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Vision für Landwirtschaft und Ernährung – mehr Rückschritt als Zukunftsstrategie
EU-News | 21.02.2025
#EU-Umweltpolitik #Landwirtschaft und Gentechnik

Vision für Landwirtschaft und Ernährung – mehr Rückschritt als Zukunftsstrategie

Rinder auf Weide
© Leon Ephraïm

EU-Agrarkommissar Christophe Hansen hat seine Vision für die Zukunft der europäischen Landwirtschaft vorgestellt. Während die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) in den vergangenen Jahren zunehmend auf Nachhaltigkeit und Umweltverpflichtungen ausgerichtet werden sollte, markiert Hansens Vorschlag eine Abkehr von dieser Stoßrichtung. Statt verbindlicher Umwelt- und Klimaziele nach dem Prinzip „Geld gegen Leistung“ setzt die Vision auf freiwillige Maßnahmen, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau. Umweltverbände befürchten Rückschritte und warnen vor einer Abschwächung ökologischer Standards.

Was steht in der Agrarvision?

Förderung von Landwirt:innen und Betrieben:  Ein zentraler Bestandteil von Hansens Vision ist die Stärkung der Marktstellung von Landwirt:innen, insbesondere von jungen und kleinen Betrieben. Die Kommission will 2025 eine Strategie für den Generationswechsel in der Landwirtschaft vorlegen, um den Zugang zu Land und Kapital für junge Landwirt:innen zu erleichtern. Dies soll verhindern, dass immer weniger junge Menschen in die Landwirtschaft einsteigen und das Höfesterben weiter voranschreitet. Eine weitere Maßnahme zur Unterstützung von Landwirt:innen ist die geplante Einrichtung einer Beobachtungsstelle für Agrarland, die für mehr Transparenz auf dem Bodenmarkt sorgen soll. Da es für junge Bäuerinnen und Bauern immer schwieriger wird, Land zu erwerben, soll die Kommission damit zumindest eine bessere Datenbasis schaffen.

Zudem sollen Landwirt:innen besser vor unfairen Marktpraktiken geschützt werden. Die Kommission kündigt an, Praktiken zu unterbinden, die Produzent:innen dazu zwingen, ihre Waren unter Produktionskosten zu verkaufen. Damit will Hansen die Einkommenssicherheit in der Landwirtschaft erhöhen und den Druck auf kleine Betriebe verringern.

Reform der Agrarsubventionen nach 2027:  Festgehalten werden soll an den Direktzahlungen. Zugleich sollen Maßnahmen wie Degression und Kappung bei Großbetrieben stärker in Erwägung gezogen werden. Dabei sollen die unterschiedlichen strukturellen und sektoralen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten berücksichtigt werden.  

Zudem plant die Kommission den Ausbau freiwilliger Ökoregelungen, bei denen Landwirt:innen aus einem Maßnahmenkatalog wählen können, welche nachhaltigen Praktiken sie umsetzen möchten. Umweltauflagen, die bisher mit der Direktförderung verknüpft waren, könnten hingegen gelockert oder abgeschafft werden. Besonders die sogenannten GLÖZ-Standards, die Mindestanforderungen für Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft festlegen, stehen zur Debatte.

Eine weitere geplante Änderung betrifft die Vereinfachung der Konditionalität der Direktzahlungen, die bereits für das zweite Quartal 2025 angekündigt wurde. Damit soll der bürokratische Aufwand für Landwirt:innen verringert werden. 

Hansen setzt in seiner Agrarvision stark auf die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten. Anstatt EU-weite Vorgaben zu erlassen, sollen die einzelnen Länder künftig mehr Freiheiten bei der Ausgestaltung ihrer Agrarförderungen erhalten. Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen sollen weniger durch verpflichtende Regulierungen, sondern verstärkt durch freiwillige Anreize umgesetzt werden. Die Landwirt:innen sollen selbst aus einem Maßnahmenkatalog auswählen können, welche Nachhaltigkeitsmaßnahmen sie für ihren Betrieb als sinnvoll erachten.

Pestizide und Umweltauflagen: Ein besonders kontrovers diskutierter Punkt ist der Umgang mit verbotenen Pestiziden. Ursprünglich geplant war ein vollständiges Verbot des Exports von Pestiziden, die in der EU nicht zugelassen sind, sowie eine strikte Kontrolle, um deren indirekte Rückkehr über importierte Lebensmittel zu verhindern. Im finalen Dokument wurde diese Formulierung jedoch deutlich abgeschwächt. Statt eines Verbots spricht die Kommission nun lediglich davon, die „Frage zu prüfen“.

