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Gehen – die Basis aller Mobilität
News | 01.03.2023
#Mobilität

Gehen – die Basis aller Mobilität

Gehweg geht durch - Fahrbahn unterbrochen
© Roland Stimpel
Gehweg geht durch - Fahrbahn unterbrochen

Zufußgehen ist die beste Fortbewegungsart in Stadt und Natur – schonend, einfach, gesund und fast allen Menschen möglich. Aber hundert Jahre lang wurde der Verkehr zu Fuß buchstäblich an den Rand gedrängt. Jetzt entdecken viele Menschen das Gehen wieder. Auch in Politik und Planung wächst die Wertschätzung.

Scheinbar läuft fast niemand mehr. Auf den Straßen sind große, laute und schnelle Fahrzeuge in der Mitte viel auffälliger als die leisen, relativ langsamen und wenig raumgreifenden Menschen am Rand. Tatsächlich sind aber in größeren Städten mehr Menschen zu Fuß unterwegs als mit jeder Art Fahrzeug. Berliner*innen und Hamburger*innen legen 27 Prozent ihrer Wege komplett auf Beinen zurück; dazu kommen die Gänge zu und von Haltestellen, Bahnhöfen und Parkplätzen. Wege im Quartier unter einem Kilometer werden zum größten Teil gegangen, Wege bis zwei Kilometer immer noch zu einem Drittel.

Die Städte haben viel davon: belebte Straßen und Geschäfte, effizient und schonend genutzte Wege, kein Lärm, keine Abgase und kaum Unfallgefahr für andere. Klimaschutz sowieso: Im Verkehr müsste der ökologische Fußabdruck eigentlich Reifenabdruck heißen, denn die Füße erzeugen fast keinen.

Auch die Einzelnen profitieren: Gehen können fast alle im Alter zwischen 1 und 100, ohne Fahrschein, Führerschein und Gerät. Es ist gesund und anregend. Gehend erleben wir unsere Umwelt am intensivsten – andere Menschen, Wetter und Jahreszeiten, Geräusche und Gerüche, auch in der Stadt Pflanzen und Tiere. Und wo mehr Raum für Natur ist, nehmen wir von ihr zu Fuß am meisten wahr. Schon wenn wir nur einen Park oder eine Laubenkolonie durchqueren, tauchen wir länger und tiefer ein als alle, die durchfahren oder vorbeihuschen.

Roland Stimpel
Im Verkehr müsste der ökologische Fußabdruck eigentlich Reifenabdruck heißen, denn die Füße erzeugen fast keinen.
Roland Stimpel, FUSS
Vorstand des Fachverbands

Gehen ist die konsequenteste Entschleunigung und Verkehrswende. Und es ist die sozialste und integrativste: Am meisten gehen Schulkinder, Ältere und Ärmere; Frauen gehen mehr als Männer – und verblüffenderweise gehen Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung mehr als solche, die keine haben. Um das alles zu unterstützen, müssen wir Verkehrsplanung und Verkehrspolitik vom Rad auf die Füße stellen. Hundert Jahre lang haben wir Straßen von der Mitte und von den Schnellsten her gedacht: Erst kam die Fahrbahn, dann die Parkplätze, dann ab und zu Radwege und schließlich zwei Reststreifchen am Rand zum Gehen.

Leider nicht nur zum Gehen, sondern auch für alles, was irgendjemand im Stadtraum unterbringen will: Fahrzeuge parkend und fahrend. Handel, Gastronomie und Werbung. Autobezogene Technik wie Schildermasten, Parkautomaten und jetzt auch noch Ladesäulen. Zeitweise und immer wieder von Neuem Mülltonnen, Fahrzeugwracks und Baustellen.

