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EU-Kreislaufwirtschaft zwischen Ambition und Umsetzung
EU-News | 14.06.2024
#Kreislaufwirtschaft

EU-Kreislaufwirtschaft zwischen Ambition und Umsetzung

Aufgeklappter Laptop mit Recycling-Pfeile-Symbol in grün, zwei tippende Hände, im Hintergrund Pflanzen
© AdobeStock / Usama
Gastbeitrag von Bettina Bahn-Walkowiak, Wuppertal Institut

Mit dem europäischen Grünen Deal hat die Europäische Union (EU) ein umfangreiches Paket von Visionen, Zielen, Maßnahmen, Innovationspfaden und Zukunftstechnologien vorgelegt. Dabei ist der Grüne Deal als die neue nachhaltige Wachstumsstrategie der EU konzipiert. Eine ihrer wichtigsten Säulen ist der Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy Action Plan, CEAP), der 2020 in Kraft trat. Was ist vom CEAP und anderen EU-Maßnahmen zu erwarten und wie werden sie in den Mitgliedstaaten umgesetzt?

Zunächst einmal darf man natürlich fragen, ob eine Wachstumsstrategie ein geeigneter Ansatz für eine Kreislaufwirtschaft ist, und wenn ja, ob die Kreislaufwirtschaftsstrategie dann nicht sehr genau spezifizieren müsste, was wachsen darf und was nicht. Schließlich führt wachsender Konsum noch immer zu wachsenden Stoffströmen und Abfällen. Der CEAP spezifiziert das aber nicht. Mit 35 Maßnahmen und Rechtsakten legt er das weitere Vorgehen fest und soll als Leitfaden für den Übergang zu einem neuen Wirtschaftsmodell dienen. Die zentralen Bereiche sind Bau und Gebäude, Lebensmittel, Kunststoffe, Wasser und Nährstoffe, Verpackungen, Batterien und Fahrzeuge, Textilien und Elektronik. Es geht um die Etablierung nachhaltiger Produktions- und Verbrauchsmuster, die möglichst lange Erhaltung des wirtschaftlichen Wertes von Produkten, Stoffen und Ressourcen, die Verkleinerung des Materialfußabdrucks der EU und die Verdopplung des Anteils im Kreislauf gehaltener Materialien bis 2030.

Hindernisse trotz gemeinsamer Marschrichtung

Eine von der Europäischen Umweltagentur beauftragte Studie über die Umsetzung der Kreislaufwirtschaftspolitik auf nationaler Ebene stellt fest, dass inzwischen eine beträchtliche Anzahl von nationalen Strategien, Fahrplänen und Aktionsplänen für die Kreislaufwirtschaft in 23 EU-Mitgliedstaaten auf den Weg gebracht wurde [1]. Die Studie zeigt jedoch auch, dass die Länder über große institutionelle Herausforderungen bei der Entwicklung von Strategien für die Kreislaufwirtschaft berichten, insbesondere was die nationale Konsensbildung und die anschließende Entwicklung und Umsetzung konkreter Maßnahmen auf den nachgeordneten politischen Ebenen betrifft. Eine Kreislaufwirtschaftsstrategie wird daher oft als Ausgangspunkt betrachtet, dem eine umfassendere Einbeziehung der Stakeholder und ein nationaler Interessenausgleich folgen müssen. Von einem übergreifenden Konsens kann nicht ausgegangen werden. Zwar besteht Einigkeit über die allgemeine Marschrichtung, doch gibt es eindeutige Interessenkonflikte auf allen Ebenen, die eine Umsetzung behindern. Vor allem die Städte und Regionen stehen aufgrund ihrer alltäglichen linearen Infrastrukturen bei gleichzeitig weit verbreiteten engen finanziellen Spielräumen vor großen Herausforderungen. Der Europäische Rechnungshof stellt ernüchternd fest, dass der CEAP bisher in den Mitgliedstaaten kaum echte Auswirkungen gezeigt habe.