Ernährungspolitik und Tierwohl:  In der Agrarvision fehlen weitgehend Maßnahmen zur Förderung nachhaltiger Ernährungsweisen. Obwohl wissenschaftliche Studien belegen, dass eine Reduktion des Fleisch- und Milchkonsums sowohl aus ökologischer als auch aus gesundheitlicher Sicht wünschenswert wäre, sieht Hansens Vision keine entsprechenden Maßnahmen vor. Im Bereich des Tierwohls gibt es jedoch einige Fortschritte. Die Kommission plant, bestehende Regeln zum Schutz von Nutztieren zu überarbeiten und insbesondere die Käfighaltung schrittweise abzuschaffen

Internationale Abhängigkeiten und strategische Autonomie: Ein weiterer Punkt in Hansens Vision ist die Stärkung der europäischen Landwirtschaft, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern. Besonders bei Futtermitteln und Düngemitteln soll Europa weniger auf Importe angewiesen sein.

Freiwilligkeit statt Umweltverpflichtung

Hansens Vision ist eine deutliche Abkehr von den Zielen des Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie. Statt agrarökologischen Methoden, einer umfassenden Reduktion von Pestiziden und verbindlichen Klimaschutzmaßnahmen setzt Hansen auf freiwillige Initiativen und lässt ambitionierte Umweltziele weitgehend außen vor. Dabei benötigt die EU in Zeiten von Klimakrise, Artensterben und geopolitischen Unsicherheiten eine kohärente Agrar- und Ernährungspolitik, die nicht allein wirtschaftliche Interessen, sondern gleichermaßen Naturschutz, Klimaschutz und die Zukunft ländlicher Räume im Blick behält.

Das European Environmental Bureau (EEB), Europas größtes Netzwerk von Umweltorganisationen, empfindet Hansens Vision daher als „verpasste Chance für eine echte Transformation“ der Landwirtschaft. Es bemängelt vor allem das Fehlen konkreter Umweltmaßnahmen und kritisiert, dass wichtige Elemente wie verbindliche Pestizidreduktionen nicht umgesetzt werden. Nach Ansicht des EEB gehen die Pläne „weit hinter bereits erzielten Kompromissen“ zurück und führen zu einem Stillstand oder gar Rückschritt in Sachen Klimaschutz und Erhalt der Biodiversität. 

Auch BirdLife International kritisiert, dass die Vorschläge Hansens die Fortsetzung eines Systems sind, das den Rückgang der Artenvielfalt in Europas Agrarlandschaften befördert. Aus Sicht der Naturschutzorganisation ist es dringend nötig, verbindliche Naturschutzziele in alle Teile der Agrarpolitik zu integrieren. Die geplante „Vereinfachung“ könne zu einer weiteren Erosion von Umweltstandards führen. BirdLife fordert stattdessen zielgerichtete Zahlungen für Betriebe, die wirklichen Mehrwert für Biodiversität, Bodengesundheit und Wasserqualität leisten. 

Dass eine lockere, freiwillige Ausgestaltung der Umweltauflagen die ökologische Transformation der Landwirtschaft nachhaltig ausbremst, befürchtet auch der NABU. Angesichts knapperer EU-Agrargelder sei es umso wichtiger, die vorhandenen Mittel gezielt für Natur- und Klimaschutz einzusetzen.

„Farm-to-Fork-Strategie faktisch beerdigt“

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft begrüßt, dass Hansen unfaire Handelspraktiken unterbinden und eine gerechtere Verteilung der Agrargelder anstreben will. Gleichzeitig warnt sie, dass die starke Betonung der globalen Wettbewerbsfähigkeit sozialen und ökologischen Fortschritten im Weg stehen könnte. Aus ihrer Sicht wird zudem Ernährungspolitik zu wenig berücksichtigt: Landwirtschaft und Ernährung müssten weit enger verzahnt werden, um regionale Wertschöpfung und handwerkliche Lebensmittelverarbeitung zu stärken. 

Martin Häusling, Grünen-Abgeordneter und Mitglied im Agrar- und Umweltausschuss des Europäischen Parlaments sieht in Hansens Vision einen besorgniserregenden Paradigmenwechsel. Er konstatiert, dass „die Farm-to-Fork-Strategie faktisch beerdigt“ werde, obwohl sie als erste umfassende Politikinitiative die gesamte Ernährungskette in den Blick nahm. Häusling bemängelt, dass Hansen Ertragsmaximierung und globale Wettbewerbsfähigkeit in den Fokus stellt und dabei sowohl den Klimawandel als auch das Artensterben nur als Randnotizen erwähnt. Er wirft Hansen vor, „drei GAP-Generationen Ökologisierung in den Wind“ zu schlagen und Bürokratieabbau als Vorwand zu nutzen, um Umweltstandards abzubauen. [ks] 

 

EU-Kommission: Hansens Agrarvision für Landwirtschaft und Ernährung
EEB: EU-Farm-Vision lacks vision
NABU: EU-Agrarpolitik bis 2040: Positive Bilanz für Haushalt, Natur und Klima
BirdLife International: EU agriculture vision goes rogue
AbL: EU-Landwirtschafts-Vision rückt Gerechtigkeit in den Fokus
Martin Häusling: Fataler Kurswechsel in der EU-Agrar- und Ernährungspolitik

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