Zukunft der europäischen Stahlindustrie: EU-Kommission präsentiert Aktionsplan

Am 19. März veröffentlichte die EU-Kommission ihren Aktionsplan für Stahl und Metalle. Vorausgegangen war diesem ein Strategischer Dialog zur Zukunft des europäischen Stahlsektors. Dass zivilgesellschaftliche Organisationen wie CAN Europe, das Europäische Umweltbüro und andere nicht einbezogen wurden, erntete harsche Kritik. Auch gehe der Aktionsplan in puncto Klimaschutz nicht weit genug.
Am 4. März fand der „Strategische Dialog über die Zukunft des europäischen Stahlsektors“ (Stahlgipfel) von Präsidentin von der Leyen zusammen mit führenden Vertreter*innen der europäischen Industrie, der Sozialpartner und Interessengruppen unter enger Einbeziehung des Rats und des Parlaments statt. Der Dialog markierte laut EU-Kommission den „Beginn eines integrativen und kooperativen Prozesses zur Bewältigung der kritischen Herausforderungen des Sektors und zur Sicherstellung seines anhaltenden Erfolgs als wichtiger Motor der europäischen Wirtschaft“. Im Detail standen Diskussionen über die Steigerung der „Wettbewerbsfähigkeit und Kreislaufwirtschaft“ des Sektors, über Elektrifizierung und Dekarbonisierung sowie über „faire Handelsbeziehungen“ auf der Tagesordnung.
Laut Kommissionspräsidentin von der Leyen ständen „die europäischen Stahlhersteller (…) am Scheideweg“ und müssten sich den „Herausforderungen der notwendigen Dekarbonisierung und des teilweise unfairen globalen Wettbewerbs“ stellen. Die Ergebnisse des Dialogs sollten in den am 19. März veröffentlichten EU-Aktionsplan für Stahl (Steel Action Plan) münden.
NGOs kritisieren mangelnde Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Positionen
Mehrere NGOs kritisieren jedoch scharf, dass die Teilnahme zivilgesellschaftlicher Organisationen an dem Dialog stark limitiert war. So nahm lediglich der Think Tank Agora Industrie an dem Stahlgipfel auf Einladung der Kommission hin teil. Zuvor habe es Versprechen gegeben, die Zivilgesellschaft intensiver in die Gespräche einzubeziehen. Aus Sicht der EU-Kommission sei dies erfolgt: „Wir haben Agora Industrie eingeladen und sind der Meinung, dass sie [die Organisation] die Zivilgesellschaft repräsentiert“, sagte ein Sprecher gegenüber ENDS Europe.
Umweltschutzorganisationen wie das Europäische Umweltbüro (EEB) bezeichneten die Abwesenheit von Nichtregierungsorganisationen als inakzeptabel. Christian Schaible, Experte für Nullverschmutzungsindustrie beim EEB, beklagte gegenüber ENDS Europe, die EU-Kommission hätte nur vorgegeben, es ginge um einen „inklusiven Dialog“. Tatsächlich sei dies aber ein „Fake“. Dieser Kritik schließt sich Boris Jankowiak, Koordinator für Stahltransformationspolitik beim Climate Action Network (CAN) Europe an. Die Zivilgesellschaft wäre mit der Partizipation von nur einem Think Tank entgegen der Aussage der Initiatoren nicht wirklich inkludiert worden. CAN Europe und das EEB gehören zu den großen europäischen Dachverbänden, die zur industriellen Transformation in der EU arbeiten.
Die Klimaschutzorganisation SteelWatch warnte indes vor dem politischen Einfluss der alten Stahlproduzenten und dem Risiko einer Vereinnahmung durch Unternehmen. „Die Stahlhersteller sind bei den Verhandlungen mit den Regierungen im Vorteil, weil die Dekarbonisierung von Stahl sehr technisch ist und die Argumente in technischen Details untergehen können“, so Caroline Ashley, geschäftsführende Direktorin der Organisation. Auch der WWF sah durch die fehlende Einbeziehung von NGOs die Gefahr einer überproportionalen Einflussnahme der pro-fossilen Lobby auf den Prozess.
