Ist genug für alle da?
Die Zeit der billigen Lebensmittel ist vorbei. Seit drei Jahren steigen die Preise. Zuerst durch die Pandemie, die die Transportketten für Obst und Gemüse unterbrochen hat und weder die billigen Erntehelfer noch die Schlachter ins Land ließ. Dann durch den Krieg Russlands in der Ukraine, der die Öl- und Gaspreise explodieren ließ und in der Folge die Kosten unserer energiehungrigen Agrarindustrie.
Weizen und Sonnenblumenblumenöl wurden im Frühjahr 2022 über Nacht zu strategischen Waffen. Gezielte Knappheit verteuert seither die Lebensmittel weltweit. Die galoppierenden Preise offenbaren, wie verwundbar unser System der Welternährung ist. Wie abhängig von fossilen Energien und wie zerbrechlich die globalen Lieferketten. Ist dies das Ende der fetten Jahre? Bedroht der Mangel jetzt die Welt und der Hunger die politische Stabilität in Afrika und Asien, in Ländern, die ohne Importe ihre Bevölkerung nicht ernähren können?
Die vielzierte Zeitenwende, die Putins Krieg für die Welt bedeutet, ist in den Brotkörben angekommen. Wenn es heute schon knirscht im Getriebe der Welternährung, wie wird es dann zur Mitte des Jahrhunderts sein, wenn statt 7,9 mehr als 9 Milliarden Menschen satt werden wollen?
Wir wissen seit Langem, dass die Nachfrage nach Lebensmitteln steigt, pro Jahr um 1,8 Prozent. Und wir wissen auch, dass die Produktion nicht mehr mithält, sie wächst nur um 1 Prozent. Eine Lücke, die zwangsläufig im Mangel mündet. Die Gründe sind schon lange bekannt. Die globalisierte Agrar- und Ernährungsindustrie untergräbt ihre Fundamente. Erodierende Bodenfruchtbarkeit, erschöpfte Wasserreserven, ausradierte Artenvielfalt, das Ende der Reserven ihres wichtigsten Düngers, Phosphat, noch in diesem Jahrhundert und ein immer weiter aufgeheiztes Weltklima, an dem unser derzeitiges Ernährungssystem zu einem Drittel Verantwortung trägt, sprechen für sich.
Diese selbstzerstörerische Industrie kann keine Sicherheit bei Lebensmitteln garantieren. Genau so wenig wie die Art unseres Konsums. Die Fleischtöpfe der Industrieländer sind zu voll, ebenso wie die Abfalltonnen, in denen sich mehr als ein Drittel unserer Einkäufe wiederfindet. Durch diesen Lebensmittelmüll und die industrielle Fleischproduktion werden mehr als die Hälfte der Weltackerflächen vergeudet. Und von dem, was übrig ist, wird dann noch ein erheblicher Teil für regenerative Energie, Strom, Heizung und Biosprit abgezweigt. Was dann noch bleibt, reicht für die Sicherheit der Welternährung nicht. Das führt vorhersehbar ins Chaos an den Lebensmittelmärkten. Hungeraufstände, wie wir sie schon 2009 bei der ersten Welternährungskrise in mehr als 20 Ländern gesehen haben, sind erst der Anfang. Nach 2022 droht uns eine globale Destabilisierung der Welt, wie wir sie kannten. Stabilität und Frieden kann nur durch eine grundsätzliche Wende in der Welternährung erreicht werden. Nichts Geringeres als ein Systemwechsel ist gefordert, und zwar jetzt.
Vielfalt auf dem Ackerboden und eine wertschätzende Esskultur sichern die Ernährung
Mit welcher Strategie Resilienz und Ernährungssouveränität zu erreichen sind, wird seit Jahren diskutiert. Die Prinzipien sind klar. Landwirtschaft muss innerhalb der planetaren Grenzen organisiert werden. Sie muss der Gesundheit der Gesundheit des Planeten dienen, auf Wiederherstellung von Bodenfruchtbarkeit ausgerichtet sein. Das Bodenleben, die Legion von Bakterien, Viren und Pilzen, die am Anfang unserer Nahrungskette stehen, das Mikrobiom als Grundlage unseres Lebens gehören ins Zentrum dieser Strategie. Vielfalt auf den Äckern als Garant von Resilienz gegen die kommenden Extremwetter, Mischungen, in denen Bäume und Sträucher zurück in die Landschaften finden, Permakulturen und Agroforstsysteme, die ganzjährige Begrünung sichern und damit Schutz vor den Extremen kommender Klimalagen, sind die Eckpfeiler einer stabilen Welternährung.
Die Basis ist aber die Rückkehr zu einer Esskultur, in der Obst und Gemüse im Mittelpunkt stehen. Bei uns werden Kitas und Schulen vorangehen müssen, denn hier wird das Fundament einer zukunftsfähigen Esskultur gelegt, in der Wertschätzung wächst, die auch dem Wegwerfen einen Riegel vorschiebt. Unsere gesamte Kantinenlandschaft könnte als gigantischer Hebel für die ökologischen Transformation genutzt werden. Eine neue Nähe zwischen Stadt und Land eröffnen die Netzwerke „Solidarischer Landwirtschaft“.
Dieser Systemwechsel braucht Steuerung. Bisher leistet dies die Zivilgesellschaft. Ernährungsräte in mehr als 40 deutschen Städten bilden das Rückgrat einer Ernährungspolitik von unten. Bürger*innen und Landwirt*innen treiben diese Wende an und nicht die Lobby der Agrarindustrie. Wenn wir in einer so erneuerten Ernährungslandschaft dann fragen: Ist denn nun genug für alle da?, werden wir zu einer anderen Antwort kommen: Ja, es ist genug für alle da, wenn wir den Systemwechsel global angehen und dabei das Ziel der Gesundheit unseres Planeten und seiner Bewohner in den Mittelpunkt stellen.
Der Autor
Der Agrarwissenschaftler und Journalist Dr. Wilfried Bommert ist Sprecher des Vorstands beim Institut für Welternährung.