Progressive Ansätze mit vielen „Aber”

Die Circular Economy Politik der EU hat aber auch progressive Ansätze. Es werden klare Weiterentwicklungen angelegt, die für eine Kreislaufwirtschaft sehr wesentlich sind, zum Beispiel das Recht auf Reparatur und die Öko-Design-Richtlinie und das Augenmerk wird auf wichtige große Materialströme gelegt, zum Beispiel Bauen und Gebäude und mit den notwendigen energetischen Sanierungen kombiniert. Die Hervorhebung von einzelnen Sektoren birgt aber die Gefahr, wichtige andere Bereiche unadressiert zu lassen oder wichtige Wechselwirkungen zu vernachlässigen. Beispielsweise wird im Bereich Lebensmittel der Schwerpunkt auf Lebensmittelverluste und Verpackungen gelegt (welche zweifellos wichtig sind), aber das Problem der großen Stoffströme zum Beispiel durch Futtermittel für die Fleischproduktion, die ihrerseits erhebliche negative Umweltwirkungen haben, wird nicht berührt.

Messmethoden für Kreislaufwirtschaftskennzahlen sind zwar ergänzt worden, konzentrieren sich aber nur auf die Ressourcennutzung und das Abfallmanagement und decken wichtige Aspekte der Kreislaufwirtschaft, die sich auf die längerfristige Werterhaltung von Produkten und Materialien beziehen (zum Beispiel das Design für Kreislaufwirtschaft, Reparatur und Wiederverwendung) nicht ab. Bisher können (außer Recycling, Recover und Reduce [2]) alle höheren R-Strategien (Refuse, Rethink, Reuse, Repair, Refurbish, Remanufacture und Repurpose [3]) nicht wirklich gemessen werden, geschweige denn die hier erzielten Fortschritte. Das heißt, abgesehen von Einzelstudien, die manchmal einen Einblick geben, weiß derzeit eigentlich niemand genau, welche Produkte (außer die durch die Recyclingraten gemessenen Abfallströme wie Glas, Papier, Aluminium etc.) in welchem Ausmaß im Kreis geführt, getauscht oder weiterverwendet werden; auch die Messung bewegt sich in noch in linearen Strukturen und Pfadabhängigkeiten.

Wie geht’s weiter?

Die Einigung über neue Reparaturrechte für Verbraucherinnen und Verbraucher zwischen dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat vom Februar dieses Jahres wird wegweisend sein und zahlreiche Folgewirkungen entfalten (zum Beispiel die Verlängerung der Produktlebenszyklen, die Herstellerverpflichtung für Ersatzteile, die Eindämmung der sog. geplanten Obsoleszenz, die Stärkung des Reparatursektors). Die Basis für ein umfassendes Recht auf Reparatur wird gelegt.

Ein weiteres wichtiges Projekt ist die Erweiterung der Ökodesign-Richtlinie, das nachhaltige Produkte zur neuen Norm machen will. Beginnend mit einer bestimmten Auswahl von Produkten (Bekleidung, Schuhe, Möbel, Reifen, Farben, Schmierstoffe und Chemikalien, energiebezogene Produkte, Informations- und Kommunikationstechnik-Produkte und andere Elektronikprodukte) wird über die bisher fokussierte Energieeffizienz hinausgegangen und u.a. die Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Nachrüstbarkeit, Reparierbarkeit und Ressourceneffizienz von Produkten in den Blick genommen. Auch die Vernichtung unverkaufter Verbraucherprodukte soll mit Maßnahmen adressiert werden. Mit Hochdruck arbeitet man zudem am digitalen Produktpass, der als ein leicht zugängliches Etikett auf Produkten zu finden sein wird, um nachhaltige Kaufentscheidungen zu erleichtern.

