Chemikalien- und pestizidpolitischer Überblick
Arbeitsschutzmaßnahmen gegen krebserzeugende und erbgutverändernde Stoffe sowie gefährliche Arzneimittel beschlossen. Französische Agentur schlägt bessere Regulierung von Schadstoffen in Textilien und Schuhen vor. Pestizide: Mikroorganismen, Konferenz und die kommende Verordnung. Frauen und Pestizide. Quecksilber in Hautaufhellern. Das Forum Umwelt & Entwicklung bietet chemiepolitische Mittagstalks an.
Arbeitsschutzmaßnahmen gegen krebserzeugende und erbgutverändernde Stoffe sowie gefährliche Arzneimittel kommen
Anfang März hat der Rat für Beschäftigung, Gesundheit und Soziales grünes Licht für eine Änderung der Richtlinie über Karzinogene und Mutagene gegeben. Damit sollen Arbeitnehmer:innen besser vor der Gefährdung durch krebserzeugende und erbgutverändernde Stoffe sowie gefährlichen Arzneimitteln geschützt werden. Darüber hinaus wurden Expositionsgrenzwerte für Acrylnitril und Nickelverbindungen festgelegt und die geltenden Grenzwerte für Benzol gesenkt. Die Grenzwerte für 12 die menschliche Fortpflanzung gefährdende reproduktionstoxische Stoffe, die derzeit unter andere EU-Rechtsvorschriften fallen, werden jetzt der strengeren Richtlinie über Karzinogene und Mutagene zugeordnet. Die Richtlinie wird daher in die Richtlinie über Karzinogene, Mutagene und reproduktionstoxische Stoffe (CMRD) umbenannt.
Nach Angaben der Kommission sind mehr als eine Million Beschäftigte an ihrem Arbeitsplatz Acrylnitril, Nickelverbindungen und Benzol ausgesetzt, und jedes Jahr sind 52 Prozent der arbeitsbedingten Todesfälle in der Europäischen Union auf Krebs zurückzuführen. Die Richtlinie bezieht auch Angehörige von Gesundheitsberufe ein, die besser geschult werden sollen, mit krebserzeugenden, erbgutverändernden oder reproduktionstoxischen Arzneimitteln umzugehen. Laut CMRD-Richtlinie soll die EU-Kommission Leitlinien für entsprechende Schulungen sowie für die Überwachung und Kontrolle dieser Produkte herausgeben. Außerdem soll die Kommission bis zum 31. Dezember 2022 einen Aktionsplan zur Erreichung neuer oder überarbeiteter Arbeitsplatzgrenzwerte für 25 Stoffe, Stoffgruppen oder verfahrensbedingte Stoffe und gegebenenfalls Legislativvorschläge vorlegen. Die Mitgliedstaaten haben zwei Jahre Zeit zur Umsetzung in nationale Rechtsvorschriften.
Französische Agentur schlägt bessere Regulierung von Schadstoffen in Textilien und Schuhen vor
Die französische Umwelt- und Gesundheitsagentur ANSES (French Agency for Food, Environmental and Occupational Health & Safety) hat gemeinsam mit einer schwedischen Partnerinstitution Beschränkungen für über 1.000 Chemikalien in Kleidung und Schuhen auf europäischer Ebene vorgeschlagen, um die Sicherheit der Verbraucher:innen zu verbessern. Die aktuellen europäischen Verordnungen umfassen 12 Chemikalien und Chemikalienklassen, wie Chrom VI und Nickel, die als Hautallergene bekannt sind. Doch nach Erkenntnissen durch eigene Studien sei dies laut ANSES nicht ausreichend. In Übereinstimmung mit der REACH-Verordnung hat die Agentur in Zusammenarbeit mit Schweden für diese 1.000 Stoffe folgende Beschränkungen vorgeschlagen:
- Begrenzung der Mengen von Stoffen, die bekanntermaßen ein allergenes Potenzial haben, aber von keiner Verordnung erfasst werden;
- Verbot der Verwendung aller „Dispersionsfarbstoffe“, die insbesondere für Kunstfasern bestimmt sind. Diese Farbstoffe sind in der Tat häufig an Hautallergien beteiligt;
- Herabsetzung der Grenzwerte für Nickel und Chrom VI, die keinen ausreichenden Schutz bieten, da sie weiterhin Allergien auslösen können.
ANSES empfiehlt außerdem, alle Kleidungsstücke, die mit der Haut in Berührung kommen können, vor dem ersten Tragen zu waschen.
Mikroorganismen statt Pestizide? und kommende Verordnung zu Pestiziden
Die vier kürzlich von der EU-Kommission im Rahmen der Farm-to-Fork-Strategie vorgeschlagenen Rechtsakte zur Verwendung von Mikroorganismen wie Bakterien, Parasiten oder Viren im Pflanzenschutz (Fragen & Antworten) müssen von Parlament und Rat noch geprüft werden. Wenn diese keine Einwände erheben, werden die Rechtsakte angenommen und im vierten Quartal 2022 anwendbar sein. Der Umweltinformationsdienst ENDS hat das Thema Anfang März aufgegriffen und zitiert einen Sprecher von Greenpeace, der sich besorgt zeigte. Die Änderungen könnten dazu führen, dass die Konzentration auf dem Markt sich auf wenige Konzerne verstärke und das System der industriellen Landwirtschaft aufrechterhalten, statt in eine nachhaltige Agrarwende transformiert werde. Zudem sei es durch die neuen Rechtsakte auch möglich, gentechnisch veränderte Mikroorganismen zuzulassen.
