EU-Kommission: Zugeständnisse bei Flottengrenzwerten

Aufatmen bei Autoherstellern, deutliche Kritik von Umweltorganisation: Die EU-Kommission legt einen Vorschlag zur Verzögerung der Emissionsreduktionsziele für Pkws vor, der den Produzenten Strafzahlungen für das Jahr 2025 ersparen soll. Auch das Verbrenner-Aus scheint auf der Kippe zu stehen. Außerdem müssen 16 Autohersteller aufgrund von Kartellabsprachen zur Verhinderung von Recycling von Altfahrzeugen insgesamt über 400 Millionen Euro zahlen.
Für das Jahr 2025 erwartet europäische Autohersteller wohl keine Strafzahlung wegen verpasster Klimavorgaben: Die EU-Kommission will als Teil des Aktionsplans zur Unterstützung der europäischen Autoindustrie die CO₂-Grenzwerte für Pkws anpassen. Dabei soll die Erreichung der Ziele von 2025 auf 2027 verschoben werden – im Detail heißt dies, dass die CO₂-Flottengrenzwerte für die Jahre 2025, 2026 und 2027 gemittelt betrachtet werden und nicht mehr die Zielerreichung in den einzelnen Jahren im Fokus steht. Während die grundsätzliche Höhe der Emissionsreduktionsziele jedoch unangetastet bleiben soll, könnten Fahrzeughersteller nun zukünftig Strafzahlungen wegen Nichterreichung der Minderungsziele im laufenden Jahr umgehen, indem in den kommenden zwei Jahren die Reduktionsziele übertroffen werden.
Im EU-Parlament hatten Industrie und Christdemokraten (EVP) die Aussetzung der Vorgaben oder der Strafzahlungen gefordert, während Sozialdemokraten (S&D) und Grüne gegen eine Verwässerung der Ziele sind. Laut Europe.Table wollen „S&D, EVP und Liberale (…) verabreden, dass der Kommissionsvorschlag vom EU-Parlament im Dringlichkeitsverfahren beschlossen wird“. Zur Folge hätte dieses Vorgehen, dass der Umweltausschuss ENVI nicht befasst würde und somit verhindert werden könnte, dass es zur Abstimmung von Änderungsanträgen an dem Vorschlag der Kommission kommen könnte.
Zwar wird vonseiten der EU-Kommission aktuell noch beteuert, dass die beschlossenen Reduktionsziele und CO₂-Grenzwerte beibehalten werden sollen. Jedoch wurde ein Absatz im Entwurf des aktuellen Vorschlags, in dem das Festhalten an den Grenzwerten als „essenziell“ hervorgehoben wurde, aus der finalen Fassung gestrichen. Tatsächlich könnte es noch in der zweiten Jahreshälfte 2025 auch zu einer Anpassung der Flottengrenzwerte kommen: Insbesondere Abgeordnete der EVP wollen erneut eine Debatte über die Methoden zur Erreichung der Zielwerte aufmachen.
Auch das Ende der Neuzulassung von Verbrennermotoren steht womöglich auf der Kippe: Abgeordnete der EVP, der Patrioten sowie EKR (Europäische Konservative und Reformer) fordern, dass das sogenannte „Verbrenner-Aus" zurückgenommen werden soll und somit Neufahrzeuge mit Verbrennermotoren auch nach 2035 noch zugelassen werden könnten. Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung steht eine Rücknahme des Verbrenner-Aus zwar nicht auf dem Plan, Strafzahlungen aufgrund der CO₂-Flottengrenzwerte sollen allerdings vermieden werden.
