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EU-Klimaziel 2040: Schlupflöcher gefährden Klimaschutz
EU-News | 04.04.2025

EU-Klimaziel 2040: Schlupflöcher gefährden Klimaschutz

2040
© AdobeStock/Sansha Creation
2040-Ziel

Die EU will bis spätestens 2050 klimaneutral werden – doch das dafür entscheidende 2040-Zwischenziel gerät ins Wanken. Klimakommissar Hoekstra tut sich schwer mit einem klaren Vorschlag. Statt Verbindlichkeit drohen Schlupflöcher: Flexibilitätsoptionen, internationale Zertifikate und ein verzögerter Emissionspfad drohen das Ziel auszuhöhlen – mit Folgen für Europas Glaubwürdigkeit und die globale Klimapolitik.

Die Europäische Union hat sich im Rahmen ihres European Green Deal verpflichtet, die Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken und bis spätestens 2050 klimaneutral zu werden. Um auf diesem Weg keinen Blindflug zwischen 2030 und 2050 zu riskieren, hat die EU-Kommission in Aussicht gestellt, in diesem Jahr - ursprünglich im ersten Quartal - einen Legislativvorschlag zur Festlegung eines Zwischenziels für das Jahr 2040 vorzulegen. Die Festlegung des Zwischenziels ist durch das EU-Klimagesetz verpflichtend und zeitlich vorgegeben und soll sicherstellen, dass der Pfad zur Treibhausgasneutralität bis 2050 realistisch und planbar bleibt.

Die Formulierung eines Legislativvorschlags zum 2040-Ziel sorgt jedoch für zunehmende Spannungen in Brüssel. Klimakommissar Wopke Hoekstra versucht, einen Kompromiss zu finden, der nicht nur die Mehrheiten im Europäischen Parlament sichert, sondern auch die verschiedenen Positionen der Mitgliedstaaten im Rat berücksichtigt. Brisant ist dabei, dass das 90-Prozent-Ziel bereits im sogenannten Mission Letter von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an Hoekstra festgeschrieben wurde – eine klare politische Vorgabe, die nun zur Disposition zu stehen scheint. Wopke Hoekstra hat sich außerdem in seiner Anhörung letztes Jahr persönlich zu einem 90-Prozent-Ziel verpflichtet. Diskutiert werden nun aber einige „Flexibilisierungsoptionen”, die teils als Schlupflöcher kritisiert werden: Dazu zählen die zeitliche Streckung der Emissionsminderungen mit einem langsameren Start in den frühen 2030er-Jahren, die stärkere Anrechnung von CO2-Entnahmen durch Wälder oder technische Speicher (Carbon Removals), die sektorübergreifende Verschiebung von Emissionslasten sowie die Nutzung internationaler Zertifikate nach Artikel 6 des Pariser Abkommens. Letztere würde es ermöglichen, CO2-Einsparungen außerhalb der EU auf das europäische Klimaziel anzurechnen.

CO2-Gutschriften: ökonomisch fragwürdig

„Die Anrechnung von Emissionsreduktionen aus dem Ausland, um das EU-2040-Klimaziel zu erreichen, wäre ein schwerwiegender Rückschritt für den Klimaschutz und die Zukunftsfähigkeit Europas”, warnt Judith Hermann vom Deutschen Naturschutzring (DNR). „Es würde das Prinzip aufgeben, unsere Klimaziele durch eigene Anstrengungen zu erreichen und außerdem die Integrität der Ziele beschädigen und dringend notwendige Weichenstellungen in Industrie und Gesellschaft verhindern.”

Befürworter dieser Ansätze – darunter weite Teile der konservativen EVP-Fraktion und einige Mitgliedstaaten wie Italien - argumentieren mit der Notwendigkeit, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und energieintensive Branchen wirtschaftlich zu entlasten. Auf der anderen Seite fordern Umweltverbände, die Grünen und viele Sozialdemokrat*innen ein klares 90-Prozent-Ziel, das vollständig durch inländische Emissionsminderungen erreicht wird.

Auch in den deutschen Koalitionsverhandlungen ist die Debatte längst angekommen. Die CDU/CSU fordert, internationale CO2-Zertifikate zur Anrechnung auf das EU-Ziel zuzulassen. Die SPD hingegen setzt sich für ein klares Bekenntnis zu einem 90-Prozent-Ziel ohne internationale Kompensationsmaßnahmen ein und will diese Position explizit im Koalitionsvertrag verankern. Sie spricht sich wie ihre europäischen Genoss*innen dafür aus, die Reduktionen vollständig durch Maßnahmen innerhalb der EU zu erreichen.

„Die Mitgliedstaaten haben Angst, das 2030-Ziel nicht zu erreichen”

Ein zentraler Streitpunkt in der aktuellen Diskussion ist die Frage, ob die EU auf dem Weg zur Klimaneutralität einem linearen oder nicht-linearen Emissionspfad folgen soll. Ein linearer Pfad würde bedeuten, dass jährlich gleichmäßige Reduktionsschritte unternommen werden, was Planungssicherheit schafft und kontinuierliche Fortschritte gewährleistet. Ein nicht-linearer Pfad hingegen sieht eine langsamere Minderung in den frühen 2030er-Jahren vor und verschiebt größere Einsparungen auf das Ende des Jahrzehnts.

