Die Verkehrswende beginnt im Wohnquartier
Lebenswert und zukunftsfähig: Für eine klima-, sozial- und ressourcengerechte Mobilität im Wohnquartier – so lässt sich das Grundanliegen der Charta „Intelligente Mobilität im Wohnquartier“ zusammenfassen. Auf Initiative des ökologischen Verkehrsclubs VCD versammeln sich unter dem Dach der Charta bereits fast 170 Akteur*innen, die erkannt haben: Der Handlungsbedarf im Bereich nachhaltiger wohnortnaher Mobilität ist groß und nur gemeinsam können wir etwas bewirken.
„Warum soll sich die Wohnungswirtschaft überhaupt mit Mobilität beschäftigen?“ Ganz einfach: Unser Mobilitätsverhalten wird sich in Zukunft stark verändern. Besonders im urbanen Raum ist der Trend zu mehr Rad- und Fußverkehr und zur Nutzung von Sharing-Angeboten längst sichtbar. Dafür müssen Investitionen in Bestandsgebiete und der Neubau von Wohnquartieren so geplant werden, dass sie den Mobilitätsanforderungen der Bewohner*innen auch in den nächsten Jahrzehnten noch gerecht werden.
Gleichzeitig gehören Klimaschutz und die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu unseren drängendsten Aufgaben. Das haben Extremwetterereignisse wie das Jahrhundert-Hochwasser 2021 oder die Dürren der Jahre 2018–2020 und 2022 verdeutlicht. Während die Treibhausgasemissionen in vielen Sektoren in den letzten 30 Jahren bis zu 55 Prozent reduziert wurden, verharren sie im Verkehrsbereich seit 1990 auf unverändert hohem Niveau. Um das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 zu erreichen, ist es daher dringend notwendig, die CO2-Emissionen auch im Verkehrssektor massiv zu verringern.
Dafür braucht es eine konsequente Verkehrswende und die beginnt genau dort, wo drei Viertel unserer Wege starten: vor der eigenen Haustür. Denn hier treffen wir jeden Tag eine wichtige Entscheidung: Mit welchem Verkehrsmittel komme ich am besten ans Ziel? Steige ich ins Auto oder nutze ich Bus, Bahn, das Fahrrad, Sharing-Angebote oder gehe ich zu Fuß? Eine gute Wahl können wir aber nur dann treffen, wenn Alternativen zum klimaschädlichen Auto einfach und bequem verfügbar sind.
Gemeinsam mit seinem bundesweiten Netzwerk aus Wohnungsunternehmen und -genossenschaften, Städten und Gemeinden, Mobilitätsbranche, Architektur und Planung hat der VCD daher die Charta „Intelligente Mobilität im Wohnquartier“ auf den Weg gebracht. Sie beschreibt ein Leitbild und Grundprinzipien, die in das Handeln der Wohnungsmarktakteure und der öffentlichen Hand einfließen sollen. Sie zeigt Maßnahmen auf, die intelligente Mobilität im Wohnquartier Wirklichkeit werden lassen. Und sie formuliert Forderungen an Bund und Länder, um das Leitbild in die Tat umzusetzen.
Ziele der Charta: Bus, Bahn und Sharing stärken
Die Unterzeichnenden wollen die Lebensqualität und soziale Teilhabe in den Wohnquartieren erhöhen und dazu den Umweltverbund – also den Fuß- und Radverkehr sowie den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) – und Sharing-Angebote stärken. Denn nur wenn Bus, Bahn und Sharing-Dienste niederschwellig und kostengünstig sind, können Bürger*innen ihr Mobilitätsverhalten ändern und sie optimal in ihren Alltag integrieren.
Ein weiteres Ziel der Unterzeichnenden ist, auf kommunaler und regionaler Ebene zu kooperieren. Gemäß dem Motto: Partnerschaftliche Zusammenarbeit aller beteiligten Akteur*innen führt zu besseren Lösungen. Die Erfahrungen einiger Beteiligter zeigen bereits, dass das Bekenntnis zu einem gemeinsamen Leitbild die Abstimmungen zwischen Kommune und Wohnungswirtschaft erleichtert.
Die Charta setzt sich außerdem dafür ein, Flächen- und Kostengerechtigkeit für eine intelligente Mobilität herzustellen und diese bei der Gestaltung von Steuern, kommunalen Abgaben und Gebühren umzusetzen. Dazu gehört auch, Wohnungsbau- und Stellplatzkosten sowie die entsprechenden Mieten getrennt zu betrachten. Darüber hinaus sollen nachhaltige Mobilitätsangebote künftig genauso selbstverständlich zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehören wie Schulen oder Krankenhäuser.
An die Länder appellieren die Unterzeichnenden der Charta, wo notwendig die Landesbauordnungen anzupassen: Intelligente Mobilitätsmaßnahmen müssen als gleichwertig zum Auto anerkannt werden und Stellplatzbauverpflichtungen zugunsten nachhaltiger Mobilitätsangebote reduziert werden können. Der Bund wird aufgefordert, Förderprogramme für Stadtentwicklung und Wohnungsbau um den Aspekt der nachhaltigen Mobilität zu erweitern. Zum Beispiel soll der Bund eine Mobilitätsberatung für Wohnquartiere einführen, die der Energieberatung für Wohngebäude gleichgesetzt ist.
Die Charta auf einen Blick
Das Leitbild und die Grundprinzipien
- Integrierte Planung
- Partizipation, Kooperation und Kommunikation
- Nachhaltige, gerechte, sichere Mobilität
Die Maßnahmen
- Wir schaffen ein attraktives, fuß- und radverkehrsfreundliches Wohnumfeld
- Wir ermöglichen einen leichten Zugang zum Öffentlichen Verkehr
- Wir bauen die E-Mobilität, Sharing-Modelle und Mobilitätsstationen aus
- Wir setzen auf autoreduziertes Wohnen
- Wir verankern die intelligente Mobilität institutionell und rechtlich
Forderungen an Bund und Länder
- Vorrang des Autoverkehrs überwinden
- Sicherheit erhöhen, Fuß- und Radverkehr stärken
- Bus- und Bahnanbindungen für alle schaffen
- E-Mobilität, Sharing-Angebote und Mobilitätsstationen fördern
- Intelligente Mobilität in Wohnquartieren fördern
- Den ländlichen Raum bei der Transformation unterstützen
Seit der Veröffentlichung der Charta „Intelligente Mobilität im Wohnquartier“ im November 2022 haben sich fast 170 Akteur*innen aus Wohnungswirtschaft, Kommunen, Mobilitätsbranche, Architektur, Planung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft durch die Mitzeichnung zu den Zielen der Charta bekannt.
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Die Autorin
Nicola Krettek ist Diplom-Ingenieurin und Stadtplanerin. Seit 2020 leitet sie das Projekt „Bundesweites Netzwerk Wohnen und Mobilität“ des VCD.