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EVP-Papier: Entbürokratisierung als Wirtschaftsstrategie
EU-News | 23.01.2025
#EU-Umweltpolitik #Klima und Energie #Landwirtschaft und Gentechnik #Wirtschaft

EVP-Papier: Entbürokratisierung als Wirtschaftsstrategie

(c) Christian Lue
© Christian Lue

Mit ihren Prioritäten für das Jahr 2025 stellt die Europäische Volkspartei (EVP) erneut das Thema Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt. Ihre Strategie: Entbürokratisierung. Doch bestehende Gesetze abzuschwächen ohne zukunftsfähige Alternativen aufzuzeigen, birgt nicht nur Risiken für Umwelt- und Sozialstandards, sondern auch für die Planungssicherheit von Unternehmen.

Ein Beitrag von Katharina Schuster, DNR

Vergangene Woche tagte die EVP-Parteienfamilie in Berlin. Im Anschluss an ihre Klausurtagung veröffentlichte sie gleich zwei Papiere. Unter dem Titel Boosting competitiveness, fighting illegal migration, and promoting security stellt die EVP ihre Prioritäten für 2025 vor. Neben der Bekämpfung illegaler Migration und Förderung der europäischen Sicherheit formuliert sie die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit als einen Schwerpunkt für 2025. Der europäische Binnenmarkt sei in den vergangenen 20 Jahren durch eine zu geringe Produktivitätsentwicklung in der EU und internationale Ereignisse wie Handelsblockaden und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie einer zunehmenden Überregulierung ins Stocken geraten. Zur Wiedererlangung der wirtschaftlichen Stärke Europas müsse die Europäische Union vor allem eins: sich in Selbstbeschränkung üben. In ihrem dreiseitigen „Entbürokratisierungspapier“ fordert die EVP einen umfassenden Abbau bestehender und die Vermeidung neuer Regulierungen. Zentrale Punkte des Papiers sind:

  • Die Implementierung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), der Taxonomie-Verordnung sowie des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) sollen für mindestens zwei Jahre pausiert werden. In dieser Zeit sollen diese Gesetze nur für Großunternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden gelten, Berichtspflichten reduziert und Überschneidungen beseitigt werden. 
  • Regulierungen in der Landwirtschaft und im Forstwesen sollen vereinfacht werden, insbesondere bei Themen wie Stilllegungsflächen und Pestiziden sowie bei der Umsetzung der EU-Entwaldungsverordnung
  • Rigorose Umsetzung des „One in, two out"-Prinzip: Für jede neue Regulierung sollen zwei bestehende abgeschafft werden.
  • Nationale Übererfüllungen von EU-Vorgaben („Gold-plating“) sollen gestoppt, die Umsetzung von EU-Richtlinien soll auf das Mindestmaß beschränkt bleiben.
  • Der Ausschuss für Regulierungskontrolle soll unabhängiger werden und verpflichtende Prüfungen zu Kohärenz, Bürokratie, Wettbewerbsfähigkeit und Subsidiarität durchführen. Gesetze sollen praxisnah gestaltet, Akteur*innen aus der Wirtschaft in die Bewertung neuer Vorschriften einbezogen werden.
  • Das Trilogverfahren soll reformiert werden hin zu mehr Transparenz und demokratischer Kontrolle bei Verhandlungen zwischen EU-Parlament, Kommission und Rat.
  • Umsetzung einfacherer und schnellerer Verfahren für das öffentliche Beschaffungswesen.

