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Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
News | 27.11.2023
#Klima und Energie #Wirtschaft

Ein unbezahltes Paket

Strommast
© Pixabay
Hochspannungsmast

Der Industriestrompreis, wie er ursprünglich geplant war, ist vom Tisch. Stattdessen verspricht die Bundesregierung im sogenannten Strompreispaket zwölf Milliarden Euro Finanzhilfe für alle produzierenden Unternehmen. Vor allem durch die Senkung der Stromsteuer würden die Stromkosten für diese Betriebe auf sechs bis acht Cent pro Kilowattstunde sinken. Über die Chancen und Schwachstellen des Vorschlags sprechen wir im Interview mit Simon Wolf von Germanwatch.

Das Bundesverfassungsgericht hat Mitte November die Verschiebung von 60 Milliarden nicht genutzter Coronahilfen in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) für rechtswidrig erklärt. Der Großteil (9,25 Milliarden) der im Strompreispaket vorgesehenen zwölf Milliarden Euro Entlastung sollte allein 2024 aus dem KTF fließen. Was nun?

Grundsätzlich ist es richtig –das haben wir auch schon vor dem Urteil des Verfassungsgerichts gesagt – dass das Strompreispaket oder die geplante Strompreisbrücke nicht aus dem KTF finanziert wird, weil der Fonds Klimaschutz und Transformation finanzieren soll. Das tun diese Industriestrompreisinstrumente nicht. Wir können jetzt versuchen auszurechnen, ob sie ein bisschen mehr in Richtung Transformation wirken oder ein bisschen mehr dagegen. Das ist aber Kaffeesatzlesen. Industriepolitisch lässt sich durchaus begründen, warum es diese Unterstützung geben sollte, aber die Bundesregierung muss dann auch einen Weg für die Finanzierung finden, der verfassungskonform ist, und sie darf das Geld nicht von Klimaschutzmaßnahmen abziehen.

Ist es sinnvoll, Firmen, die im internationalen Wettbewerb stehen und enorm viel Energie verbrauchen, finanziell zu unterstützen, damit sie ihre Produktion nicht ins Ausland verlagern, wo der Strom billiger ist?

Aus industriepolitischer Sicht ist es nachvollziehbar, weil dadurch viele gute Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Deutschland erhalten werden können und das immer einfacher ist, als neue anzusiedeln. Aus unserer Sicht ist es aber nur dann sinnvoll, wenn erstens damit verbunden ist, dass diese Industrien so schnell und weitreichend wie möglich transformieren und die Bundesregierung dann auch die Rahmenbedingungen und finanzielle Unterstützung bereitstellt, die dafür notwendig sind. Zweitens müsste sichergestellt sein, dass das wirklich nur eine vorübergehende Unterstützung ist: Dazu müsste man nochmal genau schauen, wie schnell und bei welchen Strompreisen welche Branchen in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Das lässt sich gar nicht so einfach sagen. Wenn die Bundesregierung bei den Unterstützungsmaßnahmen bleibt, müsste sie das genauer klären und dann zielgerichtet handeln: Welche Branchen brauchen welche Unterstützung? Denn das Strompreisniveau muss sicherlich nicht genauso niedrig sein wie in anderen Ländern.

Von einer Senkung der Stromsteuer, die im Reformpaket des Energiewirtschaftsgesetzes enthalten ist, profitieren alle Betriebe, die etwas herstellen, und auch die Land- und Forstwirtschaft. Was ist der Haken?

Aus unserer Sicht ist der Haken, dass es einfach keinen triftigen Grund dafür gibt. Die Strompreisunterstützungen sind nur da sinnvoll, wo Unternehmen aufgrund des Strompreises erwägen, ob sie in Deutschland oder Europa bleiben oder abwandern, und ob sie ihre nächste Investitionsentscheidung an einem anderen Standort treffen. Das ist bei vielen Unternehmen, von denen wir hier sprechen, nicht der Fall. Es gibt gute Gründe, dass Unternehmen in Zukunft stärker Strom nutzen sollen statt Gas, beispielsweise in der Wärmeversorgung, aber das wird durch die Senkung der Stromsteuer zumindest nicht effizient angereizt. Da gäbe es schlauere Instrumente. Es gibt also keinen Grund, die Stromsteuersenkung so auszuweiten – das ist in unseren Augen zu sehr Prinzip Gießkanne.

Simon Wolf
Aus unserer Sicht ist das Wichtigste, dass jedes Unternehmen – zumindest die energieintensiven, wo die Unterstützung ja wesentlich umfangreicher ist – einen klaren und verbindlichen Fahrplan zur Klimaneutralität hat.
Simon Wolf, Germanwatch
Leiter Deutsche und Europäische Klimapolitik

Im ursprünglichen Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck waren finanzielle Zuschüsse an Bedingungen geknüpft, etwa Standortsicherung, Tariflöhne oder Investitionen in eine energiesparende Produktion. Die fehlen im jetzt vorliegenden Entwurf. Welche Maßnahmen sind erforderlich für eine echte klimagerechte Transformation?

