Fit for 55: Jumbo-Trilog gebiert Mäuse mit Potenzial
Am Wochenende haben sich Abgeordnete des EU-Parlaments und die EU-Mitgliedstaaten darauf geeinigt, das europäische Emissionshandelssystem (ETS) zu reformieren, neue Sektoren in den Handel einzubeziehen (ETS2) und wie der Klimasozialfonds ausgestattet werden soll. Ganz gut, aber nicht gut genug für den Klimaschutz, kritisieren Umweltverbände.
Laut der Einigung der drei EU-Institutionen zu den zum "Fit for 55"-Paket gehörenden Dossiers müssen die Emissionen in den ETS-Sektoren bis 2030 um 62 Prozent gesenkt werden. Kostenlose Zertifikate für die Industrie werden in Sektoren wie der Zementindustrie ab 2026 auslaufen und bis 2034 abgeschafft sein. Ab 2027 soll der sogenannte ETS 2 auch Brennstoffemissionen aus dem Gebäude- und Straßenverkehrssektor einbeziehen. Im Klimasozialfonds sollen 65 Milliarden Euro zur Unterstützung der am stärksten gefährdeten Europäer*innen eingestellt werden - plus eine Co-Finanzierung der Mitgliedstaaten von 25 Prozent. Die Regierungen müssen nationale soziale Klimapläne zur Bekämpfung von Energie- und Mobilitätsarmut erarbeiten. Geplant sind Investitionen in Energieeffizienz, Dekarbonisierung und nachhaltigen Verkehr sowie Direktzahlungen an vulnerable Haushalte.
Der ETS wird außerdem auf Emissionen aus dem Seeverkehr ausgeweitet. Zudem müssen die EU-Mitgliedstaaten ab 2024 die Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle messen und melden. Bis zum 31. Januar 2026 legt die Kommission einen Bericht mit dem Ziel vor, diese Anlagen ab 2028 in das EU-ETS einzubeziehen. Zero Waste Europe begrüßte diese Entscheidung. Allerdings sei eine Ausnahmeregelung bis 2030 möglich.
Reaktionen
„Zwei Schritte nach vorne und ein Schritt zurück beim europäischen Klimaschutz“ nannte der Deutsche Naturschutzring die Einigung im „Jumbo-Trilog“. Einerseits habe das EU-Parlament wichtige Elemente wie eine verpflichtende klimaschutzbezogene Verwendung der Einnahmen im Emissionshandel für einen stärkeren Klimaschutz in diesem Jahrzehnt gesichert. Auch das höhere Ziel im Emissionshandel, Konditionen für kostenlose Verschmutzungszertifikate an die Industrie sowie die Einigung für ein Auslaufen dieser freien Zertifikate seien wichtige Schritte. Andererseits sei das „nicht genug für das 1,5-Grad-Ziel im Pariser Klimaabkommen“. Die Industrie werde noch bis 2034 kostenlose Verschmutzungszertifikate erhalten, das sei „klimapolitisch unverantwortlich“, so DNR-Geschäftsführer Florian Schöne [siehe auch DNR-Factsheet ETS]. Der Klima-Sozialfonds, der zur sozialen Flankierung des neuen Emissionshandels dienen soll, sei nicht zuletzt auf den Druck Deutschlands viel zu bescheiden ausgestattet. „Hier hätten wir uns von der Ampelkoalition mehr erwartet“, so Schöne. Die EU-Kommission hatte ursprünglich 72 Milliarden Euro und enie höhere Beteiligung der Mitgliedstaaten (50 Prozent) vorgesehen.
Auch Germanwatch kommentierte, dass der Schritt „kleiner ausgefallen [ist] als es nötig gewesen wäre“. Es habe „unnötige Verwässerungen und Verzögerungen“ auch durch das deutsche Bundeskanzleramt gegeben. Das schrittweise Auslaufen der kostenlosen Emissionserlaubnisse für die Industrie bis 2034 sei wichtig, dauere aber zu lange. Ähnliches gilt für den vollständigen Start des neuen CO2-Grenzausgleichs (CBAM). Dieses wichtige Instrument komme ebenfalls zu spät, dabei könne es Wettbewerbsnachteile bei ambitioniertem Klimaschutz in der EU verhindern, so die Organisation. Über CBAM war am 15. Dezember bereits eine – aus WWF-Sicht „halbgare“ Entscheidung gefallen (EU-News 15.12.2022).
CAN Europe, WWF Europa, Carbon Market Watch und Transport & Environment kritisierten, dass der Schutz der Industrie wieder mal vor den Schutz der Menschen gesetzt worden sei. 62 Prozent Emissionsreduktion seien die richtige Richtung, es brauche aber ein Minus von 70 Prozent. Immerhin müssten die ETS-Einnahmen für Klimaschutzmaßnahmen verwendet werden, dies sehen die Organisationen auf der Haben-Seite. [jg]
EU-Kommission: EU einigt sich auf Reform des Emissionshandels und Einrichtung eines Klima-Sozialfonds
EU-Parlament: Climate change: Deal on a more ambitious Emissions Trading System (ETS) und Deal on establishing the Social Climate Fund to support the energy transition
DNR-Statement zur Einigung über den EU-Emissionshandel
Germanwatch: EU-Klimabeschlüsse: Wichtiger Fortschritt für Klimapolitik fällt durch viele Verzögerungen kleiner aus als nötig
Gemeinsame PM CAN Europe, WWF EPO, CMW, T&E: ETS negotiations: the EU puts industry protection over people and planet