere Rohstoffabhängigkeit und höhere Ressourceneffizienz.
Jutta Paulus, Mitglied des Europäischen Parlaments (Grüne), zeigte sich skeptischer und verwies auf einen klaren Rückschritt in umweltpolitischen Fragen, etwa bei den CO₂-Flottengrenzwerten oder der LIFE-Finanzierung. Sie warnte vor einer zunehmenden Instrumentalisierung von Desinformation und wissenschaftsfernen Narrativen, die politische Entscheidungsprozesse erschweren. Besonders problematisch sei die geringe öffentliche Aufmerksamkeit für Umwelt- und Klimapolitik, was Gegenmaßnahmen erschwere.
Stefanie Pfahl vom BMUV unterstrich die Notwendigkeit, Umwelt- und Klimapolitik in Zeiten eines verstärkten sicherheitspolitischen Fokus aufrechtzuerhalten. Sie warf mehrere zentrale Fragen auf: Wie lassen sich Sicherheit, Resilienz, Verteidigung sowie ambitionierter Umwelt- und Klimaschutz unter den gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen miteinander vereinbaren? Welche Prioritäten sollten gesetzt werden? Können Finanzmittel gezielt an bestimmte Themen gebunden werden, um positive Synergien für den Umweltschutz zu schaffen? Können Kreislaufwirtschaft, REACH-Anpassung und Omnibus-Pakete ausreichen, um die umweltpolitischen Ziele der EU zu erreichen?
UBA-Präsident: Green Deal steht an einem Scheideweg
Zum Abschluss stellte Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, fest, dass sich die europäische Umweltpolitik an einem entscheidenden Punkt befindet: Entweder gelinge es, die Transformation hin zu Nachhaltigkeit und Klimaneutralität konsequent weiterzuführen, oder es drohe eine Abschwächung und Fragmentierung der bisherigen Fortschritte.
Messner plädierte auch für eine ehrliche Selbstkritik innerhalb der Umweltbewegung, um zu verstehen, warum Umweltpolitik zunehmend polarisiert wird und wie gesellschaftliche Akzeptanz zurückgewonnen werden kann. Gleichzeitig warnte er davor, die aktuelle geopolitische Lage zu unterschätzen – sie gleiche einem Feuersturm, der Umweltthemen in den Hintergrund drängt. Um dem entgegenzuwirken, sei es essenziell, die Kräfte zu bündeln, Allianzen mit progressiven Akteur*innen zu stärken und gemeinsam an einem zukunftsfähigen Europa zu arbeiten.
Messner zog zudem einen Vergleich zur Situation in den Jahren 2020/21, als Umwelt- und Klimapolitik einen deutlichen Aufschwung erlebten. Faktoren wie die starke Mobilisierung durch Fridays for Future, das wegweisende Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts sowie die transatlantische Zusammenarbeit nach dem Wechsel von Trump zu Biden hätten damals ein Momentum für Umweltpolitik geschaffen. Dieses Momentum sei heute durch geopolitische Krisen, wirtschaftliche Unsicherheiten und einen gesellschaftlichen Backlash ins Wanken geraten.
Was braucht es für den Erfolg des Green Deals?
Wie kann also an einstige Erfolge angeknüpft und wie können Strategien entwickelt werden, die langfristige Akzeptanz für die Transformation sichern? Messner sieht hier vier Hebel. Dazu zähle insbesondere die Finanzierung. Es bedürfe erheblicher Investitionen, um die Transformation voranzutreiben. Laut dem Draghi-Report seien jährlich etwa 750 Milliarden Euro nötig, wobei drei Viertel aus dem Privatsektor und ein Viertel aus öffentlichen Mitteln stammen sollen. Messner machte deutlich, dass es dabei keine Entscheidung zwischen der Finanzierung von Umweltpolitik und Verteidigungsausgaben geben darf - es muss beides geleistet werden.
Gleichzeitig seien effizientere Genehmigungsprozesse und eine bessere Handlungsfähigkeit des Staates essenziell. Die Umweltpolitik müsse durch eine durchdachte Reform der Verwaltung effektiver gestaltet werden, ohne dabei Umweltstandards aufzuweichen. Auch digitale Technologien könnten dazu beitragen, Umweltschutz effizienter zu gestalten. Das Europäische Bauhaus sei ein Beispiel für eine gelungene Integration von Innovation und Nachhaltigkeit.
Messner hob aber auch hervor, dass es nicht ausreiche, allein auf politische Maßnahmen zu setzen. Die gezielte Vermittlung der Vorteile des Green Deals müssten verstärkt werden. Die Ziele des Green Deals – Klimaneutralität, Zero Pollution, Kreislaufwirtschaft und Ökosystemschutz – haben enorme wirtschaftliche Vorteile. Diese müssten stärker kommuniziert werden, um öffentliche und politische Unterstützung zu gewinnen.
Nicht zuletzt dürfe Europa sich nicht von globalen Rückschlägen lähmen lassen. Messner betonte, dass in Zeiten geopolitischer Unsicherheiten die EU nicht in Passivität verfallen dürfe, sondern entschlossen handeln müsse. Dabei sei es entscheidend, internationale Umweltallianzen aktiv zu verteidigen und auszubauen. Dies umfasse sowohl den Erhalt bestehender multilateraler Umweltabkommen als auch die strategische Stärkung europäischer Partnerschaften, um dem Einfluss destruktiver Akteure entgegenzuwirken.
Koordinierte Anstrengungen aller Akteur*innen
In der abschließenden Diskussion wurden die genannten Herausforderungen und strategische Optionen für die zukünftige EU-Umweltpolitik diskutiert. Florian Schöne betonte die Notwendigkeit, starke Allianzen in Wirtschaft, Industrie und Kommunen zu bilden, um Planungssicherheit für nachhaltige Investitionen zu schaffen. Jutta Paulus warnte vor Versuchen, die FFH-Richtlinie über Änderungsanträge erheblich abzuschwächen – insbesondere durch Forderungen rechter Parteien, den Schutzstatus mehrerer Arten wie Wolf, Luchs und Otter zu lockern.
Weitere Diskussionspunkte betrafen die Rolle der Kreislaufwirtschaft und des Circular Economy Acts. Katrin Meyer vom Runden Tisch Reparatur äußerte Bedenken, dass in der EU-Kommission der Recycling-Fokus zu stark im Vordergrund stehe. Florika Fink-Hooijer betonte jedoch, dass die EU einen umfassenden Ansatz in der Kreislaufwirtschaft verfolge und harmonisierte Abfallkriterien sowie eine erweiterte Herstellerverantwortung eine zentrale Rolle spielen würden.
Patrick ten Brink griff noch einmal die Bedeutung eines „Kampfs der Narrative“ auf: Umwelt- und Klimapolitik müssten als vorteilhaft für die Gesellschaft vermittelt werden, etwa durch leicht zugängliche Lösungen wie Balkonkraftwerke. Digitalisierung könne zudem Genehmigungsprozesse vereinfachen und Effizienzsteigerungen ermöglichen.