Am 16. März hatten das Europäische Umweltbüro, CCFD Terre-Solidaire und SOS Faim Belgien mit Unterstützung der Grünen und der Linken im EU-Parlament eine Konferenz über die Rolle von Pestiziden in der Zukunft unserer Lebensmittelsysteme veranstaltet. Die Konferenzteilnehmer:innen aus Landwirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik forderten die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Gesundheit, Lebensmittelsysteme und die Umwelt zu schützen und den Einsatz von chemischen Pestiziden einzustellen. Pestizide seien weltweit in der Luft, im Wasser, im Boden und in den Lebensmitteln zu finden, hätten erhebliche negative Auswirkungen und seien außerdem eine Gefahr für die Menschenrechte. Die Konferenz fand kurz vor der für den 23. März erwarteten Veröffentlichung der Revision der Richtlinie über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUD) durch die Kommission statt. Vor zwei Wochen hatten mehr als 70 zivilgesellschaftliche Gruppen in einem Statement die Kommission aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Überarbeitung ehrgeizig genug ist und starke rechtsverbindliche Reduktionsziele enthält. Derzeit versuchten einige Lobbygruppen die Kriegsgräuel in der Ukraine zu nutzen, um die „Farm to Fork“-Strategie der EU-Kommission zum Scheitern zu bringen, die unter anderem darauf abzielt, den Einsatz und das Risiko chemischer Pestizide bis 2030 zu halbieren, kritisierte das EEB.
Frauen und Pestizide
Das Pestizid Aktions-Netzwerk PAN Deutschland hat anlässlich des Weltfrauentags am 8. März auf die Situation von Frauen im Globalen Süden aufmerksam gemacht. In Südasien seien fast 70 Prozent der erwerbstätigen Frauen und in Afrika südlich der Sahara mehr als 60 Prozent der erwerbstätigen Frauen in der Landwirtschaft tätig. 44 Prozent der Menschen, die weltweit in der Landwirtschaft arbeiten, erlitten jedes Jahr unbeabsichtigt akute Pestizidvergiftungen. Das seien 385 ungewollte Pestizidvergiftungen jährlich. Ein besserer Zugang von Frauen zu Land und Ressourcen, die Abkehr von der Abhängigkeit von chemisch-synthetischen Pestiziden und der Umstieg auf nachhaltige Alternativen förderten die Stärkung der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter, so PAN. Frauen seien aber auch „treibende Kraft für einen Wandel in der Landwirtschaft“ für mehr Nachhaltigkeit sowie der Minimierung von Pestizidschäden und Umweltzerstörung.
EEB: Hautaufheller enthalten immer noch verbotene Quecksilberanteile
Nach Recherchen des Europäischen Umweltbüros (EEB) und seiner Quecksilber-Arbeitsgruppe ZMWG (Zero Mercury Working Group) sind trotz Verbots und nachgewiesener Gesundheitsgefahren nach wie vor auf online-Plattformen quecksilberhaltige Hautaufhellungsprodukte (SLP) erhältlich. Partnerorganisationen in 17 Ländern mit Zugriff auf rund 40 Online-Plattformen hätten gezeigt, dass stark Hg-haltige Produkte verkauft werden: Von den 271 getesteten SLP wiesen 129 einen Quecksilbergehalt von über 1 ppm auf. Es bestehe ein dringender Bedarf an rechtlichen und programmatischen Reformen, um Verbraucher und ihre Familien besser vor unsicheren, illegalen und gefälschten Produkten zu schützen, so das EEB. [jg]
Rat: EU verstärkt Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor gefährlichen chemischen Stoffen
ANSES: Chemicals in textiles and footwear: a proposal for regulations that offer more protection
ENDS (kostenpflichtig): In-depth: How the EU plans to use microbes to slash pesticides use
EEB: Exposure to pesticides worldwide has clear human rights implications (eeb.org)
PAN: Frauen und Pestizide: Auf dem Weg zu Gleichstellung, Gesundheit und einer nachhaltigen Zukunft
EEB: Executive Summary – Skin lighteners still available online despite mercury findings
Seminarreihe: Chemiepolitische Mittagstalks
Das Forum Umwelt & Entwicklung lädt unter dem Motto „Für das Recht auf eine giftfreie Zukunft" zu einer Seminarreihe ein. Das Format der chemiepolitischen Mittagstalks findet statt:
Mittwochs | 12:30 bis 13:15 Uhr
28. April | 12. Mai | 19. Mai | 2. Juni | 16. Juni 2021