GAP: EU-Kommission gibt Umweltstandards auf
Die Mindeststandards zu Fruchtwechsel und Brachflächen müssen 2023 nicht umgesetzt werden. EU-Agrarkommissar stellt Produktionssteigerung über Biodiversitätsschutz. Die Entscheidung sorgt für Kopfschütteln und deutliche Kritik.
Nach langer Diskussion gab die Europäische Kommission am 22. Juli bekannt auf Mindestanforderungen im Rahmen der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zu verzichten. Die Vorgaben zur Fruchtfolge und zu nicht-produktiven Ackerflächen können damit für das Jahr 2023 ausgesetzt werden. Nun liegt es in der Hand der EU-Staaten von der Möglichkeit zur Aussetzung der Umweltstandards Gebrauch zu machen. Nach monatelangen Debatten ging es nun recht schnell: Die Mitgliedstaaten bestätigten die Entscheidung der Kommission am Montag. Am Mittwoch wurde sie dann auch durch das Kollegium der EU-Kommissarinnen und Kommissare offiziell gebilligt.
Ernährungssicherung als Begründung
Agrarkommissar Janusz Wojciechowski begründete die Entscheidung mit der angespannten Lage der Agrarmärkte aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine. Der Schritt solle die entstandene Produktionslücke schließen und somit zur Ernährungssicherheit beitragen. Laut Wojciechowski können die Ausnahmeregelungen dazu beitragen Ackerflächen zu erschließen, mehr Getreide anzubauen und damit zur „weltweiten Verfügbarkeit und auch Bezahlbarkeit von Nahrungsmitteln“ beitragen. Die EU-Kommission gibt an, dass mit der Entscheidung 1,5 Millionen Hektar zusätzlich in Produktion genommen werden könnten.
Weizen auf Weizen
Mit der Aussetzung der Biodiversitätsflächen- und Fruchtwechselpflicht fallen zwei der Regelungen der erweiterten Konditionalität im Rahmen der neuen GAP. Diese Mindestanforderungen, die Standards für guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand (GLÖZ), müssen alle Landwirtschaftsbetriebe erfüllen, wenn sie europäische Agrarzahlungen erhalten wollen. Der GLÖZ-7- Standard zum Fruchtwechsel sieht vor, dass jedes Jahr eine andere Kultur auf den Ackerflächen eines Betriebes anzubauen ist. Ohne die Regel kann also auch zwei Jahre hintereinander Weizen auf derselben Fläche angebaut werden. Nach dem GLÖZ-8-Standard ist ein Mindestanteil von vier Prozent nicht-produktiver Flächen und Landschaftselemente auf Ackerflächen vorgesehen.
Biodiversitätsflächen in Gefahr
Wird auf GLÖZ 8 verzichtet, kann demnach auf Brachen produziert werden, die eigentlich zum Schutz der Biodiversität vorgesehen waren. Der Anbau von Futtermitteln, wie Mais und Soja, oder auch von Kurzumtriebsplantagen soll zwar weiter ausgeschlossen bleiben, von einem Verlust wichtiger Habitate und entsprechend negativen Folgen auf die biologische Vielfalt ist jedoch auszugehen. Den ökologischen Wert nicht-produktiver Flächen in der Agrarlandschaft beschreibt auch ein neues Hintergrundpapier des DNR.
Falsche Antwort auf die Krise
Aufgrund der erwartbaren Schäden für die Biodiversität wurde der Schritt der EU-Kommission auch stark kritisiert. Auf Twitter nannte Bird Life Europe die Entscheidung „schlecht informiert und nicht basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen“. Auch beim Agrarökonom Sebastian Lakner erzeugt die Entscheidung „nur Kopfschütteln“: Wichtige ökologische Maßnahmen der GAP würden aufgegeben, während die Reduktion von Fleisch und Biokraftstoffen keine Rolle spiele, so Lakner auf Twitter. Bereits im Juni hatte Lakner in einer Studie aufgezeigt, wo agrarpolitische Handlungsoptionenzu finden sind; und wo nicht. Als „unsinnig, kontraproduktiv und überflüssig“ bezeichnete Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischem Parlament und Mitglied im Umweltausschuss die Entscheidung. Auch die Angabe der 1,5 Millionen Hektar zusätzlicher Produktionsfläche wird von ihm als überzogen und „aus der Luft gegriffen“ zurückgewiesen.
Offener Brief an Agrarminister*innen
In Deutschland appellierten die Umweltverbände BUND, Deutsche Umwelthilfe, NABU, WWF und der DNR in einem offenen Brief an den Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und seine Kolleg*innen aus den Bundesländern, den Vorstoß der EU-Kommission zurückzuweisen und die Aussetzung von GLÖZ 7 und 8 in Deutschland nicht umzusetzen. Im Brief heißt es: „So ist insbesondere bei GLÖZ 8 der produktive Mehrwert gering, der ökologische Schaden aber auf mehrere Jahre hin groß.“ Am 28. Juli tagt eine Sonder-Agrarminister*innenkonferenz mit dem Schwerpunkt auf dem GAP-Strategieplan. Im Vorfeld wurde für die Konferenz auch eine Entscheidung zu den Umweltstandards erwartet. Die Entscheidung wurde jedoch vertagt. [bp]
Pressemitteilung EU-Kommission
Pressemitteilung DNR und Offener Brief von NABU, BUND, Umwelthilfe, WWF, DNR
DNR-Hintergrundpapier: Brachen-Unverzichtbare Rückzugsräume für die Artenvielfalt
Pressemitteilung Martin Häusling
Studie von Lakner, Klümper, Mensah: Ukraine-Krieg und globale Lebensmittelversorgung