Dass das jetzt fehlt, ist besonders bitter, weil es in der Vergangenheit immer wieder versprochen worden ist bei Instrumenten zur finanziellen Unterstützung der Industrie. Deshalb ist es jetzt wichtig, schnell die politische Grundlage dafür zu erarbeiten. Man könnte auf Transformationspläne zurückgreifen – da wird im Rahmen des Lieferkettengesetzes der EU daran gearbeitet, das verbindlich zu machen. Und im Bundeswirtschaftsministerium läuft ein Prozess für einen Standard für klimaneutrale Unternehmen mit verschiedenen Stufen. Daran könnte man eine finanzielle Unterstützung koppeln. Aus unserer Sicht ist das Wichtigste, dass jedes Unternehmen – zumindest die energieintensiven, wo die Unterstützung ja wesentlich umfangreicher ist – einen klaren und verbindlichen Fahrplan zur Klimaneutralität hat. Ohne diese Grundlage sollte eine Unterstützung in dieser Art nicht mehr gezahlt werden.

Habeck spricht von einer „Strompreisbrücke“: Sind die Vorschläge wirklich geeignet für einen Übergang auf dem Weg von der fossilen Energieversorgung hin zu einer erneuerbaren Zukunft?

Wenn wir uns tatsächlich auf die stromintensive Industrie beschränken, kommt es darauf an, ob sich die Strompreise für die Industrie in einem absehbaren Zeitraum in eine Richtung entwickeln, dass sie dann noch wettbewerbsfähig sind. Wie schon gesagt, ist es aus unserer Sicht nicht nötig, dass der Strom genauso günstig ist wie an manchen anderen Standorten, weil Deutschland in vielerlei Hinsicht ganz hervorragende Standortbedingungen bietet– denken Sie nur an das Ausbildungssystem und die Forschungslandschaft. Die entscheidende Frage ist: Können diese Unternehmen nach 2030 ohne finanzielle Unterstützung bestehen? Verschiedene Studien kommen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das müsste die Bundesregierung genau prüfen und wenn klar ist, dass das nicht bis spätestens 2030 der Fall ist, dann ist diese Unterstützung gesellschaftlich nicht sinnvoll. 

Was bedeuten die Pläne für die Energiewende?

Für die Energiewende werden diese Instrumente erstmal keinen Beitrag leisten, sie sind aber auch nicht notwendigerweise negativ. Insgesamt ist es sinnvoll, dass die Industrie in Zukunft mehr Strom verwendet, weil viele Prozesse damit deutlich emissionsärmer und letztlich klimaneutral gestaltet werden können. Das gilt sowohl für die energieintensiven Prozesse, wo das über die direkte Elektrifizierung oder den Umweg Wasserstoff erfolgt, als auch bei vielen weiteren Branchen, die ihre Wärme in Zukunft am effizientesten durch Wärmepumpen produzieren können und nicht mehr durch fossile Brennstoffe. Entscheidend ist, den Unternehmen Anreize für diese Umstellungen zu geben und dafür, selbst in erneuerbare Energien zu investieren. Der Aspekt war im ursprünglichen Konzept des BMWK vorgesehen und fehlt jetzt. Und damit auch der Anreiz, die Energiewende selbst voranzubringen.

Kommen die geplanten Entlastungen für das produzierende Gewerbe auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern zugute?

Eher im Gegenteil, es sind ja keine Entlastungen für die privaten Stromkunden vorgesehen. Wir werden erstmal die Mehrbelastung tragen müssen, die dadurch entstehen, und es ist immer schwer zu prognostizieren, wie viel von den Entlastungen tatsächlich an die Kundinnen und Kunden weitergegeben wird. Letztendlich ist das industriepolitische Argument, dass der Erhalt von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen unterm Strich der Gesellschaft zugutekommt. Aber für besonders betroffene Haushalte muss geprüft werden, ob sie ebenfalls Entlastungen benötigen.

Wie reduzieren Sie persönlich Ihren Energieverbrauch und senken Ihre Kosten?

Ich habe das Glück, dass ich fast alle meine Wege mit dem Fahrrad zurücklegen kann, da muss ich mir an dieser Stelle über meine Energiebilanz keine Gedanken machen. Und für die Wintermonate im Homeoffice haben wir unsere irischen Schafwolldecken sehr schätzen gelernt, damit sparen wir hoffentlich beim Heizen etwas ein.

Das Interview führte Marion Busch.

Der Interviewpartner

Dr. Simon Wolf leitet bei Germanwatch zusammen mit Oldag Caspar den Bereich Deutsche und Europäische Klimapolitik. Seine Schwerpunkte sind die deutsche Klimapolitik, Industrie-Transformation, Energie-Transformation sowie nachhaltige Digitalisierung.

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