Dadurch ist die Kernfunktion der Gehwege oft gestört und manchmal verschwunden. Wie viel da fehlt, zeigen einschlägige technische Regelwerke: Sie halten eine freie Breite von 2,5 Metern für nötig, damit zwei Menschen auch mit Gepäck oder im Rollstuhl gut aneinander vorbeikommen. Das hat Eingang in bundesweite Vorschriften gefunden. Kein schmalerer Gehweg darf demnach auch nur am Rand beparkt werden. Das dürfte eine der meist ignorierten Vorschriften im Land sein, täglich millionenfach gebrochen von Autobesitzer*innen und ihnen gewogenen Behörden.

Parkstreifen zu ökologischen Begegnungsstreifen

Gern ist beim Verkehr von Netzen die Rede. Allerdings: Gehende haben keins. Ihre Wege sind in der Stadt alle 100 bis 200 Meter von Fahrbahnen unterbrochen, die zu überqueren sind. Fahrbahn ist ein irritierendes Wort: Sie ist zwangsläufig auch Gehraum, auf dem kleine Kinder und Greise, Fußverletzte und Blinde, Regel-Unkundige und Zerstreute legal unterwegs sind.

Sie und alle anderen zu Fuß brauchen Schutz. Wo Menschen über Fahrbahnen gehen müssen, sollte im Ort nicht schneller als 30 gefahren werden dürfen. Wer zu Fuß ist, braucht, so oft es geht, Vorrang: per Zebrastreifen, als Notlösung per Ampel – und am besten mit einem Umdrehen alter Gewohnheiten: An der Kreuzung gehen die Gehwege durch. Wer fährt, rollt langsam über die Schwelle zu ihnen hinauf und passt sich als Gast den Hauptbenutzer*innen an.

Ganz anders als heute können die heute meist beparkten Streifen am Fahrbahnrand aussehen. Für sie gibt es bessere und wichtige Verwendung: für Bänke und Bäume, Spiel und stationären Sport. Sie sind Orte zum Entsiegeln und Versickern. Vom Parkstreifen zum Sozial- und Ökostreifen – ein eigenes Programm für die menschenfreundliche und klimaresiliente Stadt.

Keine Tempopisten im Park

Auch wo in Parks und an Flüssen, im Wald und am Berg das Grün dominiert, sollte unter Menschen „Gehen zuerst“ gelten. Fußwege können schmaler und gewundener sein als alle anderen. Sie brauchen nicht zwingend Versiegelung; das Hervortreten von Wurzeln ist keine Katastrophe. Hier sind die Verträumten, Verspielten und Spontanen auf Beinen und Beinchen unterwegs. Dabei vertragen sie in ihrer Nähe nur gedämpftes Tempo. Radfahren ist gut möglich, wenn es entsprechend langsam und rücksichtsvoll geschieht. Breitere Asphaltpisten für Fahrräder sind in dreifacher Hinsicht schlecht: Sie bringen Grün raus und Grau rein, provozieren Tempo und haben eine hässliche indirekte Wirkung: Sie verlagern zwar den Radverkehr weg von der Straße, unterstützen dadurch aber letztlich das Auto, das dann auf seiner Piste freiere Bahn hat.

Politisch geschieht nach langem Stillstand jetzt einiges fürs Gehen: Mehr und mehr Städte machen aktive Fußpolitik. Die Ampelmehrheit im Bund hat im Koalitionsvertrag eine fußfreundliche Reform von Verkehrsregeln und eine nationale Fußverkehrsstrategie beschlossen. Auch die Zivilgesellschaft geht los: Die Lobby im Fachverband FUSS wächst und findet offenere Ohren und hat schon rund 50 lokale Gruppen vor Ort. Seit dem vergangenen Jahr gibt es die GehCheck-App zum Festhalten von allem, was unterwegs ärgert und freut. Das Schlechte kommt mit roten und sandfarbenen Icons auf eine Internet-Karte, das Gute mit grünen. Es gibt Grund zur Hoffnung, dass die grünen immer mehr Raum einnehmen.

Der Autor

Der Stadt- und Regionalplaner Roland Stimpel ist Vorstand des Fachverbands FUSS e.V. Zuvor war er unter anderem Chefredakteur des Deutschen Architektenblatts.

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