Befürworter des nicht-linearen Ansatzes argumentieren, dass dies den Mitgliedstaaten mehr zeitlichen Spielraum verschafft, um wirtschaftliche Anpassungen vorzunehmen und neue Technologien hochzufahren. Kritiker hingegen – darunter viele Umweltverbände und Wissenschaftler*innen – verweisen auf die erhöhten kumulierten Emissionen, die durch einen verzögerten Start entstehen. Sie warnen, dass ein solches Vorgehen das CO2-Budget überstrapazieren, soziale Härten verschärfen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen könnte, das 1,5-Grad-Ziel und sogar die 2-Grad-Marke zu verfehlen.

Der Europäische Wissenschaftliche Beirat zum Klimawandel (ESABCC) empfiehlt daher ausdrücklich eine frühzeitige und stetige Minderung, um Planbarkeit zu gewährleisten und irreversible Klimaschäden zu vermeiden. Auch der Thinktank Strategic Perspectives warnt davor, zu viel Ambition auf spätere Jahre zu verschieben. „Die Mitgliedstaaten haben Angst, das 2030-Ziel nicht zu erreichen und wollen daher möglichst viele Klimaambitionen auf spätere Jahre auslagern”, so Linda Kalcher, EU-Politikexpertin von Strategic Perspectives, gegenüber dem Tagesspiegel Background. Eine Analyse der Organisation zeigt, dass ein verzögerter Emissionspfad zwischen 2030 und 2040 nicht nur die Gesamtemissionen erhöht, sondern auch die politische und wirtschaftliche Umsetzbarkeit eines ambitionierten Endspurts gefährdet. 

Wenn Europa in dieser Phase zu stark auf technische Ausweichmanöver oder externe Emissionszertifikate setze, drohten mehrere wesentliche Gefahren: Erstens verlöre der Kontinent wertvolle Zeit, in der eigentlich der Ausbau erneuerbarer Energien und die notwendige Transformation energieintensiver Industrien vorangetrieben werden müsste. Zweitens könnten durch unsaubere Anrechnungsmethoden massive Unsicherheiten über die tatsächliche Klimawirkung entstehen. Schon jetzt zweifeln viele Beobachterinnen und Beobachter daran, ob etwa nach Artikel 6 des Pariser Abkommens garantierte Emissionsminderungen im Ausland tatsächlich verlässlich überwacht werden können.

Dass diese Skepsis nicht völlig unberechtigt ist, zeigt ein Blick zurück auf das Kyoto-Protokoll und den sogenannten Clean Development Mechanism (CDM). Zwischen 2005 und 2012, während der ersten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls, konnten Unternehmen und Staaten emissionsmindernde Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern finanzieren, um sich dafür Gutschriften zu sichern. Viele dieser Projekte wurden aber später in ihrer realen Klimaschutzwirkung kritisch hinterfragt, und die teilweise sehr günstigen Zertifikate führten zu einem Preisverfall im europäischen Emissionshandel. Dieses Schicksal befürchten heute Verbände wie Carbon Market Watch, sollten erneut internationale Zertifikate auf breiter Front angerechnet werden. „Das sind äußerst gefährliche Vorschläge”, sagte Sam Van den plas, Politikdirektor bei der Nichtregierungsorganisation Carbon Market Watch. „All diese Optionen lenken vom eigentlichen Ziel ab, nämlich Emissionen sofort und effektiv zu senken. Die vorgeschlagene Flexibilität ist nichts anderes als ein potenzielles Schlupfloch.” In der Folge fehlten wichtige Anreize, Emissionen konsequent an der Quelle zu reduzieren. Statt gezielt in die heimische Industrie zu investieren und sie klimafit zu machen, werden öffentliche Mittel in teils zweifelhafte Kompensationsprojekte außerhalb der EU fließen, ohne langfristige Transformationsimpulse für den europäischen Wirtschaftsraum zu setzen.

Es geht auch um Glaubwürdigkeit

Sollte sich letztlich eine verwässerte Variante des 2040-Ziels durchsetzen, könnte das nicht nur den Ehrgeiz der EU bremsen, sondern auch die globale Signalwirkung untergraben. Viele europäische Stimmen verweisen bereits jetzt auf die Vorbildfunktion der EU: Wenn sogar Brüssel seine Ziele nach unten korrigiert und stärker mit fragwürdigen Zertifikaten arbeitet, werden auch andere Wirtschaftsräume wie China oder Indien wenig Motivation verspüren, ambitioniertere Klimaschutzpläne vorzulegen. Gerade in einer Zeit, in der die USA deutlich von Klimaschutz abrücken, braucht es jetzt eine starke europäische Stimme für Klimaschutz.

Umgekehrt wird ein klares Bekenntnis zu 90 - 95  Prozent ohne Schlupflöcher den Status Europas als Klimavorreiter bekräftigen und die nötigen Innovationen im eigenen Wirtschaftsraum beschleunigen. Fachleute halten den Zeitraum bis 2040 für entscheidend, weil sich in diesen Jahren klären wird, inwiefern Europa tatsächlich den eigenen Weg zur Klimaneutralität ausbauen und festigen kann. Ob es dann gelingt, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, hängt freilich auch von anderen Großemittenten ab. Ein verwässertes europäisches Zwischenziel würde jedoch zweifellos die Glaubwürdigkeit der EU, die Dynamik internationaler Klimaverhandlungen, den Schutz vor weiteren Klimaschäden und die langfristige Planbarkeit für Unternehmen schwächen. [ks]

 

Tagesspiegel Background: EU-Kommission feilt an Kompromiss für Klimaziel 2040 (paywall)

Politico: EU exploring weaker 2040 climate goal

ESABCC: Scientific advice for the determination of an EU-wide 2040 climate target

Strategic Perspectives: EU 2040 Climate Target: a strong case for the net-zero transition

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