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Konkretes Handeln statt Angststarre
News | 12.10.2023
# sozial-ökologische Transformation

Konkretes Handeln statt Angststarre

Geld

Im aktuellen Krisenmodus rufen viele Akteure nach staatlicher finanzieller Unterstützung, am lautesten die energieintensiven Unternehmen. Dabei fließen jedes Jahr bereits mehr als 16 Milliarden Euro umweltschädliche Subventionen in die Industrie. Damit Klima- und Biodiversitätsschutz nicht auf der Strecke bleiben, sollten solche schädlichen, staatlichen Beihilfen ab- und umgebaut werden.

Die energieintensiven Industrien verstärken derzeit den Ruf nach einem subventionierten Strompreis, der ihnen Planungssicherheit verschaffen und ihre Wettbewerbsfähigkeit absichern soll. Dabei drohen Klima- und Biodiversitätsschutz zur Nebenbedingung zu werden. Auch die Auswirkungen einer solchen Maßnahme auf den Staatshaushalt können erheblich werden. Ein übergreifender Ansatz wird gebraucht, der die schon lange bestehenden, umweltschädlichen Subventionen für die Industrie zusammendenkt mit den vorhandenen und geplanten Förderprogrammen für Dekarbonisierung und Klimaschutz. Anstatt gegen den Status quo „anzufördern“, sollte das Subventionsvolumen umgelenkt und zur Beschleunigung der Transformation genutzt werden.

Nach wie vor vergibt der deutsche Staat jährlich umweltschädliche Subventionen in Höhe von über 16 Milliarden Euro an die Industrie. Der größte Teil davon, etwa 10 Milliarden Euro, entsteht durch Entlastungen im nationalen und europäischen Emissionshandel. Auch der Verbrauch fossiler Energieträger in der Stromproduktion wird immer noch mit jährlich knapp 3,8 Milliarden Euro begünstigt. Direkte Energiesteuerentlastungen für den Einsatz fossiler Energieträger summieren sich auf 2,2 Milliarden Euro pro Jahr. Als Reaktion auf die fossile Energiepreiskrise in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat die Bundesregierung weitere temporäre Subventionen eingeführt, deren Volumen derzeit noch nicht quantifizierbar ist.

Carolin Schenuit
Anstatt gegen den Status quo „anzufördern“, sollte das Subventionsvolumen umgelenkt und zur Beschleunigung der Transformation genutzt werden.
Carolin Schenuit, FOES
Geschäftsführende Vorständin

Die Industriebranchen in Deutschland profitieren unterschiedlich stark von diesen Subventionen. Aufgrund ihres hohen Energieverbrauchs werden die energieintensiven Industrien Eisen und Stahl, Nichteisen-Metalle, Chemie, Baustoffe, Papier sowie Ölraffinerien besonders begünstigt. Die hohe Energieintensität bedeutet gleichzeitig, dass es sich um Schlüsselindustrien für die Dekarbonisierung der Wirtschaft insgesamt handelt. Denn die Herstellung hat in diesen Branchen den größten Anteil am CO2-Fußabdruck der Endprodukte. Innerhalb der Branchen konzentrieren sich die Subventionen auf relativ wenige Unternehmen. Spitzenreiter, etwa bei den Ausnahmen von der Stromsteuer, sind ThyssenKrupp, Linde Gas sowie BASF, die 2021 jeweils bis zu 60 Millionen Euro allein an Stromsteuersubventionen erhalten haben – das sind circa 9 Prozent des Gesamtvolumens. Wenn diese Akteure gezielt stärker in die Pflicht genommen werden, kann ein wesentlicher Teil der Treibhausgasemissionen der Industrie adressiert werden.

Das „Gegengewicht“: Politische Lenkung durch Förderprogramme in Höhe von knapp 3 Milliarden Euro

Im Kontrast dazu stehen die zunehmenden Bemühungen für Förderprogramme zur Dekarbonisierung auf EU- und Bundesebene. Deren Kosten werden durch die Subventionierung der bestehenden Strukturen und des (fossilen) Energieverbrauchs nach oben getrieben. Denn für die Unternehmen rechnen sich Energieeinsparungen und die Umstellung auf CO2-neutrale Prozesse erst deutlich später, wenn die Kosten der konventionellen Herstellung künstlich niedrig gehalten werden.

