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Bestand erhalten durch zirkuläres Bauen
News | 08.02.2023
#Kreislaufwirtschaft

Bestand erhalten durch zirkuläres Bauen

Gebäude als Baustofflager
© rbb/Raphael Knop
Gebäude als Baustofflager

Gebäude verbrauchen enorm viele wertvolle Ressourcen. Dabei ließen sich sowohl beim Neubau als auch beim Abriss Materialien und Emissionen sparen. Aber qualitätvolles Recycling ist Fehlanzeige. Mehr als die Hälfte des gesamten Abfallaufkommens in Deutschland und etwa ein Drittel der gesamten Treibhausgasemissionen gehen auf Kosten der Baubranche. Im Kampf gegen die Klimakrise ist der Bestandserhalt im Gebäudesektor das Mittel der Wahl.

Die Art und Weise, wie wir bauen, wohnen und heizen, spielt eine entscheidende Rolle für den Klimaschutz. Ohne die Wende im Gebäudesektor halten wir die Pariser 1,5-Grad-Grenze nicht. Gleichzeitig werden Ressourcen im Bausektor in der Regel nach einmaliger Nutzung entsorgt, fehlen so im Kreislauf und führen zu weiteren Eingriffen in unsere Ökosysteme. Neben dem Klima ist der Wandel genauso wichtig für Natur- und Ressourcenschutz. Und trotzdem: Obwohl jedes Gebäude Unmengen an Ressourcen verbraucht und beträchtliche Emissionen verursacht, werden in Deutschland jährlich tausende Gebäude abgerissen. Im Kampf gegen die vielfältigen Krisen sollte klar sein: Jedes Haus zählt. Der Bestandserhalt muss an erster Stelle stehen. Denn zirkuläres Bauen bedeutet eigentlich, nicht zu bauen.

Der enorme Verbrauch an Ressourcen in der Branche führt deutschland- und weltweit zu Eingriffen in wichtige natürliche Ökosysteme. Analysen von Material Economics zufolge werden europaweit 65 Prozent des Zements, 33 Prozent des Stahls und 20 Prozent der Kunststoffe für den Gebäudebau verbraucht. Auch Sand und Kies sind in großen Mengen nötig. Ein durchschnittliches Einfamilienhaus in Deutschland verbraucht für Beton und Glas mehr als 200 Tonnen Sand.

Gleichzeitig gibt es in der Branche kaum hochwertiges Recycling. So verursacht die Baubranche über die Hälfte des gesamten Abfallaufkommens in Deutschland. Dem Statistischen Bundesamt zufolge waren dies im Jahr 2018 fast 231 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle.

Silke Küstner
Damit der Gebäudesektor seinen dringend nötigen Beitrag zu Klima- und Ressourcenschutz leistet, müssen wir weg von einer Wegwerf- und hin zu einer Kreislaufwirtschaft.
Silke Küstner, WWF
Projektmanagerin für Kreislaufwirtschaft

Nutzung und Bau von Gebäuden setzen hierzulande etwa ein Drittel der gesamten Treibhausgasemissionen frei. Im Bau spielt die sogenannte graue Energie eine entscheidende Rolle. Als „graue Energie“ wird die Energie bezeichnet, die für die Produktion von Baumaterialien sowie die Verarbeitung, den Transport, den Bau sowie den Rückbau des Gebäudes und die Entsorgung aufgewandt wird. Aktuell bleiben graue Energie und Emissionen in Gesetzen wie dem Gebäudeenergiegesetz unberücksichtigt.

Obwohl jedes Gebäude massenhaft Ressourcen verbraucht und beträchtliche Emissionen verursacht, wurden allein 2021 in Deutschland mehr als 14.000 Gebäude abgerissen. Die Dunkelziffer liegt Expert*innen zufolge sogar noch höher. Denn Abrisse müssen in Deutschland nicht genehmigt werden.

Neubau muss von Anfang an zirkulär gedacht werden

Wie sehen die Lösungswege für den Wandel im Gebäudesektor aus? Bereits im Neubau lassen sich viele Ressourcen sparen. Damit Planer*innen und Bauherr*innen ein ganzheitliches Bild der verbauten Materialien erhalten, brauchen sie eine Ökobilanzierung. Diese betrachtet den gesamten Lebenszyklus des Baustoffes vom Rohstoffanbau und -abbau über Herstellung, Verarbeitung und Transport bis zur Entsorgung des eingebauten Fertigprodukts mitsamt den Biodiversitätseffekten. So können beispielsweise Materialien mit schlechter Ökobilanz durch klimaschonende Baustoffe ersetzt werden.

Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass Gebäude(-teile) rückgebaut werden können und ins Recycling gehen. Dazu benötigen Gebäude von Anfang an ein Rückbaukonzept. So wird der Abriss zum selektiven Rückbau und ein Gebäude zum regelrechten Materiallager. Zusätzlich macht modulares und rückbaubares Bauen das Wiederverwenden möglich. Das setzt eine Gestaltung aus hochwertigem, gut recycelbarem Material voraus, bei der Langlebigkeit, Reparierbarkeit und sortenreine Trennbarkeit mitgedacht werden. Zirkuläre Produkte ziehen beispielsweise Steck- und Schraublösungen dem Verkleben vor, sodass einzelne Teile an ihrem Nutzungsende leicht auseinandergenommen werden können. Damit rückgebautes Material schließlich in den Prozess der Wiederverwendung gelangt, müssen die Infrastruktur über Baustoffbörsen für Sekundärbaustoffe ausgeweitet und die Hersteller durch Produzentenverantwortung in die Pflicht genommen werden.

Innovative Unternehmen der Branche arbeiten bereits daran, mehr wiederverwendete Baustoffe in Gebäude zu bringen. Im Rahmen des CEWI Projekts entwickelt ein Team aus Expert*innen das digitale Entwurfswerkzeug Simulator, das Planer*innen neue Möglichkeiten bietet, Sekundärbaustoffe zu nutzen. Nach dem Ansatz form follows resource availability können wiederverwendete Bauteile und Komponenten mit dem Tool so bereits im Entwurf integriert werden.

Im Gebäudebestand liegt der Schlüssel

Der wichtigste Lösungsweg, um Ressourcen und Emissionen zu sparen, ist jedoch, den Gebäudebestand zu erhalten. Nach Berechnungen des Umweltbundesamts sind deutschlandweit über 28 Milliarden Tonnen Baumaterialien in Gebäuden verbaut – ein gewaltiges Rohstofflager, das auch die eingesetzte graue Energie speichert.

Gebäude zu erhalten, lässt sich unter anderem durch Umnutzung sichern. So haben sich zum Beispiel alte Industriegebäude in Berlin in einen großen Technologie- und Innovationspark verwandelt, in dem nun in Co-Working-Büros gearbeitet wird.

Zudem müssen ältere Gebäude weitergenutzt und dazu energetisch saniert werden. Zwei Drittel aller Wohngebäude in Deutschland wurden vor 1979, also vor der ersten Wärmeschutzverordnung, gebaut. Diese Gebäude verbrauchen im Schnitt fünf Mal mehr Energie als Gebäude, die ab der Jahrtausendwende errichtet wurden. Dennoch muss ihnen nicht der Abriss drohen. Mit modernen energetischen Sanierungen lassen sich sehr gute Effizienzstandards erzielen und Emissionen vermeiden.

Besonders effizient ist hierbei die serielle Sanierung. Statt auf der Baustelle Stück für Stück zu sanieren und zu dämmen, werden beim seriellen Sanieren gedämmte Dächer und Fassaden bei Herstellern vorgefertigt und anschließend an das Gebäude montiert. Laut Analysen der Deutschen Energie-Agentur könnten mithilfe serieller Sanierung rund eine halbe Million Gebäude in Deutschland einen „Net-Zero-Standard“ (die Netto-Null bei den Emissionen; die Red.) erreichen.

Unter dem Strich ist klar: Im Kampf gegen die Klimakrise ist der Bestandserhalt im Gebäudesektor das wichtigste Mittel. Er trägt wie keine andere Maßnahme zu Ressourcen- und Flächenschutz sowie einem nachhaltigen Energieverbrauch bei. Daher muss der Bestandserhalt immer an erster Stelle stehen und durch eine bundesweite Priorisierung, Abrissgenehmigung und ein weitreichendes Sanierungspaket im Gesetz verankert werden.

Die Autorin

Silke Küstner arbeitet beim WWF Deutschland als Projektmanagerin für Kreislaufwirtschaft mit dem Schwerpunkt Gebäudesektor. Zudem managt sie das Markttransformationsprojekt CEWI, bei dem mehr als 40 Unternehmen der Gebäude- und Automobilbranche branchenübergreifend Circular-Economy-Projekte entwickeln.

Weitere Informationen zur Circular-Economy-Arbeit des WWF Deutschland

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