Verzögerung der Flottengrenzwerte und „Sägen am Verbrenner-Aus“ aus NGO-Sicht großer Fehler
Von Umweltorganisationen hagelt es Kritik an dem Vorschlag der EU-Kommission zur Abschwächung der CO2-Mindeststandards für Pkw. Aus Sicht der Deutschen Umwelthilfe handelt es sich beim „Sägen am Verbrenner-Aus“ bis 2035 zudem um nicht weniger als einen Skandal, sei diese Festlegung doch bereits nur ein Kompromiss gewesen und aus Klimaschutzperspektive eigentlich ein Ausstieg bereits bis Ende dieses Jahrzehnts notwendig. Jürgen Resch, Geschäftsführer der Organisation, findet deutliche Kritik für den Vorstoß der Kommission: „Die EU-Kommission knickt mit diesem Vorschlag in beeindruckender Weise vor der Autolobby ein und verteilt Geschenke, von denen selbst die Autolobbyisten nicht zu träumen gewagt hätten. Statt klare Regeln durchzusetzen, wird mit faulen Kompromissen und Verzögerungstaktiken der fossile Wahnsinn weiter befeuert. Es ist schon schlimm genug, dass das CO₂-Zwischenziel für neue Pkw ab 2025 aufgeweicht wurde. Die bis 2027 erteilte Schonfrist wird zu bis zu 110 Millionen Tonnen mehr CO₂-Ausstoß führen und die Klimakrise weiter verschärfen.“
Auch der europäische Dachverband für nachhaltigen Verkehr Transport & Environment (T&E) hält den Vorschlag der Kommission für einen großen Fehler. Die Verzögerung der Flottengrenzwerte müsse das letzte Zugeständnis an die Autohersteller sein, welche für das Erlangen von den nun angedachten Flexibilitäten unter anderem mit nicht repräsentativen Verkaufsdaten aus dem Jahr 2024 argumentiert hätten. Die Verkäufe von batteriebetriebenen Elektroautos in Europa seien zudem in den ersten beiden Monaten des Jahres um 28 Prozent gestiegen, da sich die Branche bereits auf die Erfüllung des bestehenden Ziels für 2025 vorbereitet habe. Der Aufschwung beim Verkauf von Elektroautos zeige, dass das bestehende EU-Ziel funktioniere, so Julia Poliscanova, Leiterin der Abteilung für Fahrzeuge und Lieferketten der Elektromobilität bei T&E. Außerdem sei es ein Fehler, die „Regeln in der Mitte des Spiels zu ändern“. [mi]
Europe.Table (kostenpflichtig): Anpassung der Flottengrenzwerte
Europe.Table (kostenpflichtig): Analyse des schwarz-roten Koalitionsvertrags
ENDS Europe (kostenpflichtig): Verzögerung der Emissionsreduktionsziele
Kartellrecht: Geldbußen gegen Automobilhersteller
BMW, Volkswagen, Opel und zwölf weitere Autohersteller erwarten nach einer Entscheidung der EU-Kommission Strafzahlungen von insgesamt 458 Millionen Euro, nachdem diese über 15 Jahre hinweg (im Zeitraum zwischen 2002 und 2017) ebenso wie der europäische Automobilverband (ACEA) „wettbewerbswidrige Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem Recycling von Altfahrzeugen getroffen“ hätten. Mercedes-Benz wurde die Geldbuße wegen der Aufdeckung des Kartells vollständig erlassen.
Konkret hätten sich die 16 großen Automobilhersteller, zu denen auch Mazda, Toyota, Renault/Nissan und Ford gehören, insbesondere in folgenden Punkten wegen illegaler Absprachen strafbar gemacht:
- Eigentlich haben EU-Bürger*innen die Möglichkeit, ihr Auto bei einem Autodemontage-Betrieb zu entsorgen. Diese Betriebe seien allerdings nicht für ihre Dienstleistungen entlohnt worden.
- Zudem tauschten die Autohersteller untereinander wirtschaftlich sensible Informationen über ihre Vereinbarungen mit den Betrieben aus und koordinierten sich hierzu untereinander.
- Zudem gab es Absprachen, nicht mit dem Recycling und der Wiederverwendbarkeit von Altfahrzeugen sowie der Nutzung von recyceltem Material in neuen Autos zu werben. Auf diese Weise sollte laut Kommission verhindert werden, dass Verbraucher*innen den Aspekt Recycling bei ihrer Kaufentscheidung bzw. Wahl des Fahrzeugs berücksichtigen.
EU-Kommission: Pressemitteilung vom 2. April
ENDS Europe (kostenpflichtig): Artikel zu Strafzahlungen