Nachahmungspotenzial

Einige Staaten profilieren sich bereits heute mit der Umsetzung von Kreislaufwirtschaftsmodellen in interessanten Bereichen und bieten Nachahmungspotenzial [4]. So hat Frankreich 2021 einen sogenannten Reparaturindex für fünf elektronische Geräte (Smartphones, Laptops, Fernsehapparate, Waschmaschinen und Rasenmäher) eingeführt. Damit wird die verpflichtende Darstellung einfach verständlicher Informationen für Verbraucher*innen über die Reparierbarkeit gesetzlich geregelt, um die Kaufentscheidungen in Richtung Reparaturfreundlichkeit zu beeinflussen. Belgien wiederum sticht hervor mit einem hohen Anteil an Wiederverwendung von gebrauchten Produkten, da die Einrichtung von sogenannten Kringwinkels-Initiativen so verbreitet ist, dass Belgier*innen fast überall die Möglichkeit haben, entweder selbst Produkte für die Weiterverwendung zur Verfügung zu stellen oder als Alternative für Neuprodukte nach solchen zu suchen. Es genügt ein Anruf und die Mitarbeiter*innen holen Güter wie Freizeitartikel, Kleidung und Haushalts- oder Elektronikartikel ab, reparieren sie oder bereiten sie neu auf und verkaufen sie günstig in den dazu gehörigen Läden. In Italien, wo die Slow-Food-Bewegung ihre Wurzeln hat, bemüht man sich um die Erhaltung der regionalen Küche mit heimischen, saisonalen pflanzlichen und tierischen Produkten und ihre lokale Produktion. Anstatt langer, teils internationaler Wertschöpfungsketten werden so regionale Wirtschaftskreisläufe gestärkt und der Lebensmittelverschwendung entgegengewirkt. Die Niederlande wiederum verfolgen einen breiten partizipatorischen Transitionsprozess in Richtung Kreislaufwirtschaft, wo es darum geht, die Industrie mitzunehmen, einzubinden und durch Selbstverpflichtungen und guten Beispielen auch einzelner Unternehmen einen breiten gesellschaftlichen Prozess in Gang zu setzen. Malta hat 2022 ein grünes öffentliches Beschaffungswesen für 17 Produkt- und Dienstleistungsgruppen, von denen 14 verbindlich sind, eingeführt und zielt darauf ab, den Anteil umweltfreundlicherer Produkte und Dienstleistungen im öffentlichen Beschaffungswesen bis 2025 auf 90 Prozent zu erhöhen – ein ehrgeiziger Ansatz, um den Markt zu bewegen.

Und Deutschland?

In Deutschland steigen zwar die Recyclingraten, aber auch das Aufkommen bestimmter Müllfraktionen, eine echte Entkopplung will nicht gelingen. Es gibt kaum ein Land in Europa, das mehr Verpackungsabfall verursacht als Deutschland. 2021 wurden pro Kopf 237 Kilogramm Verpackungsmüll erzeugt, ein Zuwachs von 26 Prozent seit 2005. Auch im europäischen Vergleich der Nutzungsraten wiederverwendbarer Stoffe belegt Deutschland nur Rang 8. Um diesen Trend zu brechen, muss auf politischer Ebene einiges passieren. Die Abfallvermeidung muss gestärkt werden (zum Beispiel durch wiederverwendbares Verpackungsmaterial), ebenso die Weiterverwendung von Produkten, sowie Reparaturen und zirkuläre Strategien im Bau. Hier kann Deutschland von anderen EU-Staaten noch viel lernen.

 

[1] ETC CE (2022): Circular Economy policy innovation and good practice in Member States. Copenhagen: European Topic Centre on Circular Economy and Resource Use.

[2] Recycling = wiederverwerten, Recover = energetisch verwerten, Reduce = reduzieren.

[3]  Refuse = vermeiden, Rethink = umdenken, Reuse = wiederverwenden, Repair = reparieren, Refurbish = wiederaufbereiten, Remanufacture = refabrizieren, Repurpose = umfunktionieren.

[4] Wilts H. und Bröcker, A. (2022): Implementation of the circular economy in Europe: status quo and starting points. Brüssel: Friedrich-Ebert-Stiftung.

Die Autorin

Bettina Bahn-Walkowiak ist Senior Researcherin in der Abteilung Kreislaufwirtschaft, Forschungsbereich Zirkulärer Wandel am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Dieser Artikel ist urspünglich unter dem Titel "Die EU auf dem Weg zur Circular Economy? Zwischen Ambition und Umsetzung" im Rundbrief 2/24 des Forum Umwelt & Entwicklung erschienen. Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung!

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