Nach der offenen Kritik an dem Vorgehen der EU-Kommission, lud diese am 6. März das Europäische Umweltbüro zumindest zu Beratungen zu dem Aktionsplan ein. Aus Sicht des EEB ersetze dies aber nicht „die wertvolle Präsenz“ der Organisation beim vorherigen Strategischen Dialog. Weitere NGOs wie Bellona und CAN Europe, die sich ebenfalls kritisch geäußert hatten, wurden zudem nach wie vor nicht in die Gespräche rund um die inhaltliche Vorbereitung des Stahl-Aktionsplans eingebunden. Die Teilnahme von Umwelt-NGOs war im Vorfeld als relevant für die Pläne zur Dekarbonisierung der europäischen Stahlindustrie eingeschätzt worden.
Was beinhaltet der neue Aktionsplan?
Im Fokus des am 19. März veröffentlichten Aktionsplans für die Stahlindustrie soll die ökonomische Rentabilität der Erzeugung von sauberem Stahl stehen. Zudem müsse es zukünftig ein Konzept geben, wie man Handelsschranken und Überproduktion auf globaler Ebene begegnen könne, so die EU-Kommission. Bis zum Herbst will sie einen Vorschlag zum Ersetzen der derzeitigen „Stahlschutzmaßnahmen“ vorlegen. Die bisherigen Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung unfairen Wettbewerbs, welche im Juni 2026 auslaufen, erheben einen Zoll von 25 Prozent, wenn die Importe die auf der Grundlage historischer Mengen berechneten Werte überschreiten.
Konkret umfasst der Aktionsplan folgende Punkte:
- Gewährleistung einer erschwinglichen und sicheren Energieversorgung für den Sektor
- Verhindern der Verlagerung von CO₂-Emissionen
- Ausweitung und Schutz der europäischen Industriekapazitäten
- Förderung der Kreislaufwirtschaft
- Weniger Risiko bei der Dekarbonisierung
- Erhalt hochwertiger industrieller Arbeitsplätze
Aus Sicht von CAN Europe geht der Aktionsplan in puncto Klimaschutz nicht weit genug, so Boris Jankowiak gegenüber ENDS Europe. Es sei bedauerlich, dass der Plan „keine umfassenderen Anforderungen an die Metallindustrie enthält, mit der Dekarbonisierung zu beginnen". So fehlen unter anderem konkrete Elemente für die Rechenschaftspflicht der Unternehmen, sich für die Transformation einzusetzen.
Hintergrund:
Mit dem Pariser Klimaziel und der Einführung des Emissionshandels wurde der Ausstieg aus dem fossilen Stahl beschlossen. Das ist notwendig für den Klimaschutz, denn allein in Deutschland belegt die Stahl- und Eisenindustrie unter den klimaschädlichsten Industrieanlagen die ersten 13 Plätze. Zur Verdeutlichung: Die deutsche Stahlproduktion emittiert etwa 55 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr. Umso dringender ist eine Transformation dieses Industriezweigs hin zu einer fossilfreien, klimaneutralen Roheisen- und Stahlproduktion.
Der EU-Stahlsektor befindet sich zugleich aufgrund der weltweiten Überkapazitäten, der hohen Energiekosten und der neu angekündigten Zölle in Höhe von 25 % auf Stahlimporte in die USA, die am 12. März in Kraft getreten sind, in Schwierigkeiten, ist aber mit rund 500 Produktionsstätten in 22 Mitgliedstaaten und über 2,6 Millionen Arbeitsplätzen ein großer Industriezweig in der EU. Der Aktionsplan für Stahl und Metalle baut auf den Maßnahmen des Clean Industrial Deal und des Aktionsplans für erschwingliche Energie auf. [mi]
ENDS Europe: Commission seeks views of single NGO on steel action plan [kostenpflichtig]
ENDS Europe: Commission under fire for excluding NGOs from dialogue on steel [kostenpflichtig]
Euractiv: EU to release new steel industry action plan in two weeks
EU-Kommission: Übersicht Teilnehmer*innen Dialog
EU-Kommission: PM Strategischer Dialog
EU-Kommission: PM Stahl-Aktionsplan
Germanwatch: Hintergrundpapier zur Stahlindustrie
WWF: PM Stahl-Report