Auch wenn in Zukunft mit höheren Zuwendungen zu rechnen ist, beläuft sich das aktuelle Fördervolumen derzeit lediglich auf etwa 2,8 Milliarden Euro jährlich. Die meisten Förderprogramme richten sich an alle produzierenden Unternehmen allgemein und nicht speziell an die energieintensive Industrie. Eine genaue Zuordnung, welche Anteile der Fördermittel an die Industrie geflossen sind, ist aufgrund fehlender Daten nicht möglich. Klar wird aber auch so: Selbst mit einem Vielfachen der aktuellen Fördermittel kann das strukturelle Ungleichgewicht zwischen dem staatlich unterstützten, laufenden Betrieb und den Transformationsinvestitionen, die oft auch mit substanziellen Prozess- und Produktänderungen verbunden sind, nicht behoben werden.

Der Lösungsansatz: Konsequente Reformen für Umwelt, Klima und Wettbewerbsfähigkeit durch Restrukturierung der Finanzflüsse

Deutschland hat sich international im Rahmen der G7 verpflichtet, bis zum Jahr 2025 ineffiziente fossile Subventionen abzubauen. Auch im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung auf den Abbau von klimaschädlichen Subventionen verständigt. Nach Jahren des Stillstands beim Subventionsabbau und zuletzt sogar neu eingeführten Subventionen für den Verbrauch fossiler Energieträger (u.a. Energiekostendämpfungsprogramm und Gaspreisbremse), ist es jetzt umso dringlicher, das Thema endlich konsequent anzugehen. Zwei Eckpfeiler sind dabei wichtig:

  • Erstens: die Subventionierung fossiler Energieträger und fossilen Energieverbrauchs vollständig beenden. Gas, Kohle und Öl weiterhin mit Milliardenbeträgen zu subventionieren, ist ein Anachronismus aus dem fossilen Zeitalter. Bei Erhaltungs- und Erneuerungsinvestitionen in industriellen Anlagen drohen entweder Lock-in-Effekte [die Abhängigkeit eines Kunden von einem bestimmten Anbieter; die Red.] zu Lasten des Klimas oder Stranded Assets [Vermögenswerte, die dauerhaft an Wert verlieren; die Red.], wenn die Klimaziele erreicht werden.
  • Zweitens: Strompreisvergünstigungen klug umgestalten. Sinnvoller als allgemeine Strompreisvergünstigungen auf Basis rückwärtsgerichteter Faktoren wie der Energieintensität der Vergangenheit ist es, die Umstellung auf effiziente Stromanwendungen mit erneuerbaren Energien sowie die Reduktion des Energieverbrauchs gezielt zu fördern. Wo aus Gründen des Schutzes vor Carbon-Leakage [die Verlagerung von CO2-Emissionen, die in Nicht-EU-Drittstaaten unter das Europäische Emissionshandelssystem fallen; die Red.] Vergünstigungen bestehen bleiben, sollten diese an Bedingungen geknüpft werden, die zur Transformation beitragen, etwa durch den Nachweis von Investitionen in die Dekarbonisierung der Kernprozesse.

Eingebettet werden sollte der Subventionsabbau in eine kluge Förderpolitik. Wesentliche Elemente davon sind:

  • Konsistentes Design von Förderprogrammen: Aufeinander abgestimmte Zielsetzungen und niedrigschwellige Zugänglichkeit sind dabei wichtig, zum Beispiel durch einen schnellen Überblick über die Fördermöglichkeiten und eine möglichst unkomplizierte Beantragung.
  • Nur Förderung von Null-Emissions-Technologien: Neuinvestitionen, zum Beispiel in effiziente, aber fossile Technologien sollten nicht mehr gefördert werden, da sie eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten haben können.
  • Förderprogramme konsequent auf Dekarbonisierung ausrichten: Der Umstieg auf effiziente, klima-freundliche Produktionsverfahren sollte angereizt werden, also vor allem die direkte Elektrifizierung mit erneuerbaren Energien und der Einsatz von grünem Wasserstoff. Auch die Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs ist weiterhin ein wichtiges Förderziel.

Der Abbau klimaschädlicher Subventionen bietet eine doppelte Chance: Die Ausgaben, mit denen der Staat den klimaneutralen Umbau der Industrie hemmt, sinken und die Einnahmen, die für Zukunftsinvestitionen zur klimagerechten Transformation genutzt werden können, steigen. Zugleich wird die Förderung je Anlage beziehungsweise Unternehmen bedeutend günstiger, wenn die Verzerrung zugunsten fossiler Energieträger abgebaut wird. Nicht zuletzt sind das auch notwendige Leitplanken, um einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort Deutschland im internationalen Ringen um Zukunftstechnologien und klimaneutrale Produktion zu erhalten.

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