Während die EVP sich dabei als Treiberin der Entbürokratisierung inszeniert, bietet sie keine konkreten Alternativen an. Statt bestehende Richtlinien wie CSRD und CSDDD zu verbessern, setzt die EVP auf deren Aussetzung und eine Reduzierung der Berichtspflichten. Dies schafft Unsicherheit für Unternehmen, die langfristige Planungs- und Investitionsentscheidungen treffen müssen. Das wiederum gefährdet die Einhaltung von EU-Klimazielen und die Wettbewerbsfähigkeit auf lange Sicht. Forderungen nach einem „One in, two out“-Prinzip ignorieren die Komplexität moderner Gesetzgebung und bergen die Gefahr von regulatorischen Lücken. Dabei seien „Fortschritte beim Bürokratieabbau für eine wettbewerbsfähige, klimaneutrale EU wichtig“, sagt DNR-Geschäftsführer Florian Schöne. Allerdings dürfe Bürokratieabbau nicht als Deckmantel für Deregulierung dienen. „Vielmehr liegt der Schlüssel zur Beschleunigung und Entlastung in der Modernisierung, Digitalisierung und Vereinfachung von Verwaltungsprozessen.“

Klimaschutz unter Vorbehalt

Zwar unterstützt die EVP nach wie vor das Pariser Klimaabkommen und die europäischen Klimaziele. Zusätzliche Ziele für den Anteil erneuerbarer Energie am Energiemix werden aber abgelehnt. Mitgliedstaaten sollen selbst entscheiden können, mit welchen Technologien sie ihre Klimaziele erreichen wollen. Dabei sollen explizit auch Kernenergie, Wasserstoff, Bioenergie und CCS berücksichtigt werden. Die EVP bezeichnet ihren technologieoffenen Ansatz als „smart solutions, not ideological ones“, was in der Praxis Schlupflöcher für fossile und unsichere Energien öffnet und die wissenschaftliche Grundlage für die notwendige Stärkung sauberer Technologien zur Erreichung des Netto-Null-Ziels untergräbt. 

Wiederholt stellt die EVP heraus, dass klimapolitische Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit der EU nicht gefährden dürften. Andernfalls drohten Deindustrialisierung, Carbon Leakage und der Verlust der Unterstützung der Europäer*innen. Diese Haltung verkennt, dass die EU nur durch ambitionierte Klimapolitik langfristig wettbewerbsfähig bleiben kann und die sozial-ökologische Transformation das Potenzial hat, mehr Wohlstand für alle zu schaffen. Immerhin: Die EVP wird am EU-Emissionshandelssystem (ETS) als „einfaches und effizientes marktbasiertes System, um mehr Effizienz zu fördern und CO₂-Emissionen zu reduzieren“ nicht rütteln, spricht sich jedoch gegen zusätzliche Maßnahmen wie bspw. eine Sanierungspflicht für Hausbesitzer*innen aus. Stattdessen fordert sie angesichts steigender Energiepreise, einen größeren Anteil der ETS-Einnahmen zur Unterstützung energieintensiver Industrien und Technologien wie grünem Wasserstoff und CCS einzusetzen. Zudem soll die Automobilindustrie von Strafzahlungen bei Nichterfüllung der Emissionsziele 2025 verschont bleiben.

Weitere industriepolitische Forderungen:

  • Entwicklung einer neuen europäischen Industriepolitik, die alle strategischen Sektoren wettbewerbsfähig macht (z.B.  Auto-, Stahl- und Chemieindustrie)
  • Beseitigung rechtlicher Barrieren, um Forschung und Innovation zu fördern. Dazu soll ein „fünftes Grundfreiheitsprinzip“ im Binnenmarkt geschaffen werden: freie Bewegung von Forschung und Innovation 
  • Europa soll sich als global führendes Innovationszentrum positionieren, indem Forschung und Entwicklung in Bereichen wie unter anderem Kreislaufwirtschaft und Biotechnologie priorisiert und rechtliche sowie finanzielle Rahmenbedingungen verbessert werden.
  • Investitionen in Energieversorgungsdiversifikation, um die Energiesicherheit zu stärken 
  • Binnenmarkt stärken, indem ein level playing field geschaffen wird

Rückabwicklung statt Verantwortung

In ihrem Papier stellt sich die EVP als Vorkämpferin für die „Entlastung unserer Landwirte“ dar und nennt vor allem die Verzögerung der Entwaldungsverordnung und die Abschwächung der Verordnung über die Wiederherstellung der Natur als eine ihrer Erfolge. Um Landwirtschaftsbetriebe weiter zu entlasten, fordert die EVP unter anderem:

