Fangquoten 2022: Überfischung bei einem Drittel der Bestände

Die EU-Fischereiminister*innen haben am Montag die Fangmöglichkeiten für Nordsee, Atlantik, Mittelmeer und Schwarzes Meer beschlossen. Nichtregierungsorganisationen reagierten skeptisch bis kritisch. Gemeinsame Fischgründe mit Norwegen und Großbritannien mit vorläufigen Quoten fürs erste Quartal.
Für 200 kommerziell befischte Bestände in EU- und Nicht-EU-Gewässern, im Mittelmeer und im Schwarzen Meer stehen die Fangquoten oder auch „zulässige Gesamtfangmengen“ (TACs) 2022. Die Verhandlungen mit Norwegen und Großbritannien laufen noch, deshalb gelten für die mit diesen Ländern gemeinsam befischten Fischgründe bis zu einer endgültigen Einigung vorläufige Quoten. Diese liegen bei den meisten Arten im ersten Quartal 2022 bei 25 Prozent der letztjährigen Grenzen, wobei laut Rat Besonderheiten in der saisonalen Fischerei berücksichtigt wurden.
Atlantik und Nordsee
Gekürzt wurden die TAC für Seezunge in den nördlichen und zentralen Seegebieten des Golfs von Biskaya um 36 Prozent sowie die TAC für südlichen Seehecht um acht Prozent.
Verlängert wurden die TAC für Seezunge in den Seegebieten westlich von Irland und Porcupine Bank sowie die TAC für Seelachs im Golf von Biskaya und in portugiesischen Gewässern. Die TAC für Kaisergranat in der funktionalen Einheit 31 [festgelegt in (EG) Nr. 218/2009, Anhang III) wird um 2.000 (sic) Prozent erhöht.
Das Verbot der gezielten Kabeljaufischerei wurde beibehalten, wobei die TAC für Kabeljau-Beifänge im Kattegat um 21 Prozent gekürzt wurde. Für Schiffe, die an Versuchen zur elektronischen Fernüberwachung teilnehmen, gelten besondere Bestimmungen.
Darüber hinaus wurde Maßnahmen für den Europäischen Aal mit einer dreimonatigen Schonzeit verlängert. In dieser Zeit sollen Mitgliedstaaten und Interessengruppen beraten, „wie dieser Bestand angesichts der besorgniserregenden wissenschaftlichen Gutachten am besten bewirtschaftet werden kann“.
Mittelmeer und Schwarzes Meer
Der Rat einigte sich darauf, den Fischereiaufwand für die Grundfischbestände im westlichen Mittelmeer um sechs Prozent zu reduzieren. Für die Bestände an Roten Garnelen, Blauen Garnelen und Roten Riesengarnelen werden Höchstfangmengen eingeführt.
Im Schwarzen Meer setzte der Rat die im Rahmen des überarbeiteten mehrjährigen Bewirtschaftungsplans festgelegte EU-Quote für Steinbutt um und behielt die im Vorjahr festgelegten Fangbeschränkungen für Sprotten bei.
Kritik an fortgesetzter Überfischung: Seas At Risk, DUH und BUND
Die Meeresschutzorganisation Seas At Risk beklagte, dass im Vorfeld des EU-Fischereirats mehrere Länder - insbesondere Spanien, Portugal und Frankreich – „stolz ihre Absicht bekundet“ hätten, sich sowohl über wissenschaftliche Gutachten als auch über EU-Rechtsvorschriften zu Fangbeschränkungen für ausschließlich in der EU befischte Bestände hinwegzusetzen. Sie hätten darüber hinaus behauptet, damit die Interessen der Fischereiindustrie zu verteidigen, obwohl es für diese keine Zukunft gibt, wenn die Überfischung nicht beendet wird und die Fischpopulationen nicht gesunden. Eine derartige Argumentation sei „inakzeptabel“ und gefährde die Gesundheit der Ozeane. Trotz der Bemühungen der EU-Kommission für ein Ende der Überfischung und im Widerspruch zu den Warnungen des Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsausschusses für die Fischerei (STECF) hätten die Fischereiminister*innen die vorgeschlagenen Höchstfangmengen für ikonische Fischbestände wie den südlichen Seehecht, die Seezunge oder den Kaisergranat ignoriert, so Seas At Risk.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) beklagte das „unbefriedigende Ergebnis“ der Fangquoten-Verhandlungen zwischen Norwegen, Großbritannien und der EU sowie die zu hohen Quoten für Nordseekabeljau und -hering. Ein ökosystembasiertes und naturverträgliches Fischereimanagement liege in weiter Ferne. Die DUH-Referentin für Meeresnaturschutz Katja Hockun kritisierte: „Die Fangmengen für den Nordseekabeljau wurden elf Prozent zu hoch festgelegt. Außerdem droht der Kabeljau als Beifang in anderen Fischereien wie der Schollenfischerei zu enden. Das bedroht die Population zusätzlich.“
Von besonderer Bedeutung für Deutschland in den Verhandlungen sei die gefährdete Ostsee-Heringspopulation, die im Sommer in Richtung Nordsee wandere und sich mit den anderen Heringspopulationen im Skagerrak vermische. Die Wissenschaft empfehle, dass die Ostsee-Heringspopulation in diesem Mischgebiet nicht mehr befischt wird. Dennoch sei eine Beifangquote von 969 Tonnen festgelegt worden. „Um diese Population zu schützen, braucht es zusätzlich zu einem Fangstopp temporäre Schließungen der gesamten Herings- und Sprottenfischerei im Mischgebiet“, so die DUH. Die Organisation forderte außerdem wirksame Maßnahmen gegen illegale Rückwürfe und Beifang sowie effektive Kontrollen.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) blickte „mit gemischten Gefühlen“ auf die Ergebnisse der EU-Verhandlungen. Hoffnung mache, dass die gezielte Heringsfischerei in der Ostsee eingestellt wurde; das Problem sei in den Nordsee-Verhandlungen jahrelang ignoriert worden. Doch jetzt scheine sich das Blatt zu wenden: Im Skagerrak wurde die Fangquote für Hering drastisch reduziert, um den Ostsee-Hering zu schonen. Die Nordsee-Fangquoten seien aber nach wie vor viel zu hoch. Der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt mahnte: „Während die Klima- und Biodiversitätskrise in vollem Gange sind, wird auf historischen Besitzansprüchen beharrt. Stattdessen müssten aber Lösungen her, um die Fischerei zukunftsfähig zu gestalten. Es reicht nicht mehr, nur noch auf die Fangquoten zu schauen. Alle Fischereiaktivitäten und Fangmethoden müssen einer Umweltprüfung unterzogen werden, die auch die Auswirkungen auf das Klima einbezieht. Die wenigen Fangquoten, die noch bleiben, müssen den Fischereibetrieben vorbehalten sein, die die höchsten ökologischen Standards befolgen. Schädliche Subventionen, die zerstörerische und unwirtschaftliche Fischerei künstlich am Leben halten, müssen endlich verboten werden." [jg]
Ergebnisse des AGRIFISH-Rates: Agriculture and Fisheries Council, 12-13 December 2021
Pressemitteilung zur den Fischereiquoten: Council agrees fishing opportunities for 2022
Seas At Risk: EU Fisheries Ministers to Proudly Keep on Overfishing in 2022
Weitere Reaktion: Oceana: EU fisheries Council turns a blind eye to overfishing - A third of EU fishing quotas exceed scientists’ advice despite ecological crises