Atomkraft-Finanzierung in der EU: Ein klares Unentschieden
Welche Rolle soll Atomenergie in der EU zukünftig spielen? Bei dieser Frage scheiden sich die Geister unter den Mitgliedstaaten. Während die Pro-Kernkraft-Gruppe Finanzierung für Atomkraft fordert, äußern sich die designierten Energie- und Klimakommissare Jørgensen und Hoekstra uneindeutig.
Welche Rolle kann Atomkraft auf dem Weg hin zu Klimaneutralität einnehmen? Und sollte die Technologie zu den Erneuerbaren Energien gezählt und entsprechend finanziell gefördert werden? In der EU herrscht Uneinigkeit zu diesen Fragen, wie mitunter beim Treffen der EU-Energieminister- und Ministerinnen Mitte Oktober in Luxemburg deutlich wurde.
Bei der informellen Tagung der Minister*innen wurde unter anderem auf einen vorherigen Vorschlag des ehemaligen italienischen Premierministers Mario Draghi reagiert. Dieser hatte im Kontext von Ideen zur Erhöhung der EU-Wettbewerbsfähigkeit dazu plädiert, „die Dekarbonisierung [der EU] auf kosteneffiziente Weise zu beschleunigen, indem alle verfügbaren Lösungen durch einen technologieneutralen Ansatz genutzt werden“. Der Draghi-Bericht befürwortet die Nutzung von Kernenergie, um „eine zuverlässige Versorgung [mit Energie] zu gewährleisten und die Führungsrolle der EU in der Nuklearindustrie zu fördern“.
Zudem hatten zehn Mitgliedstaaten die Kommission aufgefordert, innerhalb der ersten 100 Tage eine Neuauflage des hinweisenden Atomprogramms (PINC) (Nuclear Illustrative Programme) vorzulegen. Die letzte Fassung stammt noch von 2016. Das Programm resümiert die Ausbaupläne der Mitgliedstaaten und ermittelt den offiziellen Finanzbedarf für Neubau, Stilllegung und Sicherheitsverbesserungen europäischer Atomkraft-Anlagen. Im Parlament hatte sich am 18. Oktober zudem die informelle "Nuclear Energy Focus Group" um den Abgeordneten Christophe Grudler (Renew) neu aufgestellt. Die Gruppe schloss sich im Wesentlichen den Forderungen der französischen Regierung sowie der Nuklear-Allianz an.
Streitpunkt: EU-Finanzierung von Atomkraft
Die Generaldirektion Klima reagiert zurückhaltend auf Forderungen nach einer stärkeren EU-Finanzierung der Kernenergie, wie aus einem Briefing für den designierten Klimakommissar Wopke Hoekstra hervorging. Bei der Euratom-Finanzierung ginge es vorwiegend um nukleare Sicherheit, die EU stelle aber keine „Beihilfen für den Bau oder Betrieb von Kernkraftwerken bereit“. Die Forderungen der sogenannten Nuklear-Allianz um Frankreich und weitere Atomkraft befürwortende EU-Mitgliedstaaten betreffen hohe Milliardenbeträge.
Nachdem es bei der „Anti-Atomkraft-Allianz“ bereits Unzufriedenheit über die ausdrückliche Erwähnung der Kernenergie in den Schlussfolgerungen der COP29 in Baku gegeben habe, hatten die Mitgliedstaaten bei der Energie-Tagung ihre Meinungsverschiedenheiten zu diesem Thema – insbesondere zu der Frage stärkerer Finanzierung von Kernkraft - fortgesetzt. Sven Giegold äußerte sich in der Debatte versöhnlich und wies zwar auf prognostiziert sinkende Anteile von Kernkraft an der europäischen Stromversorgung hin. Zugleich betonte er, dass „die Dekarbonisierung Europas auf unterschiedlichen nationalen Strategien basieren wird“ und man das anerkennen und akzeptieren müsse.
Die französische Energieministerin Agnès Pannier-Runacher forderte hingegen eine Förderung von Atomenergie mit europäischen Mitteln. Nur so würde sich die festgesetzte technologische Neutralität auch in der Finanzierung unterschiedlicher Energien widerspiegeln. Auch die schwedische Energieministerin sowie der irische Energieminister ergriffen das Wort und sprachen sich für eine Beilegung des Konflikts sowie eine Verbindung von erneuerbaren Energien und Kernkraft zu einem ausbalancierten Energiesystem aus.
Ausblick: EU-Klima- und Energiekommissare äußern sich eher pro Kernkraft
Auch bei der Anhörung des designierten Energiekommissars Dan Jørgensen am Dienstag, 5. November, wird das Thema Kernkraft voraussichtlich zur Sprache kommen. In einem Vorbereitungsdokument wird dem Dänen empfohlen, eine im Gegensatz zu seinen bisherigen Ansichten stehende moderate Position zur Kernkraftthematik einzunehmen. Entsprechend gilt es als wahrscheinlich, dass Atomkraft unter Jørgensen auch weiterhin Teil der EU-Energiestrategie bleiben wird. Zu den Empfehlungen der Kommissionsdienststellen gehören unter anderem Formulierungen zur Berücksichtigung der „nuklearen Ambitionen bestimmter Staaten für die Festlegung der EU-Energieziele für 2040“ sowie zur Suche nach „Möglichkeiten für eine weitere Integration der Atomkraft in die Energiepolitik der EU und die Energieunion“.
Es ist zu erwarten, dass die Diskussionen um die Bedeutung von Kernkraft für die EU-Klimaziele auch in den kommenden Monaten der neuen Legislatur noch eine größere Rolle einnehmen werden, solange insbesondere die Frage rund um die Finanzierung der Energieform noch offen ist. Die Zurückhaltung Hoekstras zur Atomkraft-Finanzierung dürfte weiterhin für Gegenwind bei den Kernkraftbefürwortern sorgen. [mi]
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