  • Überarbeitung der Richtlinie zu unlauteren Handelspraktiken, um faire Preise für landwirtschaftliche Produkte sicherzustellen. Landwirt*innen sollen für ihren Einsatz zur Erhaltung unseres Ökosystems honoriert werden, statt dafür kritisiert zu werden. 
  • Überprüfung des Schutzstatus von Wölfen in der Habitat-Richtlinie.
  • Begleitung des Mercosur-Abkommens durch Maßnahmen, die die Anliegen von Landwirt*innen und betroffenen Sektoren berücksichtigen.
  • Außerdem soll die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Fischereisektors durch eine Überarbeitung der Gemeinsamen Fischereipolitik gewährleistet werden, nachhaltige und gesunde marine Ökosysteme erhalten werden.

Die EVP betont außerdem die Notwendigkeit, die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern, und fordert die Entwicklung sowie Implementierung von Präventions- und Schutzmechanismen gegen Naturkatastrophen. Zudem soll die europäische Katastrophenschutz- und Notfallkapazität gestärkt werden, um klimabedingte Risiken effektiver bewältigen zu können. Unter dem Aspekt der sozialen Sicherheit spricht sich die EVP für eine Initiative aus, die nachhaltiges und erschwingliches Wohnen in Europa fördert.

Elena Hofmann
Die EU-Kommission muss mit ihrem für Ende Februar geplanten Vorschlag zur Entbürokratisierung dafür Sorge tragen, dass mithilfe von Modernisierung und Digitalisierung von Verwaltungsprozessen unsere Wirtschaft und Verwaltung beschleunigt und entlastet wird. Der Abbau von Umwelt- und Sozialstandards darf nicht dazugehören.
Elena Hofmann, DNR
Kommissarische Koordinatorin für EU-Politik

Für eine starke EU: Wettbewerbsfähigkeit durch Stabilität und Modernisierung

Während die EVP versucht, sich als Motor der Wettbewerbsfähigkeit zu präsentieren, verfolgt sie Ansätze, die mehr Unsicherheit schaffen als Probleme lösen. Die Aufweichung wichtiger Gesetze und der Fokus auf kurzfristige Interessen gefährden die langfristige Stabilität und Zukunftsfähigkeit der EU: Unternehmen benötigen klare und langfristige politische Vorgaben, um Investitionen und Geschäftsstrategien zu entwickeln. Wenn die Politik ihre Linie ständig ändert, werden Entscheidungen aufgeschoben oder riskant. Ständiges Anpassen an neue Vorgaben oder das Zurückdrehen von Regelungen verursacht zusätzliche Kosten und bindet Ressourcen, die in Innovation oder Wachstum fließen könnten. Langfristig führt so ein Politikstil dazu, dass Unternehmen das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort EU verlieren und sie ihre Investitionen in andere Regionen mit stabileren Rahmenbedingungen verlagern. Dies schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der EU, gefährdet Arbeitsplätze, Innovationskraft und die wirtschaftliche Entwicklung in Europa. Statt pauschaler Ablehnung von Regulierung braucht es durchdachte, konstruktive Ansätze, die Unternehmen und Gesellschaft gleichermaßen zugutekommen. „Die EU-Kommission muss mit ihrem für Ende Februar geplanten Vorschlag zur Entbürokratisierung dafür Sorge tragen, dass mithilfe von Modernisierung und Digitalisierung von Verwaltungsprozessen unsere Wirtschaft und Verwaltung beschleunigt und entlastet wird“, fordert Elena Hofmann, Kommissarische Koordinatorin für EU-Politik beim DNR. Abbau von Umwelt- und Sozialstandards dürfe nicht dazugehören.

 

EVP: Prioritäten für 2025 [eng]

EVP: "Entbürokratisierungspapier" [eng]

DNR: Forderungspapier zur europäischen Industriepolitik

DNR-Pressestatement: EVP-Gipfel in Berlin: Bestehende Umwelt- und Sozialstandards